Im toten Winkel der Finanzaufsicht
Von Bernd Neubacher, FrankfurtAm Donnerstag haben im Bankensektor, wo man spätestens seit der Finanzkrise einiges gewohnt ist, wohl selbst hartgesottene Anleger erst einmal schlucken müssen, als die Nachrichten zu Wirecard über den Bildschirm flimmerten: Buchungen über 1,9 Mrd. Euro und damit immerhin ein Viertel der Bilanzsumme wackeln. Liegt am heutigen Freitag kein Testat vor, dürfen Banken Kredite über 2 Mrd. Euro fällig stellen – diese Summe entspricht etwa dem Umsatz im Jahr 2018.Fabio De Masi, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linken im Bundestag, sieht die Verantwortung für den Bilanzskandal bei der Finanzaufsicht: “Die Finanzaufsicht BaFin hat viel zu lange zugeschaut und stattdessen Journalisten der ,Financial Times` der Marktmanipulation bezichtigt. Den Schaden haben nun auch etliche Kleinanleger. Die BaFin muss ihre Aufsichtskultur radikal ändern”, fordert er. Die BaFin äußerte sich am Donnerstag auf Anfrage nicht.Bei Bankern sieht man die Ursache des Problems dagegen weniger in der Kultur als vielmehr in der Struktur. Der Fall zeige, dass Zahlungsabwickler wie das Fintech aus Aschheim endlich wie richtige Banken reguliert werden müssten, heißt es. In der Tat haben sich Anbieter entsprechender Dienste, welche früher integraler Teil der Banken waren, im Zuge der Modularisierung im Finanzwesen vielfach emanzipiert und drehen nun, weitenteils unbeaufsichtigt, ein großes Rad. Dies ist auch vor dem Hintergrund der Bemühungen im Kampf gegen Geldwäsche ein Zustand, in dem mancher Beobachter durchaus eine Lücke entdeckt.So absolviert nur die mit einer Vollbanklizenz ausgestattete Wirecard Bank, die Kreditkarten ausgibt, Verträge über die Akzeptanz von Karten schließt und als Zahlungsdienstleister agiert, das volle aufsichtliche Programm. Auf den Konzern dagegen hat die Finanzaufsicht erst einmal keinen Zugriff.Entsprechend ist der Mutterkonzern offenbar auch ein anderes Pflaster als eine richtige Bank. Ein Repräsentant einer Großbank bemerkte schon vor längerer Zeit, die bei Wirecard mit Compliance beschäftigten Mitarbeiter dürften nur einen Bruchteil des entsprechenden Personals in seinem Institut ausmachen. Dass der Apparat des Fintechs aus Aschheim nicht mit den rasanten Wachstumsraten im operativen Geschäft mitgehalten habe, meinen Außenstehende auch daran ablesen zu können, dass der Aufsichtsrat des Konzerns erst im Startquartal vergangenen Jahres einen Risiko- und Compliance-Ausschuss gebildet hat.Es gibt gute Gründe, diesen Zustand in der Aufsicht zu bedauern. Eine Ausweitung des aufsichtlichen Aktionsradius würde freilich bedeuten, die BaFin nicht nur mit der Kontrolle über Wirecard, sondern über alle Konzerne mit Bankaktivitäten, wie Volkswagen oder Daimler, zu befassen. Das muss man auch politisch wollen.Zugriff auf den Konzern hat die Aufsicht vorerst allein auf dem Weg der Anteilseignerkontrolle: So kann sich die Europäische Zentralbank (EZB) mit der BaFin dafür entscheiden, dem Konzern die Eignung als Anteilseigner der Bank abzusprechen. Dies dürften die Aufseher allerdings erst einmal eingehend prüfen wollen. Eine solche Maßnahme gilt keineswegs als Selbstläufer.Auch wenn der Konzern nur bedingt Zugriff auf die Mittel der Tochter hat, hängt deren Wohlergehen indes vom Zustand der Muttergesellschaft ab. Als Kreditinstitut gemäß EU-Eigenkapitalverordnung ist die Wirecard Bank Mitglied im Einlagensicherungsfonds deutscher Banken. Der wollte sich auf Anfrage am Donnerstag nicht äußern.