Kanzleramt erklärt sich zu Wirecard

Geheimdienste in der Vergangenheit nicht mit dem Zahlungsdienstleister beschäftigt - Justizministerin kündigt Gesetzespaket an

Kanzleramt erklärt sich zu Wirecard

In einer Sondersitzung des Finanzausschusses zum Bilanzskandal bei dem mittlerweile insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard stand gestern die Rolle des Kanzleramts im Fokus. Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) kündigt als Konsequenz des Skandals ein Gesetzespaket noch in diesem Monat an.sp/Reuters Berlin – Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Finanzskandal rund um den mittlerweile insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard rückt näher. Daran dürften auch die Auftritte von Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) und Hendrik Hoppenstedt (CDU), Staatsminister im Kanzleramt, die gestern beide im Rahmen einer Sondersitzung des Finanzausschusses in der Angelegenheit Auskunft gaben, nichts ändern. Die Grünen, auf die es bei der Einrichtung eines Untersuchungsausschusse besonders ankommt, wollen zwar noch den heutigen zweiten Teil der gestern gestarteten Befragung vor dem Finanzausschuss abwarten, bevor sie über das weitere Vorgehen beraten. Doch FDP und Linke haben sich bereits entschieden und erhöhten gestern auch den Druck auf die Kollegen in der Opposition. “Es kommt den Grünen eine besondere Verantwortung zu mit Blick auf die Kleinanleger und die Öffentlichkeit”, mahnte Florian Toncar, der finanzpolitische Sprecher der FDP. Zusammen mit Linke und Grünen wäre das erforderliche Quorum erreicht, um einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Auf die Stimmen der AfD, die ebenfalls für einen Untersuchungsausschuss zu Wirecard votiert, wollen sich FDP und Linke dagegen nicht stützen.Justizministerin Lambrecht kündigte an, dass die Regierung noch in diesem Monat Konsequenzen aus dem milliardenschweren Bilanzskandal bei Wirecard ziehen werde. Die Finanzaufsicht BaFin, die in der Affäre stark in der Kritik steht, brauche mehr Befugnisse und müsse bei solchen Fällen schneller eingreifen können, sagte die SPD-Politikerin in Berlin. “Wir arbeiten mit Hochdruck daran.” Die Regierung werde im September Vorschläge für ein Gesamtpaket machen. Ihr Parteifreund und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte zuletzt bereits ein Konzept vorgestellt, dem der Koalitionspartner CDU/CSU bislang aber nicht zugestimmt hat. Lambrecht sagte, die Pläne würden in der Regierung intensiv diskutiert. Wichtig seien eine häufigere Rotation der Wirtschaftsprüfer und eine Überprüfung der Höchstsummen in der Haftung genauso wie eine Trennung von Beratung und Prüfung.Staatsminister Hoppenstedt, der vor dem Finanzausschuss für das Kanzleramt sprach, erklärte, dass die deutschen Geheimdienste sich in der Vergangenheit nicht mit Wirecard beschäftigt haben. Hierzu habe es weder eine gesetzliche Grundlage noch einen Anlass gegeben, sagte er Teilnehmern in der Sondersitzung. Auch mit Blick auf den ehemaligen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek hätten keinerlei Erkenntnisse vorgelegen, die ein Tätigwerden der Nachrichtendienste gerechtfertigt hätten. Mittlerweile gebe es Prüfungen, weil Marsalek in der Presse Kontakte zu Geheimdiensten unter anderem aus Russland nachgesagt würden.Hoppenstedt äußerte sich auch zur Unterstützung eines Wirecard-Vorhabens während der China-Reise der Bundeskanzlerin im vergangenen September. Die Bundesregierung setze sich regelmäßig für die wirtschaftlichen Interessen deutscher Unternehmen im Ausland ein, sagte der Staatsminister. Wirecard habe damals an der Übernahme des chinesischen Unternehmen Allscore Payment Services gearbeitet, die später vollzogen wurde. Die Flankierung des Wirecard-Vorhabens habe sich in das jahrelange Bemühen der Bundesregierung für eine Öffnung Chinas im Finanzbereich gefügt. Es sei eine politische Aufgabe, für möglichst vergleichbare Marktzugänge zu sorgen. Mit dem Kenntnisstand von heute hätte es keine Flankierung gegeben, betonte Hoppenstedt. Ähnlich hatte sich in der vergangenen Woche auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Wirecard geäußert. Mit dem Fall ins Wahljahr Ein Untersuchungsausschuss würde sich bis weit in das Wahljahr 2021 ziehen und könnte vor allem für den SPD-Spitzenkandidaten Olaf Scholz, aber auch für die Union zu einer Belastung werden. Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ist ein klassisches Instrument der Opposition. In der Nachkriegszeit gab es Dutzende Untersuchungsausschüsse, oft zur Verteidigungspolitik und zu Korruptionsfällen. Finanzthemen sind äußerst selten. 2016 und 2017 gab es einen Untersuchungsausschuss zum Cum-Ex-Steuerbetrug.