IM INTERVIEW: THOMAS A. LANGE

"Folgen der Krise bis mindestens 2023"

National-Bank-Chef: Keine Gefahr für Bankenkrise in Deutschland - Wider "Nachhaltigkeitsanreize ohne sachgerechten Risikobezug"

"Folgen der Krise bis mindestens 2023"

Die National-Bank in Essen ist bislang gut durch die Krise gekommen. Vorstandschef Thomas A. Lange warnt jedoch vor übersteigerter Euphorie. Er rechnet damit, dass sich die Folgen der Krise bis mindestens 2023 bemerkbar machen. Die verschobene Ausschüttung wird noch im Dezember nachgeholt. Herr Dr. Lange, wie ist die National-Bank bislang durch die Coronakrise gekommen?Wir haben uns für ein anderes Konzept entschieden als viele andere Institute. Als Teil der kritischen Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen waren alle unsere Geschäftsstellen die ganze Zeit hindurch geöffnet. Um die innerbetriebliche Solidarität zwischen den Tarif- und leitenden Angestellten, gerade in dieser außergewöhnlichen Situation, zu erhalten, haben wir auch kein mobiles Arbeiten angeordnet, sondern mit geeigneten Schutzmaßnahmen dafür gesorgt, dass sie sicher ins Büro kommen und arbeiten konnten. Geholfen hat uns dabei sicherlich, dass wir kaum Großraumbüros haben. Wie haben die Kunden reagiert?Im Frühjahr gab es für einige Tage einen wahren Run auf Bargeld. Manche Kunden haben Geld abgehoben und es anschließend in den Tresoren deponiert. In einem Fall hat ein Kunde so viel Bargeld geholt, dass wir eine Sackkarre brauchten, um das Geld in den Keller zu schaffen. Solche Geschichten kann man sich nicht ausdenken, die schreibt das Leben. Wie ist die National-Bank bislang wirtschaftlich durch die Krise gekommen?Wir bewegen uns bis zum heutigen Tag auf dem erfreulichen Niveau von 2019. Die Erträge vermochten zuzulegen, die Kosten sind stabil und die Entwicklung der Risiken bislang unauffällig. Die Eigenkapitalrentabilität beträgt 11,2 % und befindet sich oberhalb unseres Zielkorridors von 7 bis 9 %. Aus diesem Grund werden wir am 18. Dezember zu einer außerordentlichen Hauptversammlung einladen, um die im Frühsommer ausgesetzte Dividendenzahlung – wir schütten 0,80 Euro je Aktie aus – nachzuholen. Ein Krisenthema ist die Risikovorsorge im Firmenkundengeschäft. Wie hat sich diese entwickelt?An dieser Stelle kann ich Entwarnung geben. Per Ende September haben wir ein positives Risikoergebnis im Kreditgeschäft. Für das Gesamtjahr gehe ich von einem unauffälligen Saldo aus. Aber die Pandemie und ihre Folgen sind noch lange nicht vorbei. Es bedarf weiterhin einer großen Risikosensibilität. Haben Sie in diesem Jahr kein Kreditgeschäft gezeichnet?Im Gegenteil, unser Kreditbestand ist zum 30. September um knapp 6 % gewachsen. Allerdings sind wir nicht in den von der Krise besonders betroffenen Branchen engagiert. So haben wir in der Gastronomie, in der Hotellerie, im Messebau, in der Reise- und Tourismuswirtschaft keine nennenswerten Forderungen an Kunden. Dasselbe gilt für den textilen Einzelhandel. Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass aus der Coronakrise am Ende eine Bankenkrise wird?Die deutsche Kreditwirtschaft ist im Grundsatz ordentlich aufgestellt. Deshalb sehe ich hier keine Gefahr einer Krise. Die Herausforderungen in anderen, insbesondere südeuropäischen Ländern sind hingegen ungleich größer. Was macht den Unterschied in der deutschen Bankenlandschaft aus?Zum einen sind die Banken heute deutlich widerstandsfähiger als vor zehn Jahren. Die Risikosteuerung wurde verfeinert, das Kostenbewusstsein geschärft und die Technologiesensibilität erhöht. Dabei hat sich die Regulierung in summa als nachhaltig stabilisierend ausgewirkt. Zum anderen hat sich die Einstellung der Führungskräfte in den börsennotierten Instituten geändert. Vielerorts ist die Abkehr von der reinen Maximierung des Shareholder Value vollzogen worden. Die Coronakrise wird dennoch Spuren in den Bankbilanzen hinterlassen. Es ist ja schlichtweg nicht davon auszugehen, dass alle Firmen die KfW-Kredite fristgerecht und vollumfänglich zurückzahlen werden.Stimmt. Deshalb gilt: Wir müssen bescheiden bleiben. Demut kommt vor Hochmut. Die Folgen der Krise werden sich nicht allein in der Dotierung der Risikovorsorge 2020, sondern mindestens bis 2023 zeigen. Sie sagen, Ihr Kreditgeschäft ist gewachsen. Aber wie sieht es mit der Investitionsneigung im Mittelstand aus?Im ersten Halbjahr gab es eine Vollbremsung. Im Laufe des Sommers haben die Unternehmen ihre Investitionen schrittweise reinitialisiert, wobei die Gegenbewegung bei den Ausrüstungsinvestitionen die der Gesamtwirtschaft übertraf. Dennoch ist die Investitionsneigung der Unternehmen nach wie vor erheblich eingeschränkt. Was das Infektionsgeschehen anbelangt, glaube ich, wird es weitere, wenn auch perspektivisch abflachende, Wellen geben – unabhängig davon, wann der Impfstoff verfügbar ist und wie seine Zuteilung erfolgt. Ich rechne damit, dass uns das Thema “Corona” noch lange beschäftigen wird. Das Thema Nachhaltigkeit hat trotz der Coronakrise nicht an Bedeutung verloren. Welche Auswirkungen hat das auf das Firmenkundengeschäft der Bank?Vor wenigen Wochen hat sich die National-Bank die Klima-Selbstverpflichtung des deutschen Finanzsektors zu eigen gemacht. Damit zählen wir zu einer Gruppe, die bis heute 20 Institute umfasst und die weiter wachsen wird. Nachhaltigkeitsaspekte betreffen aber nicht nur das Geschäft mit Firmenkunden, sondern Immobilienfinanzierungen ebenso wie das Depot-A. Soweit das Kreditgeschäft betroffen ist, ist die Bank als Gesellschafterin der Credarate Solutions, eine der bundesweit führenden Gesellschaften für das Angebot bankaufsichtlich anerkannter interner Ratings, stark engagiert, gemeinsam mit anderen Partnern wie etwa der Aareal Bank oder der Deutsche Apotheker- und Ärztebank ein Nachhaltigkeits- beziehungsweise ESG-Scoring zu entwickeln. Und was wäre die Folge eines negativen Scorings?Das ist eine geschäftspolitische Entscheidung in der Steuerung der Bank. Sie kann zu einer höheren Bepreisung ebenso führen wie zu dem Entschluss, kein Angebot einer Finanzierung zu unterbreiten. Was halten Sie persönlich von der Idee, grüne Finanzierungen mit Kapitalerleichterungen zu begünstigen?Nachhaltigkeitsanreize ohne sachgerechten Risikobezug mittels begünstigender Kapitalanforderungen halte ich nicht für den richtigen Weg. Es kann jedoch sinnvoll sein, bestehende Regelungen zum Beispiel bei der Ermittlung von Kapitalbedarf in der sogenannten Säule 2 auch für Zwecke der Nachhaltigkeit zu nutzen, vorausgesetzt, sie weist einen klaren Bezug zum Risikoprofil einer Investition oder Kreditvergabe auf. Ist es für eine Regionalbank nicht ungleich schwieriger ESG-Kriterien bei der Kreditvergabe zu berücksichtigen?Nein, denn es geht darum, im Umgang mit den Nachhaltigkeitsrisiken einen dem jeweiligen Geschäftsmodell und Risikoprofil angemessenen Ansatz zu entwickeln, diesen zu dokumentieren und im Zeitablauf an sich verändernde Gegebenheiten anzupassen. Dies bedeutet, dass bei einem schwächer ausgeprägten Risikoprofil, wie es insbesondere bei regional tätigen Banken anzutreffen ist, einfachere Strukturen, Prozesse und Methoden ausreichen können. Der Bundesverband deutscher Banken nutzt die Krise, um eine Reform der Bankenabgabe und damit faktisch eine Reduzierung der Bankenabgabe, die auch von Ihnen in der Vergangenheit heftig kritisiert wurde, zu erreichen. Wie realistisch ist das?Ich halte das für eine gute Initiative, denn der Abwicklungsfonds hatte ursprünglich eine Zielgröße von 55 Mrd. Euro. Da die gedeckten Einlagen als Bemessungsgrundlage durch die ultralockere Geldpolitik stark gewachsen sind, ist die Zielausstattung inzwischen auf etwa 70 Mrd. Euro gestiegen. Das führt im Ergebnis dazu, dass die Kreditwirtschaft für die Politik der Europäischen Zentralbank bestraft wird. Halten Sie es für realistisch, dass es zu einer Nachjustierung beziehungsweise Abkoppelung vom Wachstum der gedeckten Einlagen kommt?Ich halte es für realistisch, dass die Initiative von Erfolg gekrönt sein wird. Denn Regulierung braucht nicht nur einen verlässlichen Rahmen, sondern auch Ehrlichkeit im Umgang miteinander. Das Interview führte Annette Becker.