Großer Ehrgeiz ist angesagt

Das "Modell Deutschland" im digitalen Wettbewerb mit den USA und China

Großer Ehrgeiz ist angesagt

Prof. Dr. Kai LucksVorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Mergers & Acquisitions e.V.Die internetgetriebene Wirtschaft der USA wird angeführt von den sogenannten “Big Five”: Microsoft, Apple, Alphabet/Google, Amazon und Facebook. Sie betreiben das größte Kartell, das jemals auf der Welt aktiv war. Dies drückt sich aus beim Austausch von Kundendaten, gegenseitiger Hilfe, Ausschluss Dritter, Steuervermeidung und dem Unterlaufen von branchenüblichen Tarifen. Vorstöße zur Zerschlagung des Kartells gibt es seit Jahrzehnten, selbst in den USA. Die Unternehmen scheinen aber unangreifbar, weil “systemrelevant”: Die Lizenzzahlungen, die sie im Ausland generieren, gleichen das Handelsbilanzdefizit der USA, das Trump immer wieder in Rage bringt, voll aus. China hat dagegen eine staatlich geführte “Digital-Diktatur” errichtet. Die führenden internetgetriebenen sogenannten “BAT-Konzerne” Baidu, Alibaba und Tencent konnten sich unter dem Schutz einer “chinesischen Digitalmauer” entwickeln. Aus Furcht vor ausländischen Einflüssen wird das chinesische Internet vom Ausland abgeschirmt und so zu einem “nationalen Intranet”. Besagte Konzerne müssen jede Technologie, die gerade entwickelt wurde, dem Staat zur Verfügung stellen. Ansonsten droht den Vorständen Entlassung oder Schlimmeres. Gesichtserkennung wurde die wichtigste Technologie zur Sicherung allumfassender staatlicher Macht. Das Verhalten jedes Bürgers wird in jeder seiner Bewegungen, seiner Äußerungen, seines Umgangs auf seinem Sozialkonto erfasst. Honorierung und Pönalisierung leiten sich aus den Kontobewegungen ab. Kann das “Modell Deutschland”, das als Sozialstaat, für attraktive Arbeitsplätze, für Wissenschaft, für freiheitliches Denken und Umweltschutz steht, überhaupt gegen die radikalen Digitalansätze in den USA und in China erfolgreichen Widerstand leisten?Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass das gute Deutschland nur von den bösen USA und China aufgerieben wird. Neben den Außenkräften sind bei uns Innenkräfte am Werk, die unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit gefährden. Ganz im Gegensatz zu den technologisch führenden Ländern USA, China, Japan und Südkorea ist die deutsche Gesellschaft durch Technikangst geprägt. Die Amerikaner sprechen sogar von “the German Angst”. Daraus resultieren Vorbehalte gegen jegliche Innovationen und Bedürfnisse, die Industrie immer mehr an die Kandare zu nehmen. Deutschland leistet sich eine der teuersten Verwaltungen der Welt. Der paternalistische Staat schützt nicht nur die Bedürftigen, sondern er entmündigt auch Mittelstand und Oberschicht. Verwaltungsakte behindern Bürger, wertschaffenden Tätigkeiten nachzugehen. Kaum eine Berufsgruppe klagt nicht über die Zeit, die sie mit Verwaltungsakten vergeudet. Die Regelungswut stabilisiert immer mehr den Status quo, so dass notwendige Veränderungen in Gesellschaft, Wirtschaft und Verwaltung im Keim erstickt werden. Unser Problem mit dem Rückstand bei der Digitalisierung ist also vor allem hausgemacht. Die Digitalfrage ist dabei nicht isoliert zu sehen. Sie ist vielfältig verflochten mit anderen dynamischen Feldern, denen es genauso geht: der Energieversorgung, der Mobilität oder dem Umweltschutz – um nur einige zu nennen. Jetzt müssten wir eine dramatische Aufholjagd starten und gleichzeitig die Fehler der Vergangenheit reparieren. Aber auch die Weichen für die Weiterentwicklung haben wir schon falsch gestellt. Für das treibende Wissensfeld der Zukunft, die künstliche Intelligenz, hat die chinesische Regierung ein Forschungsprogramm von 300 Mrd. US-Dollar ausgerufen, die einschlägige US-Industrie kaum weniger. Die Bundesregierung will mit einem 3-Mrd.-Euro-Programm gegenhalten, vor allem für neue Professuren. Dabei liegt unser Problem nur teilweise bei der Technik. Wir haben vielmehr ein kulturelles Problem: Zementierung alter Strukturen, Schutz von Pfründen. Wir sind Weltmeister in der Regulierung.Dagegen benötigen wir einen grundlegenden Kulturwandel. Wir müssen Abstriche bei der Sicherung für alle gegen alles hinnehmen. Wir müssen Strukturen und Pfründen dort abbauen, wo die neuen Technologien uns Einsparungen an Zeit, Kosten, Flexibilisierung und sogar mehr Gerechtigkeit versprechen. So kann der Zugriff auf große Mengen strukturierter und geprüfter Informa­tionen die Verfahren beschleunigen und administrative Entscheidungen verbessern. Im Klartext bedeutet dies, dass bewährte Vorgehensweisen in Verwaltung und Wirtschaft durch den Einsatz neuer digitalgetriebener Technologien ersetzt werden können. Hinsichtlich Machbarkeit sollten wir uns an den Besten der Welt orientieren und messen. Dazu sei jedes Ministerium, jedes Amt, jedes Unternehmen der Wirtschaft aufgerufen. Das sogenannte Benchmarking, bei großen Unternehmen bereits zum Standardinstrument aufgerückt, muss zur Regel für alle werden.Deutschland hat durchaus gute wissenschaftlich-technologische Positionen bei der Digitalisierung. Fraunhofer-Institute arbeiten für die Amerikaner und für die Chinesen. Aber in der Umsetzung sind wir schwach: Mit dem bei uns eingekauften Wissen machen die Amerikaner Geld. Dies sollten wir lieber selbst generieren. Auch bei Forschung und Entwicklung müssen wir zulegen. Das technologische Überholungspotenzial gegenüber der heutigen Praxis, auch bei den “Big Five” oder den “BAT-Konzernen”, ist durchaus gegeben. Deren Stärke ist aber die permanente nervöse Suche nach dem Neuen: nach anderen Techniken, anderen Märkten, anderen Geschäftsmodellen. Trotz ihrer Größe tragen sie immer noch die Gene eines “Garagen-Start-ups” in sich. Damit entwickeln sie das “digitale Ökosystem” permanent weiter, immer auf der Suche nach unbesetzten und noch nicht erkannten Nischen. Hier haben deutsche Konzerne erheblichen Nachholbedarf.Ein neuer Digitalplan für Deutschland muss her, auf Grundlage von Zielgrößen, die sich aus der Dynamik der Wettbewerber in den USA und China ableiten. Dieser Plan darf sich nicht nur auf ein Forschungsprogramm beschränken. Vielmehr ist ein kulturelles Erdbeben vonnöten, das alle erfasst. Der Schulterschluss zwischen Wirtschaft und Verwaltung muss Realität werden. Die Sehnsucht nach innovativem Wandel ist zu wecken, nicht allein in der Technik, sondern in allen Prozessen der Arbeitswelt. Jeder Einzelne muss sich an seinem Wertbeitrag messen lassen.Der deutsche Digitalplan ist mit der EU zu verzahnen. Dafür muss die Gemeinschaft der 27 aber erst einmal richtig aufgestellt werden. Deren Vernetzung ist schwach, Programme und Partner scheinen eher zufällig entstanden zu sein. Auf ein schlagkräftiges EU-Programm zu warten, würde uns zeitlich noch mehr behindern. Also gilt für das digitale Transformationsprogramm: “Digital Germany first” – als Leuchtturm für Europa. Vielleicht schaffen wir es dann, einige Positionen der digital transformierten Weltgemeinschaft auf Leistungshöhe mit den USA und China zu bringen. Höher wäre natürlich besser. Großer Ehrgeiz ist angesagt.