LEITARTIKEL

Fintech im Fadenkreuz

Der geplatzte Börsengang des chinesischen Fintech-Riesen Ant Group wird als Schandfleck in die Wirtschaftshistorie eingehen. Ein Triumphzug an den Börsen in Hongkong und Schanghai ist kurz vor Einmarsch unter einem Erdrutsch begraben worden, den...

Fintech im Fadenkreuz

Der geplatzte Börsengang des chinesischen Fintech-Riesen Ant Group wird als Schandfleck in die Wirtschaftshistorie eingehen. Ein Triumphzug an den Börsen in Hongkong und Schanghai ist kurz vor Einmarsch unter einem Erdrutsch begraben worden, den Chinas Finanzregulatoren ausgelöst haben. Einfach aufstehen, Staub abklopfen und mit einem frischen Börsenprospekt weitermachen geht nicht mehr. Vielmehr wird sich Ant nun in einem langwierigen Prozess wieder freischaufeln und ihr Geschäftsmodell geradebiegen müssen.Das setzt eine monatelange Herkulesarbeit voraus und darüber hinaus auch guten Willen der chinesischen Finanzwächter. Von einem Einlenken der Aufseher ist aber nicht viel zu sehen. Eher scheint Peking eine konzertierte Aktion losgetreten zu haben, um chinesische Tech-Unternehmen, darunter auch die Ant-Schwester Alibaba, kartellrechtlich unter Verdacht von monopolistischen Praktiken anzugehen.Drei Tage vor dem geplanten Börsendebüt wurde der Ant-Gründer und Internetmilliardär Jack Ma zu einer Sondersitzung mit Chinas Finanzregulierer-Creme einbestellt. Ma wurde kurzer Prozess gemacht, also klargestellt, dass der Traum einer Generalüberholung des chinesischen Finanzdienstwesens durch die Digitalisierungskünste seines Fintech-Riesen nicht länger im Sinne Pekings ist. Ant Group hat sich zwar mit ihrer allgegenwärtigen Bezahl-App Alipay und einem mittlerweile riesigen Mikrokreditgeschäft um die Finanzinklusion verdient gemacht, also auch Menschen mit geringem Einkommen den Zugang zu Finanzen ermöglicht. Aber dafür werden keine Blumensträuße mehr überreicht. Vielmehr soll nach dem Willen der heimischen Regulatoren Finanzstabilität, Kontrolle von systemischen Risiken und nicht zuletzt der Schutz von traditionellen Kreditvergabekanälen und damit von staatlichen Finanzinstituten wieder im Vordergrund stehen.Der Sinneswandel kam auf, als sich Chinas Bankenaufseher den Börsenprospekt näher angesehen haben, nachdem Ant zuvor nur den lokalen Überwachungsprozeduren für Internetplattformen unterlag. Aus den Listingunterlagen heraus ist ihnen wohl erst klar geworden, mit welchem Wachstumspotenzial und Skaleneffekten Ant bei Konsumfinanzierungen unterwegs ist, ohne die Geschäfte in die eigenen Bücher zu nehmen oder gar mit Eigenkapital zu unterlegen. Und sie dürften ein wenig erschrocken darüber gewesen sein, dass Ant mit einem projizierten Marktwert an der Börse von über 350 Mrd. Dollar den weltweiten Spitzenreiter J.P. Morgan deutlich hinter sich lassen würde. Das alles schreit förmlich nach systemischer Risikorelevanz, die bislang allerdings allem Anschein nach geflissentlich übersehen worden war.Da sich Ma ungeschickterweise im Vorfeld des Börsengangs auf einem Kongress zu einer Brandrede über Sinn und Unsinn von Fintech-Regulierung hinreißen ließ und sich dabei über die schwerfällige, tradierte und staatskontrollierte Kreditwirtschaft mokierte, sahen sich Finanzwächter erst recht auf den Schlips getreten. Dann hat das Staatsimperium kurzentschlossen und beinhart zurückgeschlagen.Ma sieht Fintechs in erster Linie als unschuldige Tech-Unternehmen, die mit Algorithmen-Power der Finanzbranche einen innovativen Weg zu Erschließung neuer Geschäftsfelder weisen. Mehr “Tech” als “Fin”, lautet also die Kernbotschaft. Chinas Aufseher-Garde mag das bisher genauso gesehen haben, nun aber öffnet ihr ausgerechnet Ma selbst unwillkürlich die Augen. Das führt zu einer tektonischen Plattenverschiebung bei der Fintech-Regulierung mit dem Resultat, dass es hier in erster Linie doch um “Fin” und nicht so sehr um “Tech” geht. Darauf hätte man freilich auch früher kommen können.——Von Norbert Hellmann Die Absage des Börsengangs der chinesischen Ant Group ist nur der Anfang. Pekings Aufseher haben der Fintech-Branche den Krieg erklärt.——