Eine Fintech-Ruine namens Naga Group

Großaktionär Fosun hält Start-up mit Darlehen über Wasser - Einnahmen aus dem ICO sind verdampft - Der Coin ist nahezu wertlos

Eine Fintech-Ruine namens Naga Group

Mit großen Ambitionen gestartet, stellt das Fintech Naga Group heute einen Sanierungsfall dar. Dank eines Gesellschafterdarlehens von Fosun kann eine Restrukturierung durchgezogen werden, aber ab jetzt müssen Erträge reingeholt werden. Zudem sind die Mittel aus dem ICO schon aufgebraucht. Von Björn Godenrath, FrankfurtDie vorläufige Rettung für die börsennotierte Naga Group kam Ende August. Da wurde mitgeteilt, der Großaktionär Fosun übernehme weitere 17 % aus dem Bestand anderer Anteilseigner und steige damit zum Mehrheitseigner auf. Zudem stelle Fosun “Wachstumskapital” zur Verfügung – ein Euphemismus für Überbrückungskapital von 5 Mill. Euro, wovon 3 Mill. Euro nur als Gesellschafterdarlehen sowie 2 Mill. Euro über eine Wandelanleihe bereitgestellt werden. Ein Vertrauensbeweis sieht anders aus.Dabei hatte sich Fosun sicher mehr vom Hamburger Fintech versprochen, als im März 2017 12,5 Mill. Euro an Eigenkapital investiert wurden. Fosun-Gründer Guo Guangchan freute sich auf die Naga Group als “führenden Innovator der Trading-Technologie”. Bekommen hat er einen Gemischtwarenladen, der im Brokerage kaum Fuß gefasst hat – und von Fosun wohl nur über Wasser gehalten wird, da man keine Pleite im Deutschland-Portfolio gebrauchen kann, solange man als Bieter für die Lampe Bank noch im Rennen ist. Hoffnungsvoller StartDabei war die Naga Group so hoffnungsvoll gestartet mit ihrem Börsengang im Juli 2017. Notiert im Segment Scale für Wachstumswerte war da endlich ein Fintech, das den Schritt an den Kapitalmarkt wagte. Zu 2,60 Euro je Aktie ausgegeben wurden brutto zwar nur 2,5 Mill. Euro eingenommen, aber das Naga-Management um Benjamin Bilski und den im August 2019 ausgeschiedenen Yasin Sebastian Qureshi hatte da schon eine andere Kapitaloperation im Blick: Ende Oktober 2017 wurde ein Initial Coin Offering (ICO) mit einem Maximalvolumen von 220 Mill. Dollar angekündigt. Eingenommen wurden dann umgerechnet gut 40 Mill. Euro, 63 000 Anleger beteiligten sich am ICO.Dafür erhielten die Investoren einen sogenannten Utility Token, der seinen Wert als Zahlungsmittel im Naga-Handelskosmos entfalten sollte. Das Interesse am Naga Coin entwickelte sich jedoch überhaupt nicht, heute ist ein Naga Coin 0,030529 Dollar wert – gezeichnet wurde zu 1 Dollar. Das scheinen die ICO-Investoren bislang aber still hinzunehmen. Auf Nachfrage erklärt Naga, dass von Rückforderungen bislang nichts bekannt sei. Da in den AGB zum Token-Erwerb “jegliche Haftung oder Garantie für den Wert und die (spätere) Einsatzmöglichkeit der Token” ausgeschlossen worden sei, erwarte man auch keine Rückforderungen von Investoren. Es gab auch seitens der Finanzaufsicht BaFin bislang keine Beanstandungen im Hinblick auf den ICO oder den Verbleib der Gelder, erklärt das Unternehmen. Mickrige HandelserlöseBei der Restrukturierung fokussiert sich die Naga Group vor allem auf das Social Trading – mit Ayondo ist ein Wettbewerber aus diesem Segment kürzlich in die Insolvenz gegangen. Für die Naga Group sind im ersten Halbjahr mickrige Handelserlöse von 1,35 Mill. Euro hängen geblieben, Analysten erwarten für 2019 einen Fehlbetrag von gut 10 Mill. Euro, da die Reduzierung der Kostenbasis um 60 bis 70 % zunächst hohen Einmalaufwand bedeutet. Auch für 2020 veranschlagen die Analysten von GBC einen Fehlbetrag von gut 4 Mill. Euro. Sollte dieser Fall eintreten, müsste Fosun wohl noch einmal etwas nachschießen. Naga hat noch keine Prognosezahlen veröffentlicht und sieht sich vor dem Hintergrund der Fosun-Mittel als “solide finanziert” an.Da wäre es für die Aktionäre doch zauberhaft, wenn sie Zugriff auf die Einnahmen aus dem ICO hätten. Das ist allerdings nicht so einfach, wurden die ICO-Einnahmen seinerzeit doch bei der Naga Development Association verbucht, eine Limited mit Sitz auf Belize. Die sollte gemäß den Angaben des Whitepaper in Naga-Produkte rund um Dienste für den Coin investieren, was zum Beispiel 2017 auch geschah, als Naga von der Belize-Gesellschaft 6,3 Mill. Euro für Dienstleistungen vergütet wurden. 1,7 Mill. Euro kamen für Beratungsdienstleistungen hinzu plus 4,4 Mill. Euro für Provisionen, die in Verbindung mit der Beratung stehen, aber nicht näher spezifiziert werden. Ohne die Einnahmen aus der Beziehung zur Belize-Gesellschaft bleibt jedoch nicht viel auf der Erlösseite. Aber hat Naga möglicherweise Anspruch auf die ICO-Gelder? Den Investoren gegenüber wurde jedenfalls mit der Corporate News vom 27.10.2017 der Eindruck vermittelt, Naga sei auch Betreiber des ICO: Dort heißt es, Naga werde im Rahmen eines Token Sale mit Partnern einen Token “anbieten”. Man plane, mit externen Partnern 400 Millionen dieser Rechnungseinheiten zu “generieren”. Damit wird nach gängiger Lesart ausgedrückt, dass Naga Verantwortung trägt für das ICO, was mit einem Anspruch auf die Einnahmen einherginge. Erst mit dem Abschluss für 2017 wurde klargestellt, dass die Naga Group in keiner gesellschaftsrechtlichen Beziehung zu der Belize-Gesellschaft steht.Naga erklärt, dass sich auch weiterhin Mittelzuflüsse aus der Zusammenarbeit mit der Naga Development Association ergeben für die Produkte “Naga Wallet” und “Naga Exchange” im Bereich der Kryptowährungen, und zwar als Dienstleistungsgebühren. Diese stellten allerdings nur noch einen kleinen Teil des Gesamtumsatzes der Gruppe dar. Die Erlöse aus dem ICO seien “nach unserem Kenntnisstand” mittlerweile vollständig investiert, heißt es. Darüber hinaus gehe man davon aus, dass “ein nicht unerheblicher Teil der Erlöse auch im Rahmen der ,Krypto-Krise` durch Kursverluste” verloren gegangen sei. Mit anderen Worten: Was in Kryptowährungen eingezahlt und nicht in Fiat-Währung getauscht wurde, war vom Wertverfall der Notizen betroffen. Ein Schicksal, welches Naga mit vielen anderen ICOs teilt. Insider aus dem ICO-Prozedere wussten nach Abschluss der Maßnahme aber zu berichten, das Naga-Management habe nicht so recht gewusst, wie es en detail verfahren sollte, und habe das Vorhaben nach dem Motto “Augen zu und durch” durchgeführt.Der Naga-Aktie hatte das ICO jedenfalls zu einem Höhenflug verholfen. Das Papier kletterte im Spätherbst 2017 über die Marke von 14 Euro. Seitdem geht es abwärts. Heute notiert die Aktie bei 0,638 Euro, was immerhin noch eine Marktkapitalisierung von gut 25 Mill. Euro bedeutet. Naga hat jedenfalls am 10. Januar mit ungebrochenem Optimismus angekündigt, dass mit Erlösen von 2,5 Mill. Euro im vierten Quartal die “Trendwende” eingeleitet sei.Das Umfeld ist allerdings ziemlich rau, wie schon die Ayondo-Pleite demonstriert hat. So ist der CFD-Handel mit Reduzierung der Hebel regulatorisch immer weiter beschränkt worden. Zudem ist Social Trading ein dünnmargiges Geschäft. Die Zahl der kopierten Trades betrug im zweiten Halbjahr 2019 730 000 gegenüber 110 000 im Vorjahreszeitraum – was da an Erlösen zusammenkommt, ist offenbar nicht viel.Hinzu kommen Kosten für die Neukundengewinnung, die sich gewaschen haben: Mit 500 Euro pro Kunde muss man in Vorleistung gehen – da ist es ein schwacher Trost, dass der Industrieschnitt bei 1 000 Euro liegen soll. In großer Offenheit wird im Zwischenbericht zum ersten Halbjahr 2019 eingeräumt, dass man “eine wesentliche Problematik der Vergangenheit” beseitigt habe, nämlich, “dass sich zu viele Projekte bzw. Ideen zeitgleich in unterschiedlichen Entwicklungsphasen befanden, ohne eine Roll-out-Strategie zu verfolgen”. Da ist es kein Wunder, dass Geld verbrannt wird – auch wenn das grundsätzlich zur Skalierung eines Geschäftsmodells gehören kann. Hausinterne VerschiebungBeteiligt an der Naga Group war oder ist auch die zu Fosun gehörende Hauck & Aufhäuser, wenn auch nur gering mit unter 3 %. Die Privatbank hatte die Fosun-Verbindung 2018 dazu genutzt, Naga die Beteiligung am Robo-Berater Easyfolio unterzuschieben, erzählen Insider. Zunächst wurden 25 % an Naga veräußert, mit der Option seitens der Hamburger, auf 49 % aufzustocken. Per Ende 2018 wurde dann aber sogar eine Mehrheit von 50,02 % genommen, ist dem Halbjahresbericht 2019 zu entnehmen. Wäre das nicht eine Ad-hoc-Mitteilung wert gewesen?Insider wissen jedenfalls zu berichten, dass weder Hauck & Aufhäuser noch die Naga Group etwas mit Easyfolio anzufangen wussten. Der Markt für Robo-Advisory hat sich schleppender entwickelt, als von Experten erwartet. Anfang 2018 hatte Easyfolio rund 50 Mill. Euro Assets under Management (AuM). Heute befinden sich die AuM Naga zufolge “im mittleren zweistelligen Millionenbereich”, was Stagnation bedeutet.