Fehlende Wertpapier-Lieferung wird bald bestraft
dm London – Im September 2020 soll es so weit sein: Ab dann tritt eine der umstrittensten neuen Verordnungen im europäischen Finanzmarkt in Kraft. Dann müssen Marktteilnehmer, die ihren Lieferverpflichtungen bei Wertpapiertransaktionen nicht rechtzeitig nachkommen, Strafgebühren zahlen. Und wenn innerhalb von vier Tagen die Aktien immer noch nicht vorliegen oder innerhalb von sieben Tagen die Anleihen oder andere Wertpapiere, muss die Gegenpartei, welche die Stücke nicht erhalten hat, einen sogenannten Zwangsrückkauf – einen Buy-in – bei der Gegenpartei einleiten.Dies schreibt die europäische Verordnung über Wertpapierzentralverwahrer (CSDR) vor. Dazu muss ein Buy-in-Agent – also ein unabhängiger Dritter wie ein Marketmaker in dem betroffenen Wertpapier – in Anspruch genommen werden. Allerdings kann es auch sein, dass nicht der Investor, sondern beispielsweise der Verwahrer oder die Depotbank den Buy-in-Prozess anstoßen muss.Im Markt werden dadurch erhebliche Umstellungen erwartet. Insbesondere bei der Wiederverwertung von Wertpapieren etwa in Finanzierungstransaktionen (Repos) dürfte es zu komplexen Abwicklungsprozessen solcher Buy-ins kommen. Marktbeobachter erwarten sogar, dass der Anreiz, solche Repo-Geschäfte überhaupt durchzuführen, leiden könnte – was sich wiederum negativ auf die Finanzierungsbedingungen auswirken könnte. Ausgenommen davon sind allerdings Wertpapier-Finanzierungstransaktionen mit einer Laufzeit von unter 30 Tagen. 1 Basispunkt StrafgebührDie tägliche Strafgebühr bei verspäteter Lieferung beträgt laut Sachin Mohindra, Executive Director bei der US-Investmentbank Goldman Sachs, 1 Basispunkt bei liquiden Aktien. “Für 10 Mill. Euro Nennwert macht dies also 1 000 Euro pro Tag aus.” Sind nach den genannten Zeitperioden die Stücke immer noch nicht geliefert worden, muss ein Zwangsrückkauf durchgeführt werden. Der “Buy-in” müsse durch die Handelspartei oder den zentralen Kontrahenten – das Clearinghaus – ausgelöst werden, so Mohindra, der im Bereich Securities Trade Management Business Development von Goldman Sachs arbeitet.Dies schaffe, meint Mohindra, Reibungsverluste. “Die Verantwortlichkeit liegt auf der Handelsebene, aber die Umsetzung geschieht auf Ebene der Settlement-Instruktionen”, so der Executive Director auf der Konferenz der Finanzmarktlobby AFME zum Nachhandel. Die Herausforderung bestehe darin, robuste und effiziente “Pass-on”-Mechanismen über womöglich komplexe Abwicklungsketten hinweg aufzubauen.Die Kritik an der Buy-in-Vorschrift entzündet sich daran, dass ein Zwangsrückkauf angestoßen werden muss, unabhängig davon, ob dies für die beteiligte Partei, die auf die Stücke wartet, wirtschaftlich sinnvoll ist oder nicht. Lässt sich darüber hinaus der Zwangsrückkauf nicht durchführen, findet eine Entschädigung in Bargeld statt. Diese Entschädigung bemisst sich an der Höhe eines sogenannten Referenzpreises, der sich etwa am Schlusspreis des Vortags auf dem relevantesten und liquidesten Markt für das entsprechende Wertpapier bemisst. Allerdings werden dann auch keine Stücke geliefert, so dass womöglich eine bereits aufgesetzte Transaktion, etwa ein Swap, eine Kreditausfallversicherung oder ein Leerverkauf, wieder aufgelöst werden muss.Dies werde dazu führen, dass Marketmaker und Liquiditätsspender in Transaktionen, bei denen sie befürchten müssen, dass die eine Partei nicht liefert, einen höheren Angebotspreis stellen müssen, meint Andy Hill von der Kapitalmarktvereinigung ICMA. Laut einer Untersuchung der ICMA, die bereits im Jahr 2015 erstellt worden ist, dürfte es durch die Einführung des zwangsweisen Buy-in im Anleihemarkt zu signifikant ausgeweiteten Geld-Brief-Spannen kommen.”Es handelt sich um ein vertikales und horizontales Problem gleichzeitig”, sagte Mohindra. Denn es gehe um eine zeitgerechte und genaue Verteilung der Strafzahlungen von den Mitgliedern der Zentralverwahrer sowie von den globalen Depotstellen über die gesamte Halterkette zu den Endparteien. Potenziell weltweitDie Reichweite der Buy-in-Regulierung ist dabei potenziell weltumspannend: Auch wenn eine Gegenpartei in New York oder Hongkong sitzt und ihre Transaktion über einen internationalen Zentralverwahrer in Europa abgewickelt wurde, muss sie an dem Buy-in-Prozess teilnehmen und einen Zwangsrückkauf bei der Gegenpartei aufsetzen. Laut der ICMA besteht allerdings durch die offensichtlich mangelhafte Art und Weise, wie der Buy-in-Prozess in der Verordnung sowie im zugehörigen technischen Standard reguliert ist, ein Anreiz, solche Buy-ins immer schon von Anfang an anzustoßen. Ob dies in Phasen von Marktstress sinnvoll ist, darf bezweifelt werden.