IM INTERVIEW: URS RÜEGSEGGER

"Eine neue Stufe der Industrialisierung"

Der Group CEO von Six über das Projekt einer "Superbank" und andere große Würfe auf dem Finanzplatz Schweiz

"Eine neue Stufe der Industrialisierung"

– Herr Rüegsegger, UBS-Chef Sergio Ermotti sorgte für viel Aufhebens, als er im Sommer mit der Idee an die Öffentlichkeit ging, die Banken am Schweizer Finanzplatz sollten ihre rückwärtigen Dienste in einer Art Superbank zusammenlegen. Die Six wäre doch als Finanzmarktinfrastrukturbetreiberin, die zudem den Banken gehört, geradezu prädestiniert gewesen, ein solches Projekt umzusetzen.Sie sagen gewesen. Tatsache ist, dass wir von Six unsere Strategie weiterführen. Diese besteht im Kern unverändert darin, Dienstleistungen anzubieten, mit denen sich die Banken bei ihren Kunden nicht mehr differenzieren können. Es gibt eine ganze Anzahl von solchen Dienstleistungen, die wir heute schon erfolgreich erbringen, und wir planen, die Palette zu erweitern.- Sie backen Kekse statt eines richtigen Kuchens.Der Charme dieses Vorgehens besteht darin, dass es relativ leicht zu realisieren ist. Parallel dazu läuft aber die Diskussion um ein gemeinsames Back Office oder eine Superbank weiter. Aber ein solches Vorhaben ist eben komplexer. Wir bringen uns ein und sind auch sicher, dass wir einen wertvollen Beitrag leisten könnten. Aber entscheiden müssen die Banken.- Aber Hand aufs Herz, Sie hatten gehofft, die Banken seien mutiger und entscheidungsfreudiger.Nein. Es gibt gute Fortschritte, wenn ich sehe, wie sich die Gespräche jetzt entwickeln.- Was für Fortschritte?Es geht um das Wie eines solchen Vorhabens, um die Dimensionen und die Prioritäten der einzelnen Themen. Es laufen Gespräche zwischen ganz unterschiedlichen Teilnehmern. Ich könnte nicht sagen, dass alles zu langsam geht.- Gibt es konkrete Termine?Uns ist in dieser Diskussion um ein gemeinsames Back Office kein Fahrplan bekannt.- Hätten Sie denn gerne einen Fahrplan?Sicher hätten wir gerne einen Fahrplan. Aber die Komplexität des Themas lässt dies nicht zu. Wir brauchen Geduld.- Möglicherweise ist der Leidensdruck in der Bankbranche einfach noch nicht groß genug. Was denken Sie?Mindestens ist er von Bank zu Bank sehr unterschiedlich hoch. Aber nach meinem Verständnis geht es bei der Idee eines gemeinsamen Back Office um mehr als nur darum, Kosten und Erträge möglichst schnell in ein besseres Verhältnis zu bringen. Es geht vielmehr um die Frage, ob sich die Kostenstruktur der ganze Industrie auf ein tieferes Niveau bringen lässt. Ein Niveau, das sich mit traditionellen Kostensenkungsmaßnahmen nicht erreichen ließe. Wir reden über eine neue Stufe der Industrialisierung des Bankgeschäfts.- Was erwarten die Banken von Ihnen und von Six?Wir müssen einen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Finanzplatzes leisten. Wir bewegen uns im Dreieck zwischen Qualität, den Preisen der Dienstleistungen, die wir für die Banken erbringen, und den Gewinnen beziehungsweise den Dividenden, die wir für unsere Eigentümer erwirtschaften. Der Verwaltungsrat hat die Priorität klar und wiederholt bei der Qualität und den Preisen unseres Angebotes gesetzt. Was wir an Dividenden zahlen können, ist ihr untergeordnet.- Fühlen Sie sich wohl mit diesem Auftrag?Ja, zumal er bei unseren Aktionären sehr breit abgestützt ist. Wir hatten im September unsere regelmäßige Strategieüberprüfung. Im Rahmen dieses Prozesses hat der Verwaltungsrat erneut festgehalten, dass die Banken die besten Eigentümer von Six sind. Wir sind immer noch stark von den Vorteilen unserer Struktur überzeugt. Wir sind nahe an unseren Kunden dran und haben die Möglichkeit, bei Investitionen in sehr langen Zeiträumen zu planen.- Vor zwanzig Jahren wurde der Aktien- und Obligationenhandel elektronisiert. Vor dreißig Jahren entstand die elektronische Optionenbörse Soffex. Das waren Meilensteine für den Finanzplatz. Ist man zu solchen Würfen überhaupt noch fähig?Eine schwierige Frage. Ich überlege mir gerade, warum sie fast nur der Finanzbranche gestellt wird.- Vielleicht, weil man dort gerne über große Würfe redet.Schon möglich. Aber ich bin mit Ihnen einverstanden. Soffex und die elektronische Börse waren wirklich ganz große Würfe. Sie haben mit anderen Komponenten zu dem geführt, was wir heute Swiss Value Chain nennen, die durchgehende Verarbeitung einer an der Schweizer Börse abgeschlossenen Wertpapiertransaktion inklusive Zahlungsabwicklung. Die Swiss Value Chain ist mit den Anpassungen, die sie seit ihren Anfängen erfahren hat, immer noch absolut wettbewerbsfähig. Und weil die Swiss Value Chain immer noch den größten Teil der Infrastrukturanforderungen abdeckt, gibt es daneben keinen Platz für einen größeren Wurf. So gesehen könnte man sagen: Die Finanzplatzinfrastruktur ist gebaut. Deshalb überlegen wir uns eben, wie wir diese Wertschöpfungskette quasi nach vorne in Richtung unserer Kunden, der Banken, verlängern könnten.- Wären wir damit wieder bei der Superbank?Ja, das wäre natürlich eine wesentliche Verlängerung der Wertschöpfungskette. Aber je näher wir mit unseren Dienstleistungen an die Banken beziehungsweise an unsere Kunden herankommen, desto wichtiger wird für diese die Frage, womit sie sich am Markt voneinander unterscheiden können. Auch die unterschiedlichen Strategien der Banken erhalten für uns mehr Konturen, je näher wir zusammenkommen. Mit anderen Worten sind die gemeinsamen Anforderungen der Banken an eine zu bauende Superbank weit weniger homogen, als sie es waren, als wir vor zwanzig Jahren den vollelektronischen Börsenhandel gebaut hatten. Diese Zusammenhänge machen die Entscheidungsfindung viel schwieriger.- Sie suchen auch für Six nach Möglichkeiten einer Spezialisierung und planen deshalb eine Kooperation mit der Deutschen Börse. Wo stehen Sie in dem Projekt?Es gibt bestimmte Schritte im Prozess der Wertschriftenabwicklung, mit denen man sich bei den Kunden nicht mehr differenzieren kann. Deshalb möchten wir diese Schritte auf einer gemeinsamen Plattform mit der Deutschen Börse zusammenführen und dabei unsere eigene Wirtschaftlichkeit verbessern.- Es gab schon mehrere Gemeinschaftsunternehmen mit der Deutschen Börse. Alle wurden aufgelöst oder abgebrochen. Hat Six Mühe mit der Rolle als Juniorpartnerin?Aktuell ist uns aufgrund des offensichtlichen Größenunterschiedes klar, dass wir die Rolle des Juniorpartners spielen. In der Vergangenheit gab es unterschiedliche Gründe, die zum Verkauf oder zur Auflösung der Joint Ventures führten.- Was verändert sich, wenn die Deutsche Börse und die Londoner Börse tatsächlich fusionieren können?In diesem Szenario entsteht ein wirklich sehr großer Anbieter im Bereich der Wertpapierabwicklung in Europa. Für unsere geplante Kooperation hätte das sogar Vorteile. Aber wir waren uns einig, dass wir die Kooperationsgespräche mit oder ohne Fusion führen wollen.- Sie warten schon lange darauf, dass die EU der Six den Äquivalenzstatus einräumt. Wäre es möglich, dass der Prozess durch die offene Fusionsfrage verzögert wird?Das sind zwei verschiedene Verfahren. Beim Anerkennungsverfahren geht es darum, ob die Schweizer Regulierung der Handelsplattformen von der EU als gleichwertig anerkannt wird. Dieser Prozess ist gerade angelaufen. Für das Clearing liegt die Anerkennung schon seit einem Jahr vor. Im Wertschriftenhandel ist diese Frage deshalb wichtig, weil ein großer Teil des Auftragsvolumens aus dem EU-Raum kommt.- Müsste die Six bei einem negativen Entscheid aus Brüssel in der EU eine neue Börse für Schweizer Wertpapiere bauen, um den Wegfall der Umsätze in der Schweiz zu verhindern, oder wie muss man sich das Ganze vorstellen?Die zuständigen Behörden und wir tun alles, damit dies nicht zum Thema wird.- Neue Möglichkeiten in der elektronischen Informationsverarbeitung könnten die zentrale Abwicklung von Wertpapiergeschäften dereinst überflüssig machen. Wie nehmen Sie die Blockchain-Technologie war?Es ist unbestritten, dass solche Technologien mindestens in der Theorie große Produktivitätsgewinne bringen können. Wir glauben aber, dass es noch länger gehen wird, bis das Vertrauen des Marktes in die bestehenden Institutionen durch eine Maschine abgelöst wird. Eine zwingende Voraussetzung für den Einsatz dieser Technologie ist zudem eine internationale Übereinkunft auf gemeinsame Standards, was die Nutzung einer solchen Technologie anbelangt.- Wie lange ist länger?Ich denke, dass wir in den nächsten zwei Jahren erste Anwendungen der Blockchain-Technologie sehen werden, aber noch nicht in den Kernbereichen der Wertschriftenabwicklung. Jede erfolgreiche Anwendung dieser Technologie erhöht aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie bei einer nächsten Investition wieder zum Zug kommt.- Apropos Technologie: Sie basteln zusammen mit der Postfinance an einer schweizerischen Lösung für ein smartphonefähiges Bezahlsystem. Warum sollen globale Technologien gerade hier vor der Schweizer Grenze haltmachen?Die Technologien machen nicht halt an der Grenze. Deshalb gibt es auch in der Schweiz Bezahllösungen von internationalen Anbietern wie zum Beispiel Apple Pay. Unsere Banken sind als Herausgeber von Bezahlkarten durch die neuen Bezahlsysteme gefordert. Es ist unser Auftrag sicherzustellen, dass die Banken die Beziehungen zu ihren Kunden gegenüber Drittanbietern nicht verlieren. Darum engagieren wir uns bei der Entwicklung von Twint. Es gibt Leute, die behaupten, dass solche Systeme, die nicht global einsatzfähig sind, in einer globalen Welt keine Chance haben. Unsere Arbeitshypothese ist aber, dass es in einer globalen Welt immer auch Chancen für Lösungen gibt, die besser auf die lokalen Bedürfnisse eingehen.—-Das Interview führte Daniel Zulauf.