IM INTERVIEW: THOMAS ZEEB, CEO SIX SECURITIES SERVICES

"Keinen Anlass, sinkende Kosten zu erwarten"

Der Chef des Schweizer Zentralverwahrers kritisiert die mangelhafte Harmonisierung in grenzüberschreitenden T2S-Transaktionen

"Keinen Anlass, sinkende Kosten zu erwarten"

Vor fast einem Jahr hat der Schweizer Zentralverwahrer an die einheitliche Wertschriftenabwicklungsplattform T2S der Europäischen Zentralbank angedockt. Thomas Zeeb, CEO von Six Securities Services, berichtet im Interview mit der Börsen-Zeitung von den bisher gemachten Erfahrungen mit T2S. Er sieht größere Defizite in der Umsetzung und erwartet einen steigenden Konsolidierungsdruck im Nachhandels- und Clearingmarkt.- Herr Zeeb, seit bald einem Jahr ist Six an die Wertschriftenabwicklungsplattform T2S angebunden. Was sind Ihre Erfahrungen?Grundsätzlich läuft das System stabil, allerdings bei immer noch geringen Volumen. Deshalb ist die Frage offen, wie gut die Plattform die großen Volumen verarbeiten kann, wenn die größeren Zentralverwahrer an Bord kommen. Und es gibt immer noch um die 100 sogenannte Defects, also Fehler, die es zu beheben gilt. Wir haben verschiedene Behelfslösungen dafür implementiert.- Stellt sich die Frage, ob die Plattform hohe Volumen aufnehmen kann, auch aus Ihrer eigenen Erfahrung?Zur Zeit werden circa 20 % der erwarteten Volumen auf T2S verarbeitet. Euroclear wird im September mit einer “Light-Version” migrieren. Auch Monte Titoli, die seit vergangenem August angebunden ist, brachte nur eine abgespeckte Version. Bemerkenswerterweise ist Six der einzige bedeutende CSD, also Zentralverwahrer, der die Implementation voll umgesetzt hat. Die CSDs in der Eurozone scheinen sich mindestens zum jetzigen Zeitpunkt auf das absolute minimal Nötigste zu konzentrieren und sich nicht für grenzüberschreitende Transaktionen zu rüsten.- Dabei hat die EZB hier mehr Funktionalitäten versprochen.Sollte die Situation so bleiben, stellt sich wirklich die Frage, wozu der ganze Aufwand. Insgesamt haben die Marktteilnehmer bereits weit über eine Milliarde Euro ausgegeben. Weitere Investitionen dürfte es nur geben, wenn klar ist, dass sie sich auch rechnen. T2S ist ja nicht das einzige Thema auf der Agenda der CSDs. Wir alle befassen uns ja intensiv mit der Umsetzung von neuen regulatorischen Vorgaben. Da hat die Pflicht natürlich Vorrang.- Was ist von den nächsten Anbindungen zu erwarten? Ein Clearstream-Test im April ist schiefgelaufen, eine neue Testrunde Ende Mai war dagegen erfolgreich.Die ersten zwei sogenannten Migrationstests der Welle 4 sind tatsächlich gescheitert. Der Migrationstest im April hat weit länger gedauert als vorgesehen. Dies hat gezeigt, dass eine Migration an einem normalen Wochenende zeitlich nicht zu schaffen ist. Nun hat die EZB einige Maßnahmen getroffen, und der letzte Migrationstest am 21. und 22. Mai ist wesentlich besser verlaufen. Ich nehme an, die EZB wird weitere Maßnahmen treffen, um die Migration der Welle 4 per Februar 2017 sicherzustellen.- Wird der Zeitplan eingehalten?Davon gehe ich aus, aber ich kann nicht für die anderen, noch ausstehenden CSDs sprechen.- Wie beurteilen Sie die Frage, ob die Plattform in der Lage ist, große Volumen zu stemmen?Empirisch gesehen gab es in ähnlichen Bereichen Probleme, so dass man zu dem Schluss kommen könnte, irgendwo in der Architektur sei der Wurm drin. Wenn dies der Fall ist, wird es schwierig.- Sind zum Stand heute noch weitere Investitionen für Six nötig?Wir haben Lösungen, die sehr gut ohne T2S funktionieren. Die sechsmonatige Verzögerung durch Euroclear kostet uns zusätzlich insgesamt 1,4 Mill. sfr. Kosten, die wir aber nicht auf unsere Kunden abwälzen.- Welche weitere Kostenentwicklung erwarten Sie?Ich gehe davon aus, dass die Betriebskosten für T2S höher ausfallen werden. Wir haben zur Zeit keinen Anlass, sinkende Kosten zu erwarten. Skeptisch bin ich auch, was die Effizienz im Cross-Border-Geschäft und in der Harmonisierung von Corporate Actions anbelangt. Es existiert auch heute kein wirklich verbindlicher Plan, die Harmonisierungsstandards im vollen Ausmaß einzuführen. Der Plan existiert zwar, das Nichteinhalten der Standards wird aber lediglich öffentlich publiziert, ohne weiteren Konsequenzen für die verantwortlichen Zentralverwahrer.- Welchen Nutzen haben die Banken heute, wenn sie über Six auf T2S gehen?Sie können heute die Kosten im grenzüberschreitenden Verkehr etwas reduzieren. Derzeit haben die aufgeschalteten Märkte jedoch noch Potenzial hinsichtlich der Volumen. Corporate Actions können auch über schon bestehende Systeme abgebildet werden. Allerdings sind die großen Ersparnisse nur mit Standardisierung und Harmonisierung der Corporate-Action-Abwicklungen möglich. Ich bezweifle jedoch, dass wir ab 2018 die große Welle an Corporate-Action-Harmonisierung sehen werden. Der Infrastrukturmarkt im Posttrade-Geschäft steht so stark unter Kosten- und Konsolidierungsdruck, dass dies schwierig werden könnte.- Die Banken würden aber dort das größte Effizienzpotenzial heben können.Klar, das sagen wir von Six schon seit 1992. Die EU scheint aber manchmal nicht in der Lage oder nicht gewillt, eine gewisse Harmonisierung durchzusetzen, sei es auf Seiten der Pensionskassen, sei es auf Seiten der Steuern oder auch im Reporting. Da, wo es brenzlig wird und die Staaten gefordert sind, hören die Bemühungen meist wieder auf. Aber genau da gibt es die größten betrieblichen Risiken und die größten Sparmöglichkeiten. Es gibt etliche Beispiele, wo es nicht funktioniert. Man muss etwa Transaktionsregister haben, in denen Derivatetransaktionen registriert werden, aber es gibt keine Standards, diese untereinander abstimmungsfähig zu machen.- Was erwarten Sie vom European Post-Trade Forum der Europäischen Zentralbank, das sich mit einer stärkeren Harmonisierung im Nachhandel befassen soll?Ich erwarte da klare Vorgaben und Leadership sowie Sanktionen für die Nichteinhaltung der Vorgaben. Derzeit ist der Markt geprägt von Unsicherheiten, sei es durch regulatorische Bedingungen, sei es durch T2S. Das macht die Geschäftsplanung nicht ganz einfach.- Welche Auswirkungen hat die Zentralverwahrer-Verordnung der EU, an der im Detail noch gefeilt wird?Ich erwarte für uns keine größeren Probleme. Regulatorisch hat sich die Lage nach der Äquivalenzanerkennung der Schweizer Gesetzgebung vorerst mal im Clearinggeschäft für uns entspannt. Themen wie Asset Segregation – die Abgrenzung von Vermögenswerten der Kunden – haben wir für uns schon lange abgehandelt und umgesetzt. Die Regulatoren müssen sich aber im Klaren sein, was Asset Segregation auf einer tieferen Stufe, das heißt auf Ebene Einzelkunden, für Folgen für die Banken hat. Die meisten müssten ihre Nostro-Strukturen erheblich anpassen, weil sie mit alten IT-Systemen arbeiten, die so nicht in der Lage sind, effizient und kostengünstig eine solche Nostro-Segregierung darzustellen. Vor allem, wenn dies auf Ebene des Endbegünstigers herunterzubrechen ist.- Was, wenn dies umgesetzt werden muss?Eine Umsetzung hätte wohl zur Folge, dass einige Marktteilnehmer aus dem Markt aussteigen müssten oder dass sie ihre Systeme entsprechend anzupassen hätten, was gravierende Kostenfolgen hätte. Die Liquidität, die heute in einem sogenannten Omnibus-Konto vorhanden ist, würde knapp. Wenn es bei der Verordnung aber um Transparenz geht, gibt es bessere Varianten. Und wenn es um steuerliche Themen geht, führen Banken ja heute schon Loro-Depots auf den Namen des Endbegünstigten.- Und was bedeutet das für Ihr Geschäft?Operativ können wir das machen. Schwierig wird es aber, wenn es darum geht, Gruppen von Unterdepots zu einem vernünftigen Preis anzubieten. Die Regulierung ist noch nicht klar genug ausdefiniert. Wenn es aber für jeden Endbegünstigten in der Kette ein Unterdepot brauchen wird, muss man die daraus resultierenden Konsequenzen genau abwägen. Ich denke, dann werden viele Leute gar kein Depot mehr führen und woanders investieren, weil die Kosten prohibitiv werden. Würde es in der Kette der Intermediäre eine Bank, einen Versicherer, einen Vermögensverwalter geben, der in Schwierigkeiten gerät, lässt sich die Abgrenzung am Ende beim Zentralverwahrer machen, die Assets gehen nicht verloren. Ob wir das nun herunterbrechen oder ob die Bank dies auf Kundenseite tut, spielt eigentlich keine Rolle. Ich sehe keinen Vorteil, das doppelt zu führen.- Wie stehen Sie zur geplanten Regelung von fehlgeschlagenen Abwicklungen – failed settlements?Rein konzeptionell habe ich ein Problem damit, denn sie belohnt den Kontrahenten, der nicht für den Fehlschlag zuständig ist. Das leuchtet zunächst ein, denn der Verursacher soll für den Fail geradestehen müssen. Meiner Meinung nach wäre der disziplinierende Effekt jedoch größer, wenn jeder Teilnehmer vorab weiß, dass er nach einem Fail gemieden werden würde. Mein Gegenvorschlag wäre: Warum macht man nicht einen verpflichtenden Buy-in, der zulasten des Kontrahenten geht?- Was ist regulatorisch sonst verbesserungsfähig aus Ihrer Sicht?Als Six sind wir international in verschiedenen Märkten tätig. Was für uns und generell für die Investoren kostenseitig zu Buche schlägt, sind die regulatorischen Unterschiede zwischen den Märkten. Absolut wünschenswert wäre, wenn die Durchsetzung der Regulierung durch die nationalen Aufseher zudem konsistenter erfolgen würde.- Was erwarten Sie in puncto Konsolidierung im Nachhandel?Das werden wir erst sehen, wenn T2S voll umgesetzt ist. Sicherlich wird sich der Druck nochmals erhöhen, und es wird einen Verdrängungswettbewerb geben. Wahrscheinlich wird es auch mehr Kooperationen geben. Denn es macht keinen Sinn, wenn jeder Parallelstrukturen führt.- Was passiert auf der Verwahrungsseite? Gleichen sich Banken und Depotstellen an die Zentralverwahrer an oder umgekehrt?Schon jetzt bewegen sich die Custodians mehr und mehr in den Bereich der Zentralverwahrer. Die Rolle eines CSD als Endverwahrerin hat bisher aber niemand ernsthaft einnehmen können. Kleinere Transaktionen kann man ohne Weiteres internalisieren, da besteht ein großer Druck auf die CSDs. Für die reine Verwahrung sehe ich aber noch keine valable Alternative, auch wenn eine Reihe von Fintech-Experten sagt, die Blockchain-Technologie mache unser Geschäft überflüssig. Ich sehe nicht, wie dies mit der heutigen Blockchain-Technologie geschehen soll, denn es gibt viele offene Fragen: Wie werden etwa Corporate Actions abgewickelt, oder wie kann man eine sehr große Transaktion über etliche Blockchain-Banken laufen lassen? Heute ist der Kundenbestand geschützt, egal, was passiert. Ist aber das Geld meiner Pensionskasse in der Blockchain drin, habe ich dann noch Zugriff darauf, wenn meine Bank pleitegehen würde?- Was erwarten Sie in den nächsten fünf Jahren im Markt?Zunächst erwarte ich, dass T2S vollumfänglich und mit allen Zentralverwahrern funktioniert. T2S mit dem Zahlungsverkehrssystem Target2 (T2) zusammenzubringen wäre denkbar, wir haben uns das aber noch nicht näher angeschaut. EU-Banken haben heute schon Zugang zu T2 und zu Zentralbankgeld über ihre Zentralbank oder die EZB. So fragt sich, was der Vorteil davon wäre. Es ist nicht auszuschließen, dass die EZB mit dieser Initiative die Möglichkeit sieht, die Design-Probleme von T2S zu korrigieren. Dann sehe ich auch eine weitere Konsolidierung im Clearingmarkt. Kurzfristig bin ich natürlich gespannt, wie und ob die Fusion von Deutscher Börse und London Stock Exchange durchgeht und was die Regulatoren für damit verbundene Auflagen festlegen. Indirekt könnte die Fusion ein Katalysator für weitere Konsolidierung sein. Ob sich daraus Opportunitäten für uns ergeben, ist noch zu früh zu sagen. Wir verfolgen die Entwicklung aber aufmerksam.- Wie ist Six positioniert, und was planen Sie noch?Wir sind abgesehen von Euroclear und Clearstream der einzige Zentralverwahrer, der nicht nur den Heimatmarkt abdeckt, sondern auch grenzüberschreitendes Geschäft tätigt. Die Schweiz als Markt ist mittlerweile zu klein, um weitere substanzielle Skaleneffekte realisieren zu können, das heißt, wir müssen und wollen unser Auslandsgeschäft ausbauen. Dies wird durch organische Aktivitäten möglich sein, aber höchstwahrscheinlich auch durch Kooperationen. Wir sprechen mit verschiedensten Spielern und schauen uns genau an, was im Markt geschieht.- Wurde Six selbst auch angefragt?Es werden immer wieder Opportunitäten an uns herangetragen. Umgekehrt ist unsere Governance-Struktur nicht ganz einfach für jemanden, der uns kaufen wollte. Das gibt uns als Schweizer Infrastruktur Stabilität. Six betreibt immerhin die Finanzmarktinfrastruktur der Schweiz, und unsere Kunden haben als Eigner ein großes Interesse, diese eigenständig zu halten. Zudem haben wir auch eine andere Position als andere Infrastrukturanbieter, weil wir gewisse Aktivitäten im Auftrag der Schweizerischen Nationalbank insourcen.—-Das Interview führte Dietegen Müller.