Eine "wohl einmalige" Bankgeschichte
Von Bernd Wittkowski, FrankfurtDieses Buch ist eine Herausforderung, zumal für Leute mit knappem Zeitbudget. Vor uns liegen 996 Gramm und 423 Seiten über “Die Geschichte der National-Bank 1921 bis 2011”. Das sind gut 11 Gramm und 4,7 Seiten für jedes dieser 90 Jahre. Der Autor, der renommierte Bonner Historiker, nicht zuletzt Bankhistoriker, Prof. Joachim Scholtyseck, scheint kein Detail auslassen zu wollen – ein Eindruck, der sich mit fortschreitender Lektüre denn auch zuweilen bestätigt. Man fragt sich, ob Informationen wie jene, dass die National-Bank von 1994 an auf Weihnachtspräsente für Geschäftspartner verzichtete und stattdessen seither für karitative Zwecke spendet, zwingend in ein solches Buch gehören. Da könnte ein bisschen weniger stellenweise wirklich mehr sein.Nichtsdestotrotz: Wenn man endlich Zeit und Muße gefunden und sich in den Wälzer hineingekämpft hat, möchte man ihn so schnell nicht wieder aus der Hand legen. Zum einen, weil der Verfasser sein in der Einleitung gegebenes Versprechen einhält, hier werde eine in der deutschen Bankenlandschaft “wohl einmalige Geschichte” wissenschaftlich aufgearbeitet. Zum anderen, weil dieses 2011 in zweiter Auflage erschienene Buch weit mehr ist als eine Chronik dieser nun schon bald 92 Jahre alten Bank. Scholtyseck erzählt und analysiert auf durchaus spannende Weise neun Jahrzehnte Politik-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte und ordnet die Gründung, den Aufstieg und den zwischenzeitlichen Fall der in Essen ansässigen Regionalbank in die großen Entwicklungslinien und Umbrüche dieser Zeit ein. Die erste ArbeitnehmerbankDie Historie der National-Bank unterteilt sich in drei in höchstem Maße unterschiedliche Kapitel. Das Institut entstand als erste Arbeitnehmerbank im engeren Sinne auf deutschem Boden (sechs weitere Gewerkschaftsbanken folgten bald). Ein Kongress der christlichen Gewerkschaften Deutschlands im Jahr 1920 hatte die Gründung in die Wege geleitet, die schließlich am 24. Februar 1921 unter dem Namen “Vereinsbank für deutsche Arbeit AG” vollzogen wurde. Sitz der Bank war zunächst Berlin, das Grundkapital betrug 2 Mill. Mark. Schon wenige Monate später folgte die Umbenennung in “Deutsche Volksbank AG”; dieser Name hatte bis 1933 Bestand. Im Jahr nach der Gründung wurde die Sitzverlegung nach Essen beschlossen. Die Zahl der “Bankbeamten” in der dortigen Zweigstelle hatte schon kurz nach Eröffnung von 5 auf 22 erhöht werden müssen. Die Region um die “Hauptstadt der Kohle” war bereits Geschäftsschwerpunkt.Initiator und treibende Kraft der Bankgründung war Adam Stegerwald, einer der Führer der christlichen Gewerkschaftsbewegung und später preußischer Ministerpräsident. Er machte sich für einen christlichen Mittelweg zwischen “Hochkapitalismus und Mammonismus” einerseits und Marxismus andererseits stark. Der Kapitalismus sollte “in den Herzen der Menschen” überwunden werden. Handkarren als GeldtransporterHinter der Bankgründung im Besonderen stand die Idee, dass die Gewerkschaften nicht länger dem “großkapitalistischen Bankkonzern auf Gnade und Ungnade ausgeliefert sein” wollten. Doch auch von der Verwaltung der Gelder durch Sparkassen wollten die Gründer nichts mehr wissen. Vielmehr sollte das neue Institut, indem es Mitsprache über die Verwendung der Spareinlagen ermöglichte, den christlichen Gewerkschaften eine “Waffe” an die Hand geben, um die wirtschaftliche und soziale Lage der Arbeiter zu verbessern. Ein späteres Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Volksbank, den Genossenschaftler Peter Schlack, zitiert Scholtyseck mit der noch während des Ersten Weltkriegs gemachten Aussage, die Gewerkschaften könnten nur dann greifbare Erfolge erzielen, wenn sich ihr Kapital und das ihrer Mitglieder in ökonomische und politische Macht ummünzen ließe.Das Geschäftsgebaren der Deutschen Volksbank unterschied sich indes nicht nennenswert von jenem herkömmlicher Privatbanken, stellt der Historiker fest. Man orientierte sich an kaufmännischen Grundsätzen. Der Geschäftsbericht für 1922 weist eine Bilanzsumme von 437 Mill. Mark aus, der Reingewinn betrug 16,8 Mill. Mark. Die Dimensionen sollten sich im Zuge der Hyperinflation rasch ändern: Schon im Jahr darauf hatte sich die Bilanz auf unvorstellbare 4 Quadrillionen, 643 Trillionen, 457 Billionen, 111 Milliarden, 256 Millionen, 122 253 Mark und 92 Pfennig verlängert, wie exakt festgehalten wird.Da müssen die damaligen “Geldtransporter” – zweirädrige, eiserne Handkarren – den täglichen Weg über das Essener Kopfsteinpflaster zur Reichsbankstelle wohl mehrmals zurückgelegt haben. Der Staat greift einDie Volksbank musste mehr als einmal saniert werden, zum ersten Mal 1926. Schon damals hatte sich das Bankgewerbe übrigens mit einer Art “Liquidity Coverage Ratio” auseinanderzusetzen. Und schon damals auch – es waren die Jahre der Bankenkrise und der Weltwirtschaftskrise – griff der Staat zunehmend regulierend in das Marktgeschehen ein: Notverordnungen, Gesetz über das Kreditwesen, Schaffung einer neuen Bankenaufsicht. Manches kommt einem irgendwie aus der Gegenwart bekannt vor. Die Deutsche Volksbank geriet an den Rand des Untergangs.Die Rettung fällt in die besonders unerfreuliche zweite Phase der Unternehmensgeschichte, die Zeit des “Dritten Reichs”, die hier mit all ihren, im Fall der National-Bank erschreckend intensiven Verstrickungen in das nationalsozialistische Regime offen, man kann sagen: schonungslos dargestellt wird. Das mag zwar seit der 1995 erschienenen Geschichte der Deutschen Bank von 1870 bis 1995 von Lothar Gall, Gerald Feldman, Harold James & Co. “state of the art” sein, scheint aber gleichwohl nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden zu können. Denn Scholtyseck hält den Hinweis nicht für überflüssig, dass der Vorstand der National-Bank sich entschlossen habe, dem forschenden Historiker das Bankarchiv uneingeschränkt zu öffnen und verbindlich zuzusichern, die wissenschaftlichen Ergebnisse der Arbeit ohne inhaltliche oder redaktionelle Eingriffe in einem angesehenen Fachverlag veröffentlichen zu lassen – auch wenn diese Ergebnisse dem Image der Bank “nicht unbedingt entsprechen” sollten. Es versteht sich eigentlich von selbst, dass eine Unternehmensgeschichte ohne diese Herangehensweise unglaubwürdig wäre. Von den Nazis okkupiertSo lesen wir also, dass die Nationalsozialisten, als sie die weitverbreitete Antipathie gegen Bankiers für ihre Interessen zu instrumentalisieren begannen, zunächst nicht etwa die Großbanken, sondern ausgerechnet die Deutsche Volksbank als Opfer auserkoren hatten. Der Gauleiter Josef Terboven, der “neue starke Mann” in Essen, und seine Entourage wollten fürs Erste eine regional operierende Bank okkupieren.Terbovens wirtschaftlicher Berater Wolfgang Müller-Clemm, eingefleischter Nationalsozialist und Herausgeber der “National-Zeitung”, ohne jede Ahnung vom Bankgeschäft, spielte fortan eine maßgebliche Rolle bei der Umstrukturierung der Volksbank im Sinne der NSDAP – die “Machtergreifung” bei einer Bank. Als deren Aktionär trat im Mai 1933 die neue “Deutsche Arbeitsfront” an die Stelle der von SA-Trupps gewaltsam ausgeschalteten und enteigneten freien Gewerkschaften, die Direktion der Bank wurde “gesäubert” und mit Nazis besetzt. Glück im Unglück”Es gehört (. . .) zu den Paradoxien der Zeit, dass die kriminelle Energie eines Gauleiters, der über eine ,Hausbank` verfügen wollte und dabei von Hermann Göring protegiert wurde, gerade das Essener Bankinstitut vor dem Untergang rettete”, konstatiert Scholtyseck. Ende 1933 kam es zur Umfirmierung der Deutschen Volksbank in National-Bank – offenbar in Anlehnung an Müller-Clemms “National-Zeitung”. Nicht nur an dieser Stelle ist die Rekonstruktion der Geschehnisse etwas bruchstück- bzw. lückenhaft. Zahlreiche Akten seien durch die Zerstörung des Bankgebäudes im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen, beklagt der Historiker.Teil drei der Unternehmensgeschichte beginnt 1945. Die National-Bank, die als den Nationalsozialisten nahestehendes Institut eigentlich von der Schließung bedroht war, hatte das “Glück im Unglück”, in der britischen Zone zu liegen, und die Londoner Behörden bevorzugten “einen fast hemdsärmeligen Zugang” zur Kontrolle des Bankwesens. Auch Vorwürfe der Verwicklung in “Arisierungsangelegenheiten” konnten ausgeräumt werden, wiewohl die National-Bank an der “Arisierung” des Essener Bankhauses Simon Hirschland nicht gänzlich unbeteiligt gewesen war. Schließlich erhielt die National-Bank die Genehmigung der britischen Militärregierung zur Fortführung der Geschäfte, musste aber im Zuge der Währungsreform bald eine weitere existenzgefährdende Krise durchstehen. Es folgten ein allmählicher Wiederaufbau sowie später in den Wirtschaftswunderjahren und danach eine vorsichtige regionale Expansion, allerdings ohne die früheren deutschlandweiten Ambitionen. Toxisches KreditportfolioIn den achtziger Jahren war das Institut mit Privatbankcharakter fest in der westdeutschen Bankenlandschaft verankert. Unter der 16-jährigen Ägide des Vorstandsvorsitzenden Henner Puppel (seit 1991) wurde eine von starkem und ertragreichem Wachstum gekennzeichnete Erfolgsgeschichte geschrieben – auf die freilich in der Finanzkrise ein Schatten fiel, als sich herausstellte, dass die Bank 2007 beim Führungswechsel von Puppel zum heutigen Amtsinhaber Thomas A. Lange auf toxischen Kreditverbriefungen von knapp 200 Mill. Euro saß. Sie hatte sich bei diesen Investments wie so viele andere Institute auf die (Fehl-)Urteile der Ratingagenturen verlassen. Mittlerweile ist dieses Portfolio weitestgehend abgebaut bzw. wertberichtigt.Die National-Bank heute: Das ist eine unabhängige, von rund 5 200 Aktionären – darunter mit einem Anteil von gut 25 % die Versicherungsgruppe Signal Iduna – getragene, nicht börsennotierte Bank mit einer Bilanzsumme von 4 Mrd. Euro, die sich mit rund 700 Mitarbeitern (Vollzeit) ungeachtet ihres bundesweite Präsenz insinuierenden Namens mit ihren dortigen 25 Standorten ausschließlich auf das Geschäftsgebiet Nordrhein-Westfalen fokussiert. Zielgruppen sind anspruchsvolle Privatkunden und Mittelständler sowie institutionelle Anleger. Keine QuartalshatzDas heutige Geschäftsmodell mag man als erzkonservativ bezeichnen. Es ist ausschließlich kundengetragen; Investment Banking betreibt die Bank nicht, auch keinen Handel auf eigene Rechnung. Die Beratung erfolgt anbieterneutral. In mancher Hinsicht können die Essener – nicht nur wegen ihrer Geschichte – als Unikat in der deutschen Bankenlandschaft gelten. Auf ein externes Rating wird bewusst verzichtet. Den Kurs der Aktie legt der Vorstand mehrmals im Jahr anhand der Geschäftsentwicklung und auf Basis von Bewertungsmodellen fest. Die Bank soll nachhaltig und “nicht innerhalb einer Quartalshatz” entwickelt werden, wie der Vorstandsvorsitzende Lange einmal in der Zeitschrift “die bank” schrieb.Wie schön, dass es solche Banken heute noch auch im privaten Lager gibt! Da kann man nur viel Erfolg (und keinen Krieg, weniger Wirtschafts- und Währungskrisen etc.) für die nächsten 90 Jahre wünschen.