Glasnost in Brüssel
Einen solchen Mittelständler gibt es kein zweites Mal. Vermögenswerte im Wert von beinahe dem Doppelten des Bruttosozialprodukts der Europäischen Union werden von Euroclear verwahrt und Transaktionen im Wert des Zehnfachen der globalen Wirtschaftsleistung abgewickelt. Der internationale Zentralverwahrer, 2018 fünfzig geworden, ist mit rund 4 000 Angestellten ein stiller und verschwiegener Riese in der Finanzbranche. Seitdem Anfang 2017 Lieve Mostrey das Amt des CEO angetreten hat, weht der Wind der Veränderung durch die Flure des Wettbewerbers des Deutsche-Börse-Zentralverwahrers Clearstream. Ein fundamentaler Wandel im Umgang mit seinen Aktionären sei angesagt, sagt Mostrey. Bislang sind die meist Kunden, um die 115 sollen es sein, Namen nennt das Unternehmen nicht.Stück für Stück öffnet sich Euroclear, etwa in der Finanzberichterstattung: Es ist ein bisschen Glasnost am Boulevard du Roi Albert II in Brüssel. Mostrey hat kürzlich auch öffentlich bestätigt, einen Börsengang oder den Verkauf von Aktien über eine Privatplatzierung zu prüfen. Aber sie hatte auch gegenüber der Börsen-Zeitung dezidiert erklärt, unabhängig bleiben zu wollen. Eine Entscheidung zur Aktionärsstruktur stehe in den nächsten Tagen an, meldete Bloomberg nun am vergangenen Wochenende und berichtete von Interesse des Buy-out-Spezialisten CVC und des Singapurer Staatsfonds GIC an Euroclear-Anteilen. Für die mit üppigen Mitteln ausgestattete CVC, zu deren Partnern auch Alex Dibelius zählt, wäre der Zeitpunkt eines Einstiegs günstig, und zumindest gibt es ein gewisses Know-how über einige Beteiligungen in der Finanzindustrie (Paysafe, Oanda). Auch gilt das Umfeld in Europa für Börsengänge derzeit nicht als besonders gut, nicht zuletzt wegen des Brexit.Aber eine Publikumsöffnung hätte Charme. Euroclear glänzt mit stabilem Wachstum und wäre ein “Pure Play” im skalengetriebenen Verwahr-, Asset-Service- und Datengeschäft. In die nach vielen fehlgeschlagenen Übernahmeversuchen etwas verkrusteten europäischen Finanzinfrastrukturen könnte dies Bewegung bringen. Auch für die Deutsche Börse wäre ein IPO ein Denkanstoß: Ist es wirklich optimal, das bankähnliche und aus Gründen des erstklassigen Kreditratings sehr kapitalintensive Verwahrgeschäft in einem Konglomerat verschiedenster IT-Börsendienstleistungen zu behalten? Auch wenn der Börsengang als die unwahrscheinlichere Option erscheint: Die auf über 6 Mrd. Euro geschätzte Euroclear ist nicht zuletzt auch dank der guten Verknüpfung mit dem US-Markt noch für die eine oder andere Überraschung gut.