IT-Dienstleister wird zum Digitalisierungspartner
Als eine der wirtschaftlich stärksten Bankengruppen in Europa entwickeln sich die deutschen Volks- und Raiffeisenbanken für den Wettbewerb in einem zunehmend volatilen Marktumfeld kontinuierlich weiter. Mit ihnen auch ihr zentraler IT-Provider, der mit einer veränderten Rolle und einem neuen Selbstverständnis ihre Eigentümer und Kunden auf dem Weg in die digitale Genossenschaft begleitet.Mit dem Abschluss der Serienmigration auf das gemeinsame Bankverfahren agree21 haben sich die Genossenschaftsbanken im vergangenen Jahr eine ideale Ausgangsbasis erarbeitet, um ein neues Kapitel der digitalen Transformation des Banking aufzuschlagen. Notwendig ist ein solcher Aufbruch, weil sich die genossenschaftliche Finanzgruppe proaktiv auf disruptive Marktveränderungen einstellen muss. Bank als LebensbegleiterBislang wurden Digitalisierungserfolge vorrangig an Effizienz- und Kostenvorteilen gemessen. Das wird zweifellos auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen – etwa, um personalintensive Prozesse im Marktfolgebereich durch Automation und Standardisierung nachhaltig zu verschlanken. Darüber hinaus aber geht es in Zukunft verstärkt um neuartige Servicemodelle, die den Kunden auch jenseits klassischer Bankdienstleistungen einen zusätzlichen Mehrwert bieten und die auf Vertrauen basierende Bindung von Bank und Bankkunde stärken sollen. Volks- und Raiffeisenbanken können ihre Kunden künftig über regional vernetzte digitale Ökosysteme mit maßgeschneiderten Angeboten in ganz verschiedenen Lebensbereichen begleiten. Zusätzlich zu einer privaten Baufinanzierung lassen sich via Ökosystem zum Beispiel auch entsprechende Handwerkerleistungen aus der Region anbieten: Die Hausbank agiert dann als Vermittler zwischen Angebot und Nachfrage. Sie bringt Menschen und Interessen zusammen und fördert so die Wertschöpfung in ihrer Region.Die urgenossenschaftliche Idee des Miteinander-Füreinander erlebt im Konzept der regionalen Ökosysteme eine Renaissance: ein unschätzbarer Vorteil für die Volks- und Raiffeisenbanken, weil damit ihr durch Nähe und Regionalität entstandener Vertrauensbonus als Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Finanzinstituten auch im digitalen Zeitalter wirksam werden kann.Wenn die Mitgliedsbanken zum Lebensbegleiter ihrer Kunden werden wollen, dann brauchen sie einen Guide – einem Business Enabler gleichsam, der sie zielsicher in die Welt des digitalen Banking begleitet und navigiert. Mit dieser neuen Rolle verändert sich das bisherige Selbstverständnis der Fiducia & GAD als IT-Dienstleister um 180 Grad: Als Antwort auf die disruptiven Marktveränderungen ordnete der Aufsichtsrat im August vergangenen Jahres den Vorstand neu. Das neue Vorstandsteam brachte mit Rückendeckung durch den Aufsichtsrat noch vor dem Abschluss der vierjährigen Serienmigration auf ein gemeinsames Bankverfahren die notwendige strategische Neuausrichtung auf den Weg. Selbstkritische AnalyseAm Anfang stand dabei eine selbstkritische Stärken-Schwächen-Analyse sowie eine Markt- und Wettbewerbsanalyse, sowohl im Hinblick auf das Technologie- und Serviceportfolio als auch bezüglich der internen Aufstellung. Nicht nur Genossenschaftsbanken ziehen ihre Kraft aus dem Miteinander-Füreinander, sondern prinzipiell jedes Unternehmen mit genossenschaftlichen Wurzeln. Deshalb ging es für die Fiducia & GAD von Beginn an stets auch um die optimale Einbettung der eigenen Profilentwicklung in den vom Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) moderierten Strategieprozess für die gesamte Finanzgruppe.Auf der Ebene der Technologie- und Portfolioentwicklung wurde sehr schnell klar, dass nur ein radikaler Kurswechsel die notwendige Agilität gewährleisten kann. Denn wie jedes historisch gewachsene Bankverfahren ist auch agree21 auf Dauer zu komplex für eine schnelle und kostengünstige Integration kundennaher Angebote. Die monolithische Softwarestruktur steht dem entgegen – weshalb neue Lösungen in Zukunft ausschließlich über eine offene, modular aufgebaute Softwareplattform bereitgestellt werden. Neue KooperationsoptionenDie konsequente Orientierung auf eine offene Plattformarchitektur eröffnet dabei gänzlich neue Kooperationsoptionen für den Aufbau eines breiten Partnernetzwerks, denn die vereinfachten Integrationsmöglichkeiten gelten nicht nur für eigenentwickelte Funktionen, sondern ebenso für innovative Drittanbieterlösungen: Wie die Lösungsbereitstellung per Plattform konkret in der Praxis aussehen wird, zeigt sich schon heute an der mit agilen Methoden entwickelten neuen Vertriebsplattform der Fiducia & GAD, die im Rahmen der verbundweiten Digitalisierungsoffensive bereitgestellt wurde.Mancher stellt sich vielleicht die Frage, ob die strategische Weichenstellung in Richtung einer offenen Plattformarchitektur nicht den immensen Migrationsaufwand für agree21 in Frage stellt. Keineswegs, denn der transaktionale Kern – also alles, was mit Konten, Buchungen und Kundendaten zu tun hat, – bleibt erhalten und wird stetig weiterentwickelt. Tatsächlich hat die Fiducia & GAD erst durch die erfolgreiche Konsolidierung dieses wichtigen Core Asset den nötigen Freiraum für ihre strategische Neuaufstellung gewonnen.Auch die Richtung, in die sich die internen Organisationsstrukturen künftig bewegen werden, lässt sich an der neuen Vertriebsplattform ablesen: Alle Lösungen dafür entstehen bekanntlich mit agilen Methoden in crossfunktional zusammengesetzten Teams. Dabei wird ein sogenanntes Minimal Viable Product (MVP) in iterativen Sprints mit vorgegebener Dauer von beispielsweise 14 Tagen zyklisch bis zur fertigen Lösung immer weiter verfeinert. Die interdisziplinäre Teamzusammensetzung sorgt hier insbesondere dafür, dass die Perspektive der späteren Anwender sehr frühzeitig in die Produktentwicklung einfließen kann. Hohes Tempo und systematische Bedarfsorientierung unterscheiden die agile Methodik von jeder konventionellen Vorgehensweise. Genau das ist es, was die Fiducia & GAD von erfolgreichen Start-ups gelernt hat – bisher bei ausgewählten Projekten und im Rahmen der Digitalisierungsoffensive “KundenFokus” in Zusammenarbeit mit dem BVR.In Zukunft – so das strategische Ziel – soll die gesamte Organisationsstruktur dem agilen Paradigma folgen. Dabei gilt es, über Jahre hinweg gewachsene Hierarchien aufzubrechen und crossfunktionale Teamarbeit mit unternehmerischer Eigenverantwortung quer durch alle Fachbereiche und Abteilungen zu etablieren. Tribes, Squads und Chapters – die organisatorischen Grundeinheiten des agilen Prinzips – greifen künftig nicht nur in einzelnen Projekten, sondern sukzessive auch im kompletten Tagesgeschäft. Eine HerkulesaufgabeEs liegt auf der Hand, dass eine solche Transformation bei einer nahezu 4 500-köpfigen Belegschaft eine Herkulesaufgabe ist, die sich nicht in wenigen Wochen oder Monaten bewältigen lässt. Klar ist zudem, dass dieser Kulturwandel den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vieles abverlangt. Aber er bietet ihnen auch gänzlich neue Entfaltungschancen und wird die Fiducia & GAD als Arbeitgeber somit auch attraktiver für junge Talente machen. Der Startschuss für den organisatorischen Umbau folgt am 1. Oktober 2020.Fazit – Mit der strategischen Neuausrichtung verändert sich grundlegend die Rolle und das Geschäftsmodell: Das Unternehmen versteht sich nicht länger als reiner IT-Dienstleister, erst recht nicht als Rechenzentrale. Es will Volks- und Raiffeisenbanken darüber hinaus als Digitalisierungsexperte bei der Transformation ihrer Geschäftsmodelle und ihrer Kundenbeziehungen aktiv zur Seite stehen. Nur mit einer offenen Plattformarchitektur und einer ebenso offenen und agilen Organisationsstruktur kann die Fiducia & GAD zeitnah und kosteneffizient für digitale Lösungen sorgen, die den Bedürfnissen der heutigen Kundengeneration tatsächlich gerecht werden und die zugleich ein unverwechselbares genossenschaftliches Nutzungserlebnis bieten.Nicht zuletzt veranschaulicht die technologische wie organisatorische Öffnung, wie Kooperationspartnerschaften auch in regionalen Ökosystemen entstehen können: Anders als große Tech-Konzerne oder Non- und Near-Bank-Start-ups bietet die genossenschaftliche Plattformarchitektur dafür künftig auf Knopfdruck Zugang zu rund 30 Millionen Kunden sowie 15 Millionen Mitgliedern der Volks- und Raiffeisenbanken. Martin Beyer, Vorstandssprecher der Fiducia & GAD IT AG