Alternde Gesellschaft

Japanische Banken stellen sich auf demente Kunden ein

Der steigende Bevölkerungsanteil alter Menschen birgt auch für Banken Herausforderungen. In Japan stellen sie sich mit Mitarbeiterschulungen und neuen Dienstleistungen auf demente Kunden ein.

Japanische Banken stellen sich auf demente Kunden ein

Von Martin Fritz, Tokio

Die stark alternde Gesellschaft bringt den Banken- und Finanzsektor in Japan in eine Zwickmühle. Einerseits schrumpft die Nachfrage nach Krediten und Anlageberatung, da inzwischen 29% der Japaner über 65 Jahre alt sind. Im Jahr 2040 werden es 40% sein. Andererseits sind Senioren als Kunden attraktiv. 72% des Privatvermögens gehören den über 55-Jährigen (s. Grafik).

Rufschaden befürchtet

Doch die Institute fürchten einen Rufschaden, wenn die Finanzprodukte nicht zum hohen Alter passen oder der Aspekt der Geschäftsfähigkeit nicht genug berücksichtigt wird. Japan Post beispielsweise verkaufte 153000 gutgläubigen oder senilen Senioren zwischen 2014 und 2018 überflüssige oder überteuerte Lebensversicherungen und musste die Verträge wieder auflösen. Doch eine wachsende Zahl von Banken und Versicherern akzeptiert das juristische Risiko im Umgang mit Senioren und entwickelt spezielle Dienstleistungen für diese Altersgruppe. Dabei liegt der größte Schwerpunkt auf dem Umgang mit Demenz, dem Nachlassen der geistigen Leistungsfähigkeit vor allem durch die Alzheimer-Krankheit und Durchblutungsstörungen im Gehirn. Laut Gesundheitsministerium leiden bereits knapp 5 Millionen Japaner an Demenz in verschiedenen Stadien. In vier Jahren wird es Schätzungen zufolge angesichts der starken Alterung bereits über 7 Millionen Betroffene geben.

Vor diesem Hintergrund lancierte der Lebensversicherer Dai-ichi Life eine Versicherung gegen Demenz und kombinierte sie mit einer Smartphone-App des US-amerikanischen Start-ups Neurotrack. Die App er­kennt die Vorzeichen einer Erkrankung und warnt den Nutzer. Bei einer ärztlichen Bestätigung der Diagnose zahlt Dai-ichi Life die Versicherungssumme aus. Die Verkaufszahl dieser Policen ist deutlich höher als bei den Branchenkonkurrenten, die zu ihrer Demenzversicherung keine Warn-App anbieten.

Die Banken erleben die Ausbreitung der Demenz längst in ihrem Geschäftsalltag. Betroffene finden ihr Sparbuch nicht mehr, vergessen die Geheimzahl für ihre Konto- oder Kreditkarte oder rufen ihre Bank immer wieder wegen derselben Frage an, weil sie die Antwort und den Anruf bald vergessen. Oder sie nässen sich ein, während sie im Schalterraum auf Bedienung warten. Deshalb schulen viele Finanzinstitute eigens ihre Mitarbeiter mit Videos und Seminaren speziell für den Umgang mit Erkrankten. An ihrem Handgelenk tragen sie ein orangenes Band als Nachweis ihrer Kompetenz.

Schwierige Abwägung

Eine schwierige Situation für die Bank entsteht oft, wenn ein Angehöriger mit einem an Demenz erkrankten Kontoinhaber zum Schalter kommt und finanzielle Transaktionen abwickeln will, aber der Mitarbeiter sich nicht sicher sein kann, ob der Kunde wirklich aus freiem Willen handelt. Auch gesunde Kunden, die eine Erkrankung fürchten, möchten nicht in diese Lage geraten. „Sie wollen ihrer Familie im Fall einer Demenz nicht mit alltäglichen Gelddingen zur Last fallen. Auch wollen sie vermeiden, dass die Angehörigen Zugriff auf das Geld des Kranken brauchen, um damit zum Beispiel hohe medizinische Kosten zu bezahlen“, erzählt Mitsuo Makita von der Mizuho-Treuhandbank. Die Demenz hat direkte Folgen für die Banken: Hat ein erkrankter Kunde keine Vorkehrungen wie eine Vollmacht getroffen, sind ihre Vermögenswerte wegen der rechtlichen Unsicherheiten quasi eingefroren. Schätzungen zufolge waren schon 2018 davon Ersparnisse und Wertpapiere für 143 Bill. Yen (1,1 Bill. Euro) betroffen. 2030 werden laut einer Schätzung des Forschungszentrums für finanzielle Gerontologie der Keio-Universität 10% der derzeit knapp 2000 Bill. Yen (15,4 Bill. Euro) an Privatvermögen in Japan im Besitz von Demenzkranken sein.

Auf diese Entwicklungen reagierte Mizuho als erste der drei Finanzgruppen mit einem neuen Service. Der Kunde zahlt einen Betrag ab 5 Mill. Yen (39000 Euro) auf ein Treuhandkonto ein. Davon werden regelmäßige Zahlungen wie Strom und Wasser per Dauerauftrag abgebucht. Hohe Rechnungssummen, etwa für Pflege- oder Therapieleistungen, prüft die Bank eigenständig, bevor sie den Betrag überweist.

Nach Diagnose aktiviert

Das Treuhandkonto soll man als Gesunder abschließen, aktiviert wird der Service erst nach einer ärztlichen Diagnose einer Demenz. „Laut unseren Gesprächen mit Kunden glauben die meisten Senioren, dass sie nicht dement werden, aber falls sie erkranken, wäre es vielleicht zu spät für einen solchen Vertrag“, erläutert Mizuho-Manager Makita. Trotz der Pandemie mit ihren eingeschränkten Geschäftskontakten haben bisher über 1000 Kunden ein Treuhandkonto mit Einlagen von insgesamt 7,4 Mrd. Yen (57 Mill. Euro) eingerichtet. Für die Bank rechnet sich der Service: Mizuho nimmt eine einmalige Gebühr von 1% auf den Treuhandbetrag sowie eine monatliche Gebühr von 3300 Yen (25 Euro), sobald der Service nach der Diagnose aktiviert wird. Daher überrascht es nicht, dass andere Banken inzwischen eine ähnliche Dienstleistung aufgelegt haben. Bei Mitsubishi UFJ zum Beispiel werden alle Rechnungen des Demenzkranken auf eine App geladen, die Familie entscheidet gemeinsam über ihre Bezahlung. „So etwas funktioniert nur, wenn die Familie sich versteht“, gibt Mizuho-Manager Makita zu bedenken. Außerdem kümmere sich oft nur eine Person um einen Kranken, die nun auch noch das Finanzielle allein regeln müsse.

Soziale Angebote

Einige Regionalbanken gehen in der Betreuung alter Kunden noch weiter. Kyoto Shinkin Bank kombiniert Musiktherapie, Ikebana oder Stricken mit einem Vortrag über die Pflegeversicherung. Hiroshima Bank konzentriert sich auf Erbschaftsplanung und finanzielle Vormundschaft. Ähnlich wie die regional verwurzelten Sparkassen in Deutschland definieren sich viele Banken nicht nur über das Geschäftliche. „Wir verstehen uns auch als eine soziale Institution“, unterstreicht Mizuho-Manager Makita. Derzeit überlegt die Finanzgruppe, mit Einzelhandel und Restaurants eine Plattform aufzubauen, um weggelaufene Demenzkranke zu suchen und zur Familie zurückzubringen.