EZB schätzt Lage für Banken als „fragil“ ein
EZB schätzt Lage für Banken als „fragil“ ein
Institute haben Turbulenzen in den USA und der Schweiz gut verkraftet – Weiterhin Risiken durch hohe Inflation und mögliche Preiskorrekturen
fir Frankfurt
Die Banken im Euroraum haben nach Ansicht der Europäischen Zentralbank (EZB) die jüngsten Turbulenzen im US-amerikanischen und schweizerischen Finanzsektor gut verkraftet, sehen sich aber möglichen systemischen Risiken ausgesetzt. Die Aussichten für die Finanzstabilität im Euroraum seien angesichts der Turbulenzen außerhalb der Währungsunion weiterhin „fragil“, heißt es im am Mittwoch veröffentlichten, halbjährlich erscheinenden Finanzstabilitätsbericht der EZB.
Einerseits hätten sich die Institute angesichts eines begrenzten Engagements als widerstandsfähig gegenüber den Problemen in den USA und der Schweiz erwiesen. Seit März sind Silicon Valley Bank, Signature Bank und First Republic kollabiert und die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS in einer Hauruck-Aktion unter Dach und Fach gebracht worden. Die Resilienz des Bankensektors im Euroraum sei durch in den vergangenen Jahren gestärkte Kapital- und Liquiditätspositionen, Assetqualität sowie Rentabilität erheblich verbessert worden, befindet die Notenbank. Die Widerstandsfähigkeit der Banken des Euroraums sei bemerkenswert, sollte aber nicht „zur Selbstzufriedenheit verleiten“, sagte EZB-Vizepräsident Luis de Guindos.
Europas Finanzinstitute sollten angesichts der Herausforderungen Vorsicht walten lassen und ihr Kapital beisammenhalten, mahnt die EZB. Kapitalausschüttungen sieht sie folglich skeptisch. „Die Banken sollten vor dem Hintergrund der erhöhten Abwärtsrisiken für das Wirtschaftswachstum und der jüngsten Spannungen im Bankensektor von einer weiteren Erhöhung der Auszahlungsquoten absehen und sich stattdessen darauf konzentrieren, ihre bestehende erhebliche Widerstandsfähigkeit zu bewahren“, heißt es im Bericht.
Unsichere Geschäftsaussichten
Denn andererseits sähen sich die Institute erhöhten Risiken ausgesetzt, die durch mögliche Korrekturen an Immobilien- und Finanzmärkten, durch die hohe Inflation und durch schwache Wachstumsaussichten schlagend werden könnten. Die Unternehmen im Euroraum seien mit schwierigeren Finanzierungsbedingungen und unsicheren Geschäftsaussichten konfrontiert, was vor allem jenen Firmen zusetzen könnte, die durch die Corona-Pandemie geschwächt sind.
Hinzu kämen die Inflation und in Reaktion darauf der Zinsanstieg, der Unternehmen wie Privathaushalte treffe. Angesichts der schwindenden Kaufkraft stünden vor allem Haushalte mit geringem Einkommen in Gefahr, Kredite nicht mehr zurückzahlen zu können. Die Nachfrage nach neuen Darlehen, vor allem für Wohnimmobilien, ist der EZB zufolge im ersten Quartal stark gefallen. Preisanpassungen für Immobilien seien bislang in geordneten Bahnen verlaufen, befindet die EZB, doch könne sich dies ändern, wenn wegen der Zinsen die Nachfrage weiter abnehme.
Die höheren Zinssätze führen nicht nur zu schwindenden Kreditausreichungen, sondern zu steigenden Finanzierungskosten der Banken, was ihre Rentabilität negativ beeinflussen könne. Zudem seien Anzeichen für eine Verschlechterung der Kreditqualität erkennbar. Betroffen seien vor allem Kredite für Gewerbeimmobilien und an kleinere Unternehmen. „Die Banken müssen daher möglicherweise mehr Mittel zur Deckung von Verlusten und zum Management ihrer Kreditrisiken zurücklegen“, warnt die EZB. In den vergangenen Jahren ist der Anteil notleidender Kredite an den Gesamtkrediten kontinuierlich gesunken.
Selbstkritik im Vorwort
Als nach wie vor essenziell für die dauerhafte Wahrung der Finanzstabilität bezeichnete de Guindos im Vorwort des Finanzstabilitätsberichts die Preisstabilität. „Die strengeren Finanzierungsbedingungen zur konsequenten Bekämpfung der hohen Inflation haben zu einer Neubewertung der Wirtschaftsaussichten und zu einer Umkehrung der übermäßig gedrückten Risikoprämien bei den Vermögenspreisen beigetragen“, befindet der EZB-Vizepräsident. Dadurch könnten Schwachstellen und Verwerfungen im Finanzsystem zutage gefördert werden.
Die Worte des Vizepräsidenten lesen sich wie Selbstkritik. Die EZB sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, zu spät gegen Inflation vorgegangen und dann gezwungen gewesen zu sein, die Zinsen rasch anzuheben, was zu den Verwerfungen an den Finanzmärkten beigetragen habe. Am Mittwoch richtete de Guindos dann bei der Vorstellung des Berichts den Fokus darauf, dass die EZB bei der Inflationsbekämpfung auf gutem Weg sei. In einigen Regionen Europas sei die Inflation stärker zurückgegangen als erwartet.
Die Bankenturbulenzen in den USA und in der Schweiz haben die Institute im Euroraum nach Ansicht der EZB gut wegstecken können. Dennoch drohten Risiken durch Wirtschaftsschwäche, hohe Inflation und Preiskorrekturen. Den Finanzinstituten rät die Notenbank, ihr Kapital zusammenzuhalten, statt es auszuschütten.