Eine agile Wirtschaft braucht flexible Rahmenbedingungen

Immer mehr Unternehmen setzen auf agile Arbeitsweisen - Kundenzentrierter arbeiten und die Entwicklung neuer Services und Produkte beschleunigen

Eine agile Wirtschaft braucht flexible Rahmenbedingungen

Agilität heißt das neue Zauberwort der Wirtschaft. Doch ganz so neu ist das Konzept nicht: Erfolgreiche Unternehmen waren schon immer einer konstanten Transformation unterworfen. Egal wie überlegen das Geschäftsmodell war, über wie viel Know-how ein Unternehmen verfügte oder wie gut das Management und die Mitarbeiter waren – nur die Unternehmen, denen es gelang, sich immer wieder anzupassen und neu zu erfinden, waren langfristig erfolgreich.Die Wirtschaftsgeschichte ist voll von Beispielen für diesen konstanten Wandel: Coca-Cola war vor 130 Jahren nicht mehr als ein kleiner Apotheken-Laden. Erst als man Anfang des 20. Jahrhunderts Millionen von Gratis-Coupons verteilte, wurde das Getränk bei der breiten Bevölkerung populär. Später erfand das Unternehmen die ikonische Coca-Cola-Flasche und entwickelte sich immer weiter. Heute verkauft die Coca-Cola Company übrigens mehr als 3 000 verschiedene Produkte weltweit – darunter sehr viele Getränke ohne Zucker. Oder IBM, die sich vom Computer-Hersteller zum weltweiten IT-Beratungsunternehmen gewandelt hat.Selten jedoch waren die Umbrüche in Wirtschaft und Alltag so tiefgreifend und rasant wie heute. Die Digitalisierung verändert die Wünsche und das Verhalten der Kunden – und das mit einem immer höheren Tempo. Das gilt auch für den Versicherungsmarkt. Die deutschen Versicherer, die mit mehr als 438 Millionen Verträgen die Risiken von Bürgern und Unternehmen absichern und damit einen wichtigen Beitrag zum Wohlstand und der sozialen Absicherung leisten, sind mitten in der Digitalisierung und Transformation. Kaum eine Branche verändert sich derzeit so rasch und grundlegend.Viele Versicherer setzen dabei auf Agilität. Was ist damit gemeint? Vereinfacht ausgedrückt: Weil sich mit der Digitalisierung die Rahmenbedingungen und auch die Wünsche der Kunden immer schneller verändern, müssen sich auch die Unternehmen schneller wandeln. Sie müssen nicht nur flexibler werden – nichts anderes bedeutet ja Agilität, sondern auch lernen, proaktiv, antizipativ und initiativ zu agieren. Dazu werden agile Arbeitsmethoden eingesetzt. Statt auf Hierarchien setzt man auf Netzwerkstrukturen und crossfunktionale Teams. Oft wird in sogenannten Journeys gearbeitet, bei denen ein Team innerhalb einer bestimmten Zeit ein Problem aus Kundensicht betrachtet und eine Lösung sucht.Was bringt das? In jedem Fall werden Unternehmen auf diese Weise kundenorientierter, weil sie schneller und besser auf die Wünsche ihrer Kunden eingehen können. In den meisten Fällen werden Unternehmen durch Agilität auch erfolgreicher. Laut einer Studie der Boston Consulting Group, bei der 1100 Unternehmen in 40 Ländern untersucht wurden, erzielen agile Unternehmen bis zu fünfmal häufiger überdurchschnittliche Margen und wachsen stärker als der Durchschnitt der Unternehmen in der Branche.In vielen Vorstandsetagen ist Agilität jedoch auch ein Modewort. Jeder will heute agil sein. Kaum eine Konferenz, auf der nicht ein Manager mit Begriffen wie Scrum Master und Sprints um sich wirft. Mythen und IrrtümerDabei wird – um es klar zu sagen – auch sehr viel Unsinn verbreitet. Einer der größten Irrtümer ist, dass Agilität gleich Chaos im Unternehmen bedeutet. Schließlich seien die Ergebnisse einer Journey ja nicht planbar, so ist zu hören. Kreatives Brainstorming sei ein wichtiger Teil der agilen Arbeitsweise. Keine Hierarchien, keine festen Ressortgrenzen – das Ergebnis sei dann Chaos.Das ist falsch. Tatsächlich lassen agile Methoden, wenn sie richtig ausgeführt werden, keinen Spielraum für Chaos. Gerade bei den neuen Formen der Teamarbeit sind Disziplin und Selbstverantwortung besonders wichtig. Denn nur mit einem methodentreuen und hocheffizient geführten Vorgehen kommt man zu Ergebnissen. Das Management definiert lediglich den Grund, das Ziel und die Messlatte des Erfolges.Ein zweiter Mythos ist, dass das gesamte Unternehmen agil werden muss: vom Top-Management bis zum Maschinenraum. Auch das ist nicht richtig. Wie jede andere Organisationsform muss Agilität dort eingesetzt werden, wo sie sinnvoll ist. Wer sich bei den besten Unternehmen unserer Zeit umschaut, wird feststellen, dass selbst bei den Spitzenreitern höchstens 80 % des Unternehmens nach agilen Methoden arbeiten. Für die meisten Unternehmen ist ein sehr viel niedrigerer Wert sinnvoll. Der Durchschnitt liegt bei rund 30 %. Teil von Vision2023Auch bei Signal Iduna setzen wir bereits erfolgreich agile Arbeitsmethoden ein, um kundenzentrierter zu arbeiten und die Entwicklung neuer Services und Produkte zu beschleunigen. Agilität ist Teil unseres Transformationsprogramms Vision2023, mit dem wir als Unternehmen insgesamt flexibler, kundenorientierter und digitaler werden. Dafür investieren wir signifikant: in das Know-how unserer Mitarbeiter, in Technologien, Partnerschaften und neue Geschäftsmodelle. Die Erfahrungen, die wir mit agilen Methoden gemacht haben, sind bislang durchgehend positiv. Unsere Mitarbeiter entwickeln heute in Journeys neue zielgruppenorientierte Produkte wie das SI Meisterstück, das speziell auf die Wünsche unserer Kunden im Lebensmittelhandwerk zugeschnitten ist. Wir bauen digitale, kundenorientierte Lösungen im Service, wie zum Beispiel eine Online-Schadensmeldung und die automatisierte Ausstellung von Bescheinigungen. Auch andere Versicherer in Nordrhein-Westfalen (NRW) setzen erfolgreich agile Methoden ein. Die Landesregierung unterstützt diesen Trend unter anderem mit der NRW-Plattform Wirtschaft und Arbeit 4.0.Damit die digitale Transformation jedoch Früchte trägt, braucht es mehr als nur Flexibilität in den Unternehmen. Wir brauchen auch flexible und vor allem faire Rahmenbedingungen durch die Politik. Das fängt an beim Umgang mit Daten: Während sich deutsche Versicherungsunternehmen – zu Recht und aus gutem Grund – an strenge Datenschutzbestimmungen halten müssen, können Internetkonzerne wie Facebook oder Google fast nach Belieben Daten sammeln und auswerten. Das Ergebnis ist ein verzerrter Wettbewerb.Andere Beispiele sind der geplante Provisionsdeckel bei der Vermittlung von Lebensversicherungen oder die umfangreichen Solvency-II-Regelungen. Kaum eine andere Branche ist so vielen staatlichen Kontrollen und Bestimmungen unterworfen wie die Versicherungswirtschaft. Bis zu 330 000 Datensätze fragt allein die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) regelmäßig von den Versicherern ab. Dieses Ungleichgewicht – Flexibilität und Agilität in den Unternehmen, Überregulierung bei den Rahmenbedingungen – wird auf Dauer nicht funktionieren. Die digitale Transformation darf nicht bei der Wirtschaft aufhören.Wenn wir auch in Zukunft in NRW und Deutschland eine starke Versicherungswirtschaft wollen, brauchen wir mehr Flexibilität bei den Rahmenbedingungen. Dafür werden wir uns, die deutsche Versicherungswirtschaft und die Versicherer in Nordrhein-Westfalen, unermüdlich in Gesprächen mit der Politik und der Aufsicht einsetzen. Die Versicherer in Nordrhein-Westfalen sind bedeutende Arbeitgeber, viele tausend Menschen vertrauen uns als Arbeitgeber, die richtigen Weichen zu stellen, um ihre Arbeitsplätze zu sichern, für zukunftsfähige Arbeitsplätze in einer sich immer schneller verändernden Welt zu sorgen.Stabilität und Sicherheit sind wichtige Bedürfnisse unserer Kunden, aber auch unserer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Damit sind wir als Unternehmen auch Kunden der Politik, und wir erwarten die gleiche Kundenzentrierung, die wir gerade im Unternehmen von unseren Mitarbeitern einfordern. Es reicht nicht, Gründungen von Labs und Forschungsprojekte zu unterstützen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen an eine immer agiler agierende Wirtschaft angepasst werden – es geht nur so herum, anders herum verlieren wir alle. Ulrich Leitermann, Vorsitzender der Vorstände der Signal Iduna Gruppe