"Es wird Zugeständnisse an die Branche geben"
Im Interview: Greg Hertrich
„Es wird Zugeständnisse an die Branche geben“
Regulatoren müssen Pläne zu härteren Kapitalvorgaben für den Finanzsektor laut dem US-Chefbankenstrategen von Nomura anpassen
Das Interview führte Alex Wehnert.
Herr Hertrich, Regulatoren um die Federal Reserve haben in der vergangenen Woche deutlich härtere Kapitalvorgaben für US-Banken vorgeschlagen. Wie wahrscheinlich ist es, dass die Regeln tatsächlich in der avisierten Form eingeführt werden?
Die Marktkonsultation dazu endet am 30. November – bis dahin wird es noch jede Menge Gegenwind aus der Finanzindustrie geben. Die Änderungen sollen schließlich dazu führen, dass die Mindestanforderungen an hartem Kernkapital für US-Banken ab einer Bilanzsumme von 100 Mrd. Dollar im Aggregat um 16% steigen. Auf die größten und komplexesten Institute kommen gar Aufschläge von bis zu 20% zu. Die Regulatoren peilen damit die umfassendste Neuregulierung des Bankensektors seit dem in Reaktion auf die Finanzkrise 2008 verabschiedeten Dodd-Frank Act an – dies wird nicht ohne Zugeständnisse an die Branche umzusetzen sein.

Bei welchen Punkten dürften die Branchenvertreter besonders auf ein Entgegenkommen dringen?
Einige Vorschläge der Regulatoren zögen wohl enorm hohe Kosten für bestimmte Finanzinstitute nach sich. Würden stark gebührenbasierte Geschäftsmodelle wie das Wealth Management beispielsweise als Quelle operationeller Risiken eingestuft, hätte dies erhebliche Folgen für Investmentbanken wie Morgan Stanley, die ihre Präsenz im Geschäft seit der Finanzkrise erheblich ausgebaut haben. Aber auch zahlreiche regionale Geldhäuser wären betroffen.
Warum nehmen die Regulatoren überhaupt das Wealth Management ins Visier? Gerade die von Ihnen genannte Morgan Stanley hat doch vorgemacht, welche Vorteile die Vermögensverwaltung und Anlageberatung für sehr wohlhabende Kunden für Geldhäuser besitzen kann – namentlich stabilere Erträge als jene aus dem volatilen Investment Banking.
Es gibt tatsächlich keinerlei Hinweise darauf, dass die zunehmende Präsenz vieler Banken im Wealth Management in den vergangenen Jahren problematisch ist. Zahlreichen Instituten ist es durch diese Strategie gelungen, die Kundenbasis zu vergrößern und bedeutende Beziehungen aufzubauen. Genau diese gewachsene Bedeutung stellt aber den Grund dafür dar, dass das Wealth Management bei Regulatoren nun besonders im Fokus steht. Bevor nun aber zu große Aufregung aufkommt: Die Behörden haben ihre Vorschläge auf über 1.000 Seiten ausgebreitet, es handelt sich also um eine extrem umfassende Neuregulierung. Gerade in Bezug auf Einzelbereiche wie das Wealth Management dürfte es noch Spielraum für Anpassungen geben.
Dennoch: Die Branche kritisiert vor allem, dass die Pläne der Fed und anderer Behörden zwar Teil der Umsetzung des Bankenpakets Basel III in den USA sind, aber über den globalen Standard hinausgehen. Ein Wettbewerbsnachteil für amerikanische Banken?
Das befürchtet die Branche jedenfalls, die Debatte darum dürfte den Markt noch länger beschäftigen. Interessant ist aber neben möglichen Nachteilen gegenüber internationalen Banken auch der Wettbewerb mit Intermediären ohne Einlagengeschäft. Wenn Banken viel höhere Kapitalvorgaben erfüllen müssen, steht zu erwarten, dass sie die damit verbundenen Kosten schon im Vorfeld zu drücken versuchen – ob über den Abbau von Aktivitäten in bestimmten Geschäftsbereichen oder den Verkauf riskanterer Vermögenswerte. Credit-sensitivere Assets dürften dann verstärkt den Nichtbanken zufallen. Die Konsequenzen daraus für die Stabilität des Markts sind zum jetzigen Zeitpunkt wohl kaum überschaubar, weil es keine historischen Präzedenzfälle dazu gibt.
Unterdessen herrscht auch innerhalb der Regulierungsbehörden Uneinigkeit über die Vorschläge. Welche Signale sendet dies an den Markt?
Normalerweise gehen Abstimmungen in den obersten Gremien der Behörden zu Regulierungsänderungen einstimmig über die Bühne. Dass sich die Führungspersönlichkeiten in diesem Fall nicht einig waren, ist angesichts der Bedeutung der Pläne und der politischen Differenzen innerhalb des Fed-Gouverneursrates und des Direktoriums des staatlichen Einlagensicherungsfonds FDIC zwar logisch. Dass die Behörden diese Uneinigkeit aber aktiv kommunizieren, ist durchaus ein Zeichen an den Markt. Es gab ja auch eine Reihe an Kommentaren von hochrangigen Regulatoren wie Michelle Bowman.
Die Fed-Gouverneurin bemängelt genau die angesprochenen Abweichungen vom Basel-III-Standardwerk, die ihrer Meinung nach nicht zu einer höheren Konsistenz der internationalen Eigenkapitalbasis beitragen dürften.
Ja, und diesen Bedenken werden Fed und FDIC bis Ende November und der Einführung der schrittweisen neuen Regulierung ab 2025 voraussichtlich noch Rechnung tragen. Die Marktteilnehmer und wir Strategen warten zudem mit Spannung, was die mit der Aufsicht der Regulierungsbehörden befassten Kongressausschüsse zu den Regeländerungen zu sagen haben. Auch das Feedback von anderen Betroffenen wie Verbraucherverbänden wird spannend sein.
Inwieweit ist die Befürchtung, dass die strengeren Kapitalvorgaben die Kreditvergabe an Verbraucher gerade mit niedrigem Einkommen eindämmen werden, berechtigt?
Allgemein führen strengere Kapitalvorgaben tendenziell dazu, dass der Fremdfinanzierungsgrad im System abnimmt. Ich verstehe, warum insbesondere nach dem Kollaps der Silicon Valley Bank auf regulatorischer Seite der Wunsch nach weniger Leverage besteht. Die Konsequenz daraus ist aber, dass weniger ungeratete Kredite durch das Bankensystem vergeben werden. Das wird einen bedeutenden Effekt nicht nur auf einzelne Verbraucher, sondern auch auf die makroökonomische Aktivität im Ganzen haben. Es sieht danach aus, als hätten die Regulatoren diese Konsequenzen ihrer Pläne noch nicht in ihrer gesamten Tragweite durchgearbeitet.
Sie sprechen den Zusammenbruch der Silicon Valley Bank an. Schon kurz nach dem Kollaps im März prognostizierten Sie, dass eine fortschreitende Konsolidierung im Regionalbankensektor bevorstünde. Inwiefern ist der Merger von Banc of California und Pacwest angesichts des Größenunterschieds zwischen den beiden Geldhäusern dennoch überraschend?
Natürlich ist es ungewöhnlich, dass eine Bank mit 10 Mrd. Dollar an Assets ein Geldhaus mit einer Bilanzsumme von 40 Mrd. Dollar übernimmt. Doch die Situation bei Pacwest sah sehr ähnlich aus wie bei der Silicon Valley Bank: Das Geldhaus saß auf hohen, nicht realisierten Verlusten im Wertpapierportfolio. Um die regulatorisch vorgeschriebenen Eigenmittelquoten aufrechtzuerhalten, brauchte Pacwest neues Kapital. Der Merger mit Banc of California ist aus Investorensicht auf jeden Fall eine elegantere Lösung als eine staatliche Zwangsverwaltung mit anschließendem Notverkauf.
Von den Private-Equity-Firmen Warburg Pincus und Centerbridge erhalten die Fusionspartner eine Kapitalspritze im Volumen von 400 Mill. Dollar. Verändert sich der Blick der Bankenbranche auf solche Investoren?
Vor einem Jahrzehnt wäre eine solche Transaktion jedenfalls noch wesentlich schwieriger vorstellbar gewesen. Dies war auch auf die Skepsis der Private-Equity-Sponsoren nach schlechten Erfahrungen aus der Finanzkrise zurückzuführen. Allerdings blickten auch Vertreter von Geldhäusern und Behörden vorsichtig auf solche Beteiligungsformen. Insbesondere die FDIC sorgte sich davor, dass Private-Equity-Investoren Gewinne auf Kosten der Gesundheit der Banken anstrebten, und verhängte deshalb strengere Regeln für derartige Transaktionen. Der Merger zwischen Pacwest und Banc of California ist zwar ein einzelner und ziemlich spezieller Deal, aber er deutet doch auf veränderte Bedingungen hin. Es lohnt sich, diese im Auge zu behalten.
Inwiefern dürfte sich der Deal als effektiv erweisen, um das angeschlagene Vertrauen ins gesamte Regionalbankensegment zu stärken?
Es ist ein positives Signal für den gesamten Sektor, dass Fusionen und Zusammenschlüsse noch ohne Unterstützung durch die Fed oder die FDIC zustande kommen können. Denn dies zeigt, dass unabhängig von Staatseingriffen Lösungen für die existenziellen Zinsrisiken bestehen, vor denen eine große Zahl an Regionalbanken derzeit steht.
Dürfte die Konsolidierung im Sektor nun noch schneller voranschreiten als ursprünglich gedacht?
Der Druck aus der Investorengemeinde, auch ungewöhnliche Deals zum Beispiel mit Private-Equity-Beteiligung zu prüfen, wird nun vermutlich zunehmen. Durch den Merger von Banc of California und Pacwest hat sich eine Tür geöffnet, durch die nun wohl auch weitere Marktteilnehmer gehen werden wollen. Wir haben bereits vorhergesagt, dass es bis Ende des nächsten Jahrzehnts 2.500 Banken in den USA geben wird. Diese Konsolidierung dürfte nun tatsächlich schneller ablaufen wird und sich nicht über den ganzen Zeitraum hinziehen.
Wie dürfte diese schnellere Konsolidierung nun die Struktur der Dienstleistungen verändern, die Regionalbanken erbringen? In den vergangenen Jahren hat sich der Sektor ja weg von regionalen Konzentrationen und hin zu einer Spezialisierung vieler Regionalbanken auf Dienstleistungen für bestimmte Kundengruppen und Branchen bewegt.
Die Diversifikation über verschiedene Geschäftsbereiche erfährt viel Aufmerksamkeit von Regulatoren und Investoren. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich vor allem Firmen mit Schwerpunkten in unterschiedlichen Geschäftsbereichen zusammenschließen, um die Konzentrationsrisiken innerhalb der Industrie zu mindern. Entsprechende Deals dürften bei den Investoren auf größeres Interesse stoßen.
Nach der Vorstellung härterer Kapitalvorgaben für die US-Finanzbranche rechnet Nomura-Bankenstratege Greg Hertrich damit, dass Gegenwind aus der Branche die Regulatoren zum Einlenken zwingt. Zugleich seien in schnellerer Folge Fusionen unter regionalen Geldhäusern zu erwarten.
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