Hat sich die Bankenregulierung verbaselt?
Gastbeitrag
Hat sich die Bankenregulierung verbaselt?
Von Klaus Leusmann, Fachautor und ehemaliger Leiter der ZEB-Akademie
Das vorrangige Ziel der Regulierung besteht in der Sicherung der Finanzstabilität, wie in Deutschland gleichermaßen Bundesbank und auch das Bundesministerium der Finanzen (BMF) gerne betonen. In seinem Monatsbericht vom März 2019 stellt das Bundesministerium die rhetorische Frage „Zehn Jahre nach der Finanzkrise: Haben die Reformen der Finanzmarktregulierung den Finanzsektor krisenfester gemacht?“ und beantwortet diese Frage im nachfolgenden Text selbstverständlich mit „Ja“. Bei diesem Ja bezieht sich das Ministerium auf Studien, welche die G20-Staaten 2017 in Form eines „Rahmenwerkes zur Evaluierung von Reformen der Finanzmarktregulierung“ initiiert haben.
Diese Studien machen den Regulierungserfolg vor allen an der signifikant verbesserten Eigenkapital- und Liquiditätsausstattung fest. Alles andere als das zitierte Ja wäre auch extrem bedauerlich, da die exponentiell gewachsene (Detail-)Regulierung (Umfang Basel I: ca. 100 Seiten; Umfang Basel IV über 7.000 Seiten), ihre Umsetzung und ihre Überwachung Milliardensummen verschlungen haben und noch weiter verschlingen.
In den Grundfesten erschüttert
Mit dem Kollaps der global systemrelevanten Credit Suisse im März dieses Jahres wurden diese Gutachten zusammen mit den Regulierungen Basel III und IV in den Grundfesten erschüttert. Nachdem der frisch aus der Druckerpresse veröffentlichte Jahresabschluss der Bank noch per 31.12.2022 ein Eigenkapital von knapp 48 Mrd. sfr bei mutmaßlicher Einhaltung aller Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen sowie die Erfüllung der Risikotragfähigkeitskriterien testiert hat, wird die Bank nicht einmal drei Monate nach dem Bilanzstichtag zu Grabe getragen. Grund: Die anhaltende Vertrauenserosion hat für zwei Stakeholdergruppen (Kunden und Aktionäre) eine Eskalationsgrenze unterschritten.
Der daraus resultierende Schaden kann für alle Beteiligten nachvollziehbar in Franken beziffert werden. Es ist die Differenz zwischen dem per 31.12.2022 testierten Eigenkapital und dem berichteten Kaufpreis von 3 Mrd. sfr. Da Vertrauen in diesem Zusammenhang wesentlich auf der ethischen Wahrnehmung der Bank bzw. seines Managements durch die Stakeholder beruht, wurde mit diesem Beispiel noch einmal verdeutlicht, dass Ethik in Form des Interessensausgleichs der Stakeholder kein Gedöns, sondern harter Erfolgs- und Stabilitätsfaktor ist. Wie bereits in vorherigen Beiträgen ausgeführt, ist dieser Interessensausgleich der Stakeholder über Indikatoren messbar. Nimmt man beispielsweise den Anteil des realwirtschaftlichen Geschäftes an der Bilanzsumme, das (bei der Credit Suisse negative) Verhältnis von Jahresüberschuss vor Steuern zu Bonuszahlungen, Kundenzufriedenheit, Reputation etc., so wird deutlich, dass die ethische Dimension des nachhaltigen Erfolges nicht gegeben und die Eskalation der genannten Stakeholdergruppen eine zwangsläufige Folge war.
7.000 Seiten Regulierung
Damit bleibt die Frage, warum die weltbesten Experten auf über 7.000 Seiten Baseler Regulierung diesen entscheidenden Punkt nicht berücksichtigt haben. Sie kratzen sich möglicherweise gerade die Köpfe und stellen sich mit Blick auf die jüngsten Ereignisse Fragen wie: Warum konnte eine Bank mit 48 Mrd. sfr Eigenkapital bei gegebener ökonomischer und normativer Risikotragfähigkeit kollabieren? Welche Risikoart ist hier schlagend geworden? Wie hätte man den Value at Risk berechnen können? Warum rauscht dieser Fall durch all unsere Denk- und Regulierungsmuster? Könnte etwas Ähnliches nicht mit allen anderen global systemrelevanten Instituten (einschließlich UBS) passieren? Wie muss auf der Basis dieser Erfahrung Basel V aussehen, um das gerade Erlebte für die Zukunft auszuschließen?
Zwei Faktoren
Über Allem steht die Frage: Hat sich die Bankenregulierung verbaselt? Zur Beantwortung dieser Frage bietet sich eine Kombination aus zwei Ursachen an:
- Regulierung aus der Rückschau
Die Baseler Regulierung hat sich immer rückschauend auf der Basis gerade erlebter Katastrophen entwickelt. So wird das Baseler Konkordat von 1975 als Reaktion auf die Pleite von Herstatt und der Franklin Bank in den USA (beide 1974) erklärt. Basel III und IV waren Reaktionen auf die Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise. Eine Regulierung, die darauf beruht, dass man das gerade Erlebte wiederum für die Zukunft ausschließen will, wird jedoch nie fertig, weil die Zukunft mit ihren zunehmenden Extremereignissen keine Wiederholung der Vergangenheit ist. In diesem Zusammenhang gar von einer (detaillierten) „Feinjustierung“ zu sprechen, erscheint fast schon als Unsinn. Schreibt man diese Entwicklung in die Zukunft fort, so wird wohl irgendwo zwischen Basel V und Basel XXVII gefühlt die Grenze zur Planwirtschaft überschritten und die Unternehmerverantwortung noch weiter durch eine Vorschriftserfüllungsverantwortung ersetzt. Auf diesem Rückschaufehler basiert auch das Versagen der ökonomischen Risikotragfähigkeit, weil das Messen der Risiken auf der Basis der Daten der Vergangenheit beruht. Gleiches gilt wohl auch für die Prognosemodelle der EZB für die Inflationsrate, wie Frau Lagarde im August vergangenen Jahres schmerzlich bekennen musste. Der Rückschaufehler wurde in der Wissenschaft zwar vielfach erörtert und bewiesen, aber eben in der Psychologie und nicht in der Betriebswirtschaft. In diesem Zusammenhang können sogenannte Experten bildlich auch als „Risikopatienten“ gesehen werden, weil ihre Expertise weitgehend auf „Postgnostik“ beruht. - Vernachlässigung der ethischen Dimension des nachhaltigen Erfolgs
Empirische Erhebungen zeigen, dass gerade die Banken den geringsten nachhaltigen Erfolg aufweisen, welche die Maximierung des Shareholder Value am konsequentesten verfolgen. Dieser Sachverhalt kann z.B. am gleitenden Zehn-Jahres-Durchschnitt der Eigenkapitalrentabilität vor Steuern im Verhältnis zur Ergebnisvolatilität für die entsprechenden großen Universal- und Investmentbanken nachgewiesen werden. Ihr nachhaltiges Ergebnis liegt bei einem Bruchteil von beispielsweise dem einer durchschnittlichen Sparkasse oder Volksbank. Der Zusammenhang zwischen den Indikatoren für den Interessensausgleich der Stakeholder und dem nachhaltigen Erfolg ist signifikant. Diese Beobachtung erscheint zutiefst logisch, weil das Streben nach Maximierung des Shareholder Value dazu verleitet, dieses zu Lasten anderer Stakeholder zu tun, bis diese eskalieren. Genau eine solche Eskalation haben wir gerade bei der Credit Suisse in bisher extremster Form (mit Blitztod der Bank) erlebt. Weder die Betriebswirtschaft noch die Regulierung haben die Ethik bzw. den Interessensausgleich der Stakeholder als Erfolgs- und Stabilitätsfaktor erkannt oder gar gewürdigt.
Vor diesem Hintergrund darf man gespannt sein, ob der Banksteuerung die Integration der Nachhaltigkeitsdimension mit dem Interessensausgleich der Stakeholder gelingt, das Risikomanagement die Risiken künftig in der Zukunft statt in der Vergangenheit sucht und die Bankenregulierung sich wieder auf das Setzen von entscheidenden Rahmenbedingungen, einschließlich des Interessensausgleichs der Stakeholder, konzentriert statt weiterhin an der „Feinjustierung“ zu arbeiten.
Jedenfalls dürfen wir alle sehr gespannt sein auf Basel V.