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Eskalation im Deutsche-Bank-Prozess

Von Michael Flämig, München Börsen-Zeitung, 9.12.2015 Warum findet sich kein Zeuge, der der Anklage im Betrugsprozess gegen fünf großteils ehemalige Deutsche-Bank-Manager zum Durchbruch verhilft? Obwohl 23 Verhandlungstage vergangen sind und obwohl...

Eskalation im Deutsche-Bank-Prozess

Von Michael Flämig, MünchenWarum findet sich kein Zeuge, der der Anklage im Betrugsprozess gegen fünf großteils ehemalige Deutsche-Bank-Manager zum Durchbruch verhilft? Obwohl 23 Verhandlungstage vergangen sind und obwohl die Staatsanwälte zusätzliche Zeugen durchgesetzt haben? Anklägerin Christiane Serini und ihr Kollege Stephan Necknig haben eine Antwort parat, die emotionale Eruptionen im Strafjustizzentrum München provoziert: Sie hätten das Gefühl, “dass einige Zeugen in diesem Verfahren versuchen, das Gericht in die Irre zu führen”. In Anspielung darauf, dass laut Anklage im früheren Zivilverfahren Zeugen aus der Bank per Rollenspiel in einem sogenannten “Mock Trial” auf ihre Aussage vorbereitet wurden, fährt Necknig fort: “Es hat den Anschein, als hätte sich an dieser mehr oder weniger ausgeprägten Mock-Trial-Praxis bis heute nichts geändert.”Kurz gesagt: Die Deutsche Bank bescheißt. Und zwar laut Staatsanwaltschaft in exakt jener Weise, die aus Sicht der Ankläger die jetzige Klage rechtfertigt. Alarmfarbe Rot bei AnwältenStarker Tobak. Auf der Verteidigerbank wechseln einzelne Köpfe während des Necknig-Vortrags in die Alarmfarbe Rot. Allerdings hat sich der Anklage-Vorstoß bereits vor gut einer Woche angedeutet. Ende November hat Necknig die Aussagen des ehemaligen BayernLB-Chefs Werner Schmidt als “denkbar unergiebig” gegeißelt und die Frage gestellt, ob es glaubwürdig sei, dass der Banker sich an die entscheidende Phase der Leo-Kirch-Verhandlungen 2002 nicht mehr erinnere. Dieses Sujet greift Necknig am Dienstag auf, indem er die Aussage des ehemaligen HVB-Vorstandschefs Albrecht Schmidt als “etwas mühsam” charakterisiert und hinzufügt: “Der Zeuge war ersichtlich bemüht, möglichst keine klaren Angaben zu machen.”Das Fazit, eingebettet in eine 22-seitige Stellungnahme samt weiteren Beweisanträgen und nun bezogen auf die Zeugen aus der Deutschen Bank: Sie seien bestens darauf vorbereitet worden – “von wem auch immer” -, was sie sagen sollten und wozu sie besser nichts sagten. Dies bezieht die Anklage auch auf zwei Organisatoren von Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen und fordert daher von der Bank, alle Aufsichtsratsunterlagen zum Thema Kirch aus dem Zeitraum Ende 2005 bis Ende 2012 (samt Ausschüssen und vorbereitenden Dokumenten) nach München zu schicken. Bank sieht VerleumdungNach diesem Vortrag ist die Fassungslosigkeit der Verteidiger mit Händen zu greifen. Sicherlich: Bühnenreife Emotionalisierung gehört zum Handwerkszeug. In diesem Prozess sind Profis am Werk, schließlich können die Angeklagten sich die Elite der deutschen Strafverteidiger leisten bzw. leisten lassen. Doch die Empörung der Anwälte an diesem Tag ist nicht nur taktisch bedingt.Damit erreicht die Eskalation eine neue Stufe. Schon vor dem Necknig-Vorwurf erklärte Annette Rosskopf als Verteidigerin von Ex-Vorstand Tessen von Heydebreck, man lasse offen, ob eine falsche Behauptung der Ankläger “aus taktischem Kalkül bewusst geschehen ist”. Fitschen-Verteidigerin Barbara Livonius stellte Ende November die Frage, ob die Ankläger Zeugenaussagen intellektuell verarbeitet hätten.Necknig beklagte sich im Gegenzug, es werde öffentlichkeitswirksam auf die Staatsanwaltschaft eingeprügelt. Wie verhärtet die Fronten sind, zeigte auch die Reaktion auf eine frühere Anregung des Gerichts, eine lange Stellungnahme zum Mitlesen zu verteilen. Nein, so die Ankläger, denn dann steige die Bereitschaft der Verteidiger zu Zwischenkommentaren.So weit das Vorspiel – doch all dies ist kein Vergleich zum Höhepunkt am Dienstag. Was sagt die Deutsche Bank zu dem Vorwurf, Beschäftigte gezielt auf Zeugenaussagen vorzubereiten? Das Kreditinstitut gilt als Nebenbeklagte, und Verteidiger Werner Leitner ist sichtlich überrascht von dem Angriff. Die Anschuldigung eines Mock Trial sei eine Ungehörigkeit, diese müsse die Staatsanwaltschaft zurücknehmen, erklärt er schließlich. Damit würden Mitarbeiter diskreditiert und verleumdet. Unter diesem Gesichtspunkt müsse man die Kooperationsbereitschaft mit der Staatsanwaltschaft komplett überdenken. Dies gelte auch für die Bereitschaft, zusätzliche Unterlagen zu übergeben. Richter warnt vor Schärfe”Hier wird scharf geschossen, das mag sein”, lautet die Replik von Necknig. Zugleich versucht er sich mit Serini in einem Rückzug. Die Auswertung der Unterlagen diene nicht dazu, gegen Mitarbeiter der Deutschen Bank irgendetwas zu unternehmen oder zu ermitteln: “Das hat nichts damit zu tun, dass wir Zeugen vor den Kadi zerren wollen.”Die Schärfe sei ihm nicht entgangen, lautet der Kommentar von Richter Peter Noll – und lässt die Ankläger so leicht nicht vom Haken. Sicherlich empfinde er die Zeugenaussagen auch als mühsam. Doch die Antwort, warum kein Zeuge der Anklage zum Durchbruch verhilft, fällt bei Noll anders aus: Es sei ein weiter Weg zu der Aussage, es sei bewusst eingewirkt worden von der Deutschen Bank. Demonstrativ befragt Noll den einzigen Zeugen an diesem Sitzungstag, einen ehemaligen Börsig-Assistenten, ob die Bank vorab mit ihm über Inhalte seiner Aussage gesprochen habe. “Nein”, lautet die Antwort. Die mühsamen Aussagen, so die Schlussfolgerung Nolls, überraschten ihn nicht, schließlich lägen die Ereignisse 14 Jahre zurück. Ursache seien also vielleicht Gedächtnislücken. Seine Warnung in die Runde angesichts der Eskalation: “,Auge um Auge und Zahn um Zahn führt zu allgemeiner Erblindung.”Warum also findet sich kein Zeuge, der der Anklage zum Durchbruch verhilft? Fitschen-Verteidiger Hanns Feigen hat seine eigene Antwort. “Die Anklage hat seit langem einen maximalen Totalschaden erlitten”, erklärt er. “Das Fiasko ist nicht zu vermeiden”, setzt er an die Adresse von Serini gerichtet fort, “vor dem Sie mit Ihrer Anklage stehen.” Prozess dauert noch längerOb die Staatsanwaltschaft die angeforderten Unterlagen bekommen wird, bleibt am Dienstag offen. Die Auskunft von Leitner, es handele sich um 40 bis 60 Leitz-Ordner, dämpft die Laune von Noll: “Dann sind wir wieder da, wo wir am zweiten oder dritten Verhandlungstag waren.” Ob man den Prozess überhaupt zu Ende bringen könne, wenn so spät so viele Ordner eingeführt würden, lautet seine in den Raum gestellte Frage.Wie geht es weiter? Inhaltlich zielt die Staatsanwaltschaft mit neuen Beweisanträgen darauf, Dokumente aus den Jahren 1998 bis 2000 einzuführen. Das Ziel: zu zeigen, dass die Deutsche Bank langfristig nach einem Türöffner für weitere Geschäftsbeziehungen mit Leo Kirch suchte. “Wir werden sicher noch zahlreiche Beweisanträge zur Einführung von Urkunden stellen”, erklärt Serini. Das Volumen der Dokumente, deren Berücksichtigung die Anklage bereits einmal angeregt hatte, schätzt Noll auf 2 500 Seiten. Er avisiert, dass man den Anträgen nachkommen werde. Die Folge: Voraussichtlich würden schon terminierte Sitzungstage im Januar entfallen und stattdessen zur Lektüre genutzt. Dafür müssten sie nach dem bisher geplanten Prozessende (spätestens am 17. Februar) angehängt werden.