Wirecard-Kronzeuge wehrt sich gegen Markus Braun
"Herr Braun hat seine eigenen Wahrheiten"
Im Wirecard-Prozess wehrt sich Kronzeuge gegen Hauptangeklagten – Gericht verhandelt Anleger-Musterklagen im Herbst
sck München
Von Stefan Kroneck, München
Im Wirecard-Betrugsprozess hat der Schlagabtausch zwischen dem Kronzeugen und dem Hauptangeklagten an Härte zugenommen. In seiner umfassenden Stellungnahme zu Fragen der Verteidiger von Markus Braun wehrte sich Oliver Bellenhaus, der frühere Konzernstatthalter in Dubai, gegen Behauptungen des Ex-Vorstandschefs, ohne dessen Wissen mehrere Hundert Mill. Euro vom Unternehmen zum eigenen Vorteil entwendet zu haben. „Herr Braun hat seine eigenen Wahrheiten“, sagte Bellenhaus vor der 4. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts München I.
Das Unternehmen ausgehöhlt
Der Hauptzeuge der Staatsanwaltschaft München verwies darauf, dass Brauns „Legende“, dass hinter dessen Rücken eine kriminelle Bande das Unternehmen ausgehöhlt habe, nicht zu dessen Darstellung passe, er, der CEO, habe ein Herrschaftswissen über Wirecard gehabt. Das sei ein Widerspruch, so Bellenhaus. „Sie behaupten fortwährend, ich und Jan Marsalek hätten hinter Brauns Rücken eine Bande gebildet. Stattdessen versuchen sie mit Fragen das nur zu suggerieren“, antwortete der Kronzeuge den Rechtsbeiständen des Hauptangeklagten.
Braun streitet nach wie vor die mutmaßlichen Straftaten ab. Ihm, Bellenhaus und dem Ex-Konzernchefbuchhalter Stephan von Erffa werfen die Strafermittler gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Untreue, Marktmanipulation und Bilanzfälschung vor. Der Prozess gegen die drei Angeklagten läuft seit über 14 Monaten. Ein Ende ist längst noch nicht in Sicht. Die Gerichtskammer unter Vorsitz von Markus Födisch setzte zum Jahreswechsel weitere Verhandlungstermine bis Ende 2024 an.
Marsalek hält sich versteckt
Marsalek, der frühere Vertriebsvorstand, ist seit dem aufgeflogenen Betrug im Frühsommer 2020 auf der Flucht. Medienberichten zufolge soll er sich in Russland versteckt halten.
Während Braun seit drei Jahren und sieben Monaten in Untersuchungshaft sitzt, wurde Bellenhaus auf Basis eines Antrags seiner Rechtsverteidiger vor kurzem unter strengen Auflagen von der Justiz aus der Haft entlassen. Brauns Anwälte protestieren dagegen vor Gericht. Zuvor lehnte die Strafkammer einen Haftentlassungsantrag für Braun u. a. mit der Begründung ab, dass Flucht- und Verdunklungsgefahr bestehe.
Brauns Lage verschlechtert
Im letzteren Punkt weist das Gericht darauf hin, dass Braun möglicherweise außerhalb des Gefängnisses versuchen könnte, Zeugen zu beeinflussen.
Die Entscheidung des Gerichts ist ein Indiz dafür, dass die Strafkammer der Argumentation und Beweisaufnahme der Staatsanwaltschaft uneingeschränkt folgt. Im Verfahren haben sich damit die Aussichten für den Hauptangeklagten verschlechtert. Die Staatsanwaltschaft sieht Braun als Kopf einer Bande, die mit einem umfangreichen Betrug Investoren über die wahre Lage des Unternehmens getäuscht habe. Sogenannte Drittpartneraktivitäten in Asien hätten nie existiert. Diese seien frei erfunden worden. Dadurch sei ein Schaden von insgesamt 3,2 Mrd. Euro für Gläubiger entstanden. Die Aussagen von Bellenhaus bei den Ermittlungen brachten das Verfahren ins Rollen. In seinem Geständnis belastete er Braun schwer.
Bellenhaus sprach vor Gericht von einer „Verschwörungstheorie“ des Ex-CEO. Der Kronzeuge bestritt, mit Marsaleks damaligem engen Vertrauten James Henry O’Sullivan über das Berufsleben hinaus engen Kontakt gepflegt zu haben. „Meine Treffen mit O’Sullivan beschränkten sich auf berufliche Tätigkeiten." Der britische Geschäftsmann galt als ein Strippenzieher von Wirecard in dem Skandal. In Singapur steht O’Sullivan seit Juli 2023 vor Gericht.
Weiteres Mammutverfahren
Derweil gab das Bayerische Oberste Landesgericht bekannt, dass das Kapitalanleger-Musterverfahren in Sachen Wirecard „voraussichtlich im Herbst 2024 mündlich verhandelt“ werde. In diesem Zivilprozess verklagen über 3.500 Privatanleger das frühere Dax-Mitglied auf Schadenersatz. Dieses Mammutverfahren bindet bei der zuständigen Justiz viele Kapazitäten. Dabei geht es auch um die Frage nach den Raumkapazitäten für ein solches Verfahren vor Gericht. In dem Verfahren soll geklärt werden, ob die Aktionäre überhaupt Ansprüche auf Schadenersatz haben. Denn im Sinne des Gesetzes galten sie als Miteigentümer der AG. Bei einer Pleite wie im Fall Wirecard können diese in der Regel keine Forderungen durchsetzen.
Am 22. Februar beginnt vor einer Zivilkammer des Landgerichts München ein Prozess im Rahmen eines sogenannten Organhaftungsverfahrens. Basis dafür ist eine Klage des Wirecard-Insolvenzverwalters Michael Jaffé gegen ehemalige Vorstände und Aufsichtsräte des zusammengebrochenen Zahlungsabwicklers. Jaffé erhebt ebenfalls Schadenersatzforderungen. In diesem Verfahren gehört auch Braun zu den Beklagten. Jaffé wirft den Beklagten Pflichtverletzungen bei diversen Kreditvergaben vor.