LEITARTIKEL

Hoffnungsträger bei Wirecard

Wirecard hat "Jubiläum". Exakt ein Jahr ist es her, als die Aktie des Abwicklers elektronischer Zahlungen heftig einbrach und bis Ende 2019 Turbulenzen verzeichnete. Auslöser waren wiederholt Berichte der "Financial Times" über Bilanzmanipulationen,...

Hoffnungsträger bei Wirecard

Wirecard hat “Jubiläum”. Exakt ein Jahr ist es her, als die Aktie des Abwicklers elektronischer Zahlungen heftig einbrach und bis Ende 2019 Turbulenzen verzeichnete. Auslöser waren wiederholt Berichte der “Financial Times” über Bilanzmanipulationen, die das Unternehmen bis heute in den Schlagzeilen halten. Doch Dementis, ein Gutachten sowie solide Konzernzahlen reichten nicht aus, das Vertrauen der Anleger zurückzugewinnen. Die Glaubwürdigkeitskrise des Unternehmens legte Defizite in der Corporate Governance offen. Das Management reagierte auf die Vorwürfe entweder zu passiv oder verspätet. Wirecard agierte wie ein Getriebener.Die Gründe liegen auf der Hand: Wirecard war erstens mit dem CEO zu stark auf eine Person ausgerichtet. Zweitens war der Aufsichtsrat (AR) zu schwach, um Impulse zu geben für notwendige Reformen in der Unternehmensführung und in der Compliance. Das Kontrollgremium hatte versagt. Der AR unter Leitung des farblosen Wulf Matthias stand in Brauns Schatten. Das Management schien vom operativen Erfolg des Unternehmens wie geblendet. Zu viel Selbstverliebtheit kann Veränderungen bremsen. Vorstandschef Markus Braun, der das Unternehmen seit 18 Jahren führt, ist zwar ein technikaffiner Visionär, der Wirecard in neue Dimensionen katapultierte, in der Kapitalmarktkommunikation machte er in der Causa aber keine gute Figur. Die Leerverkaufsattacken nahm der CEO so hin, als sei das eine Gesetzmäßigkeit des Marktes, mit der Wirecard leben müsse. Dabei positionieren sich Shortseller vor allem gegen börsennotierte Publikumsgesellschaften, die Schwächen in der Kapitalmarktkommunikation und in der Unternehmensführung haben.In dieser Gemengelage war der vorzeitige Wechsel an der Spitze des AR zu Jahresbeginn überfällig, um nach einer langen Zeit des Zauderns und Zögerns endlich einen Anstoß zu geben für eine moderne Corporate Governance, die den Erfordernissen in der Börsenoberliga genügt. Wirecard ist in der Verwaltung immer noch wie ein Mittelständler ausgerichtet, obwohl der international tätige Konzern, der sich mehr als Technologiewert denn als Finanzdienstleister versteht, seit September 2018 dem Dax angehört. Daher besteht dringender Handlungsbedarf, Versäumnisse rasch aufzuarbeiten, um eine wirksame Kontrolle und Unterstützung des AR zu gewährleisten. Der Nachfolger des in die Jahre gekommenen Matthias, Thomas Eichelmann, gilt als Hoffnungsträger, den Reformstau abzubauen. Der frühere Finanzvorstand der Deutschen Börse und ehemalige Geschäftsführer der Beteiligungsfirma des Milliardärs Lutz Helmig bringt genügend Erfahrung und das Rückgrat mit, ein Gegengewicht zu Braun zu bilden. Während Matthias ein langjähriger Weggefährte des Konzernchefs war, kommt Eichelmann von außen. Er könnte daher frischen Wind in das Unternehmen bringen.Gegengewicht bedeutet aber nicht Gegenspieler. Braun und Eichelmann sind gezwungen, sich zusammenzuraufen, um als Tandem auf Augenhöhe zu agieren. Machtkämpfe würden dem Unternehmen nur schaden, ist doch der neue Chefaufseher vom langjährigen CEO im Kern überzeugt, obwohl er nicht Brauns Wunschkandidat gewesen sein soll. Eine Verlängerung der Ende dieses Jahres auslaufenden Verträge der vier Vorstände ist aber kein Selbstläufer. Diese wäre erst möglich, wenn das bis Ende März erwartete Ergebnis der Sonderprüfung von KPMG Verfehlungen des Managements in der Bilanzierung ausschließt. Und wenn nicht? Dann wäre das Quartett nicht mehr zu halten. Ein erneuter Kurssturz wäre programmiert. Wirecard würde in ein Führungschaos stürzen.Dazu muss es aber nicht kommen. Kaum vorstellbar, dass Eichelmann angetreten wäre, hätte er Wirecard als hoffnungslosen und hochriskanten Fall betrachtet. Seine Wahl zum AR-Chef ist Ausdruck einer gereiften Erkenntnis im Kontrollgremium, dass mit seiner Person bessere Chancen auf eine Neuordnung bestehen. Dass Eichelmann die in Auftrag gegebene Sonderprüfung begleitet, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Schließlich war die Maßnahme seine Idee.Er arbeitet darauf hin, die Verwaltung personell zu verstärken, um ihre Kapitalmarktkompetenz zu verbessern. Das trüge dem Gewicht von Wirecard als Blue Chip mehr Rechnung. Doch auf Ankündigungen müssen Taten folgen, um die Investoren zu überzeugen. Schließlich erhielt Eichelmann von ihnen Vorschusslorbeeren, wie die jüngste Kurserholung zeigt.——Von Stefan KroneckMit dem neuen Aufsichtsratschef Thomas Eichelmann steigt die Chance, dass Wirecard Defizite in ihrer Corporate Governance beseitigen kann. ——