FINANZEN UND TECHNIK - IM INTERVIEW: CHRISTIAN WIENS

Getsafe will via Großbritannien die Tür zur Welt öffnen

Der Gründer und CEO über den geplanten UK-Start, den Eintritt in weitere Märkte und die Vorteile des Plattformansatzes bei diesen Vorhaben

Getsafe will via Großbritannien die Tür zur Welt öffnen

Das Insurtech-Start-up Getsafe aus Heidelberg positioniert sich seit dem Verkauf des Maklergeschäfts im Herbst 2018 an Verivox als Digitalversicherer, der Versicherungsprodukte aus mehreren Sparten selbst entwickelt und anbietet. Dazu setzt Getsafe auf digitale Lösungen und künstliche Intelligenz. Im Interview spricht CEO und Gründer Christian Wiens über den geplanten Markteinstieg in Großbritannien und weitere Expansionspläne. Herr Wiens, mit welchen Produkten wollen Sie im ersten Quartal 2020 in Großbritannien starten?Wir beginnen mit einem Produkt, das wir heute in Deutschland schon anbieten, eine Hausratversicherung, die noch eine Haftpflichtkomponente enthält. Die ist natürlich an den dortigen Markt angepasst worden, doch wir entwickeln ohnehin alles auch auf Englisch. Das ist also sprachlich keine große Übersetzungsaufgabe. Der Vorteil ist, dass wir unsere Technologieplattform, also auch unser Policen-Administrationssystem, von Beginn an so gestaltet haben, dass wir schnell und effizient in weitere Märkte und Produktsparten gehen können. Wie sehen Ihre Zielvorgaben aus?Der UK-Markt gilt prämienseitig als der stärkste in Europa. Das liegt sicher auch an Pensions- oder Krankenversicherungen und anderen Themen. Gerade junge Kunden sind dort jedoch digitalaffiner als hier und zeigen sich sehr offen, auch Finanzdienstleistungen, also etwa Banking- oder Geldtransfer-Lösungen wie Revolut, N26 oder Transferwise, über das Smartphone zu verwenden. Für diese Zielgruppe gibt es bislang aber noch keine Versicherungslösung, die genauso funktioniert, also mit einer mobilen Smartphone-App. Was heißt das konkret in Zahlen?Wir planen, dort noch schneller zu wachsen als in Deutschland. Ich kann jetzt noch keine genaueren Zahlen nennen, aber wir wollen natürlich auch dort relativ schnell auf 100 000 Policen kommen. Das wird sicher mindestens ein Jahr dauern, aber wir sind überzeugt, dass wir dort auf sehr fruchtbaren Boden stoßen. Sind perspektivisch auch UK-spezifische Angebote über Produkte, die Sie in Deutschland anbieten hinaus, vorgesehen?Wir beschränken uns zwar darauf, aber auch in Deutschland wird unser Produktportfolio wachsen. Wir werden nächstes Jahr in die Lebensversicherung einsteigen. Das hier ist unser Kernmarkt, aber unsere Vision ist, einen europäischen Multiline-Direktversicherer aufzubauen, bei dem wir in allen Ländern das Produktportfolio nachziehen. Wie sieht hier der Zeitplan aus?Wir sind zwar schon relativ flink und können innerhalb von vier bis zwölf Wochen ein Produkt hinstellen, aber im Lebensversicherungsbereich dauert es ein bisschen länger. In England bauen wir zunächst ein Sachversicherungsportfolio auf und im zweiten Schritt dann Kranken- und Lebensversicherungen. Wie schätzen Sie die Wettbewerbslage in Großbritannien ein?Man sagt ja immer, dass Versicherung dort erfunden wurde, doch wenn man sich Europa ansieht, ist der Insurtech-Markt in Deutschland mit Abstand am stärksten. Das liegt auch daran, dass wir hier eine große Versicherungstradition haben, mit zum Beispiel der Allianz oder Munich Re. In UK sind zwar Fintechs schon sehr weit, aber im Insurtech-Bereich gibt es eher Nischenangebote, also Tierkrankenversicherungsspezialisten etwa. Oder aber Webseiten zur Vermittlung von klassischen Policen wie Hausratversicherung. Da geht es nicht um mobile Apps und Millennials. Es gibt dort noch keine Neo-Insurance-Companies vergleichbar mit den Neobanken. Deshalb wollen wir möglichst schnell in diesen Markt, weil wir da eine große Chance sehen. Wie beurteilen Sie das Marktvolumen in UK?Der Markt ist prinzipiell ähnlich attraktiv wie der deutsche. Aus unserer Sicht gibt es in den nächsten zehn Jahren in ganz Europa ein Policenpotenzial von einer Milliarde bei den Millennials, den Kunden, die heute unter 35 Jahre alt sind. Diese Kundschaft wird wohl um die 300 bis 500 Mrd. Euro an Prämien im nächsten Jahrzehnt ausgeben. Die Frage ist, wo dieser Markt stattfinden wird, wo diese Versicherungen abgeschlossen werden. Das wird sich verändern. Inwiefern?Heute ist der Versicherungsmarkt zu über 95 %, in der Lebensversicherung sogar noch zu 100 % komplett offline. Aber das Kundenverhalten der Leute unter 35 insbesondere ist in anderen Bereichen schon komplett digital. Und da sehen wir unser Marktpotenzial. Wir schauen auf diese eine Milliarde Policen für ganz Europa und gehen davon aus, dass ein großer Teil digital abgeschlossen wird. Und davon wollen wir uns ein möglichst großes Stück nehmen. Genauer beziffern lässt sich das derzeit aber nicht. Aber welchen prozentualen Marktanteil streben Sie an?Uns interessiert nicht der Gesamtmarkt, sondern die Zielgruppe der Versicherungseinsteiger. Es geht um Leute, die zum ersten Mal eine Versicherung brauchen und noch keinen Makler haben. Und in diesem Neugeschäftsmarkt kratzen wir in Deutschland schon an etwa 10 % Marktanteil. Wir haben mehr Versicherungen an junge Leute verkauft, die sich zum ersten Mal eine Versicherung zulegen, als jeder andere Versicherer. Und das haben wir in knapp zwei Jahren geschafft. So etwas Ähnliches stellen wir uns auch in Großbritannien vor. 10 % wird die erste Schwelle sein, und die wollen wir dort noch ein bisschen schneller erreichen. Ab wann hat sich der Einstieg in UK gerechnet?Für uns sehr schnell. Wir wollen eine Multiline-Versicherung aufbauen, aber wir agieren mehr wie eine Plattform à la Uber, Netflix oder Spotify. Wir sourcen einen großen Teil an Regulatorik oder Kapitalanforderungen an Partner wie die Münchener Rück aus und konzentrieren uns darauf, vorn das Kundenerlebnis zu gestalten. So können wir sehr rasch und kosteneffizient auch in andere Produktsparten und Länder gehen. Dass Uber etwa so schnell das größte Taxiunternehmen der Welt geworden ist, ging natürlich nur, weil sie die ganzen Dinge nicht selbst besessen, aber trotzdem das Produkt gestaltet haben und anbieten. Für uns ist ein Markteintritt nicht viel teurer als die Entwicklung eines neuen Produkts in Deutschland, weil das mit wenigen Anpassungen auf der gleichen Plattform funktioniert. Uber tätigt aber doch große Investitionen, etwa in eigene autonome Fahrzeuge.Das stimmt, das verändert sich nun. Bei Uber ist natürlich die große Vision, dass ihnen jedes Uber-Fahrzeug gehört und autonom fährt. Auch wir werden die Wertschöpfungskette weiter hochklettern. Doch um überhaupt so wachsen zu können, braucht es den Plattformansatz. Wie gehen Sie mit den Brexit-Unwägbarkeiten um?Wie auch immer der Brexit vonstattengeht, sind wir nicht davon berührt, weil wir als Plattform organisiert sind. Wir haben in Großbritannien eine Limited gegründet, sind dort gemeldet und lizenziert. Wir arbeiten dort mit einem britischen Risk Partner und können in diesem Markt isoliert arbeiten. Was ein bisschen nerviger wird, ist die Buchhaltung innerhalb der Gruppe, also zwischen der Tochtergesellschaft in England und der Muttergesellschaft in Deutschland. Aber dafür haben wir gute Buchhaltungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die uns unterstützen. Das ist keine Barriere. Wie sieht Ihre Planung für den avisierten Eintritt in den österreichischen Markt aus?So wie in UK werden wir im ersten Quartal 2020 in Österreich an den Markt gehen. Das ist aber strategisch und vom Potenzial her lang nicht so spannend, was die Marktgröße angeht. Wir sind ein Start-up, da geht es um gute Storys und anspruchsvolle, mutige Schritte, die man geht. Und da ist UK natürlich in Europa das Nonplusultra. Wenn man das schafft, stehen einem die Türen zur Welt, in die USA und so weiter offen. Österreich ist für uns eher eine logische Konsequenz, da wir in Deutschland mit einem fast baugleichen Produkt aktiv sind. Das hat aber eine geringere strategische Priorität, daher werden wir auch zuerst in UK an den Start gehen. Und Ihre Pläne für Spanien, Frankreich oder Italien?Das wird sich eher Richtung Ende 2020 bewegen. Wir wollen zunächst einmal Österreich und insbesondere UK gut hinbekommen. Und in Deutschland wollen wir den Marktanteil bei Versicherungseinsteigern und Millennials weiter ausbauen sowie in die Produktsparte Lebensversicherung einsteigen. Das ist auch ein ganz schönes Brett. Werden Sie Ihr Ziel von 100 000 Policen bis Jahresende erreichen?Wir haben gerade ein neues Produkt, eine Auslandskrankenversicherung, an den Markt gebracht, das insbesondere an die bestehenden Kunden vertrieben wird. Wir machen über 30 % unseres gesamten Geschäfts über Up-Selling. Wir liegen also im Plan und können die Ziele sogar übertreffen. Für wann ist der Break-even vorgesehen?Da ist eher die Frage, wann wir könnten und wann wir wollen. Wir planen in den nächsten drei bis fünf Jahren zumindest nicht zwangsweise den Break-even, weil wir glauben, dass wir etwas viel Größeres aufbauen können. Und dafür braucht es Wachstum und Investment. Neukundenwachstum ist im Versicherungsbereich erstmal eine teure Investition. Und wenn Sie das in ganz Europa machen wollen, dann wird es noch teurer. Wir sehen jetzt eine Gelegenheit. Die traditionellen Versicherer bewegen sich zwar ein bisschen, aber noch nicht genug. Und das ist unsere Chance.Das Interview führte Franz Công Bùi.