"KI hat eine ganz starke transformative Wirkung"
Von Carina Iris Kautz, FrankfurtKünstliche Intelligenz (KI) gilt schon eine Weile nicht mehr als Zukunftsmusik, sondern hat sich in der ein oder anderen Variante bereits in das Alltagsleben der Menschen vorgetastet. So auch im Bankgeschäft, wo der Helfer aus der Maschine in den Bereichen Betrugsprävention im Kreditkartenbereich, der Fehlererkennung von Buchungen, dem computergestützten Handeln von Aktien, der Stimm- oder Gesichtserkennung oder in Form von intelligenten Chatbots auf den Plan tritt.Nun hat KI auch das Kredit- und Forderungsmanagement erobert: Collenda, Lieferant von Kreditmanagement- und Inkassosoftware mit Sitz in Meerbusch nahe Düsseldorf, hat im März die Einführung von KI-Software bekannt gegeben – und sieht sich damit europaweit als Vorreiter. “Im Grunde genommen haben die Kunden darauf gewartet, dass funktionale Lösungen auf den Markt kommen”, sagt CEO Christian Haas. “Jeder will das Thema KI umsetzen, weil es nun einmal in aller Munde ist. KI hat eine ganz starke transformative Wirkung.” Umgesetzt hat Collenda das Projekt, das eine cloudbasierte KI-Lösung umfasst, gemeinsam mit der Düsseldorfer Unternehmensberatung Horn & Company.Warum vor Collenda noch kein anderer in Europa auf die Idee mit der KI im Kredit- und Forderungsmanagement gekommen sei, erklärt Haas mit den Kosten. “KI stellt ein signifikantes Investment dar, und ich glaube, die hohen Kosten sind sicherlich einer der Gründe, warum das bisher bei vielen Vendoren noch nicht umgesetzt wurde”, sagt er. “Man stellt immer wieder fest, dass viele zwar derzeit darüber reden, aber sehr wenige tatsächlich auch etwas anbieten.”Die KI in der Collenda-Software kommt an drei Stufen des Kreditmanagement-Lebenszyklus zum Einsatz: erstens bei der Segmentierung von Schuldnern nach Risiko, zweitens bei der Erstellung von Payment Plänen und drittens als Chatbot im Kundenkontakt. Dabei habe man festgestellt, dass die Software die Rückzahlrate, die tatsächlich 46 % betrage, auf stolze 69 % heben könne – vorausgesetzt, das Programm bestimme die Konditionen. Eine Steuerungsgröße sei dabei die Höhe der Rate, die das Programm anhand der Kundenhistorie schätzen könne. Niedrigere HemmschwelleSichtbar für Schuldner wird die KI vor allem im Chatbot. Dieser kommuniziert schriftlich mit sogenannten Low-Risk-Kunden. Dabei profitiere der Bot von einem psychologischen Effekt, so Haas: So sei die menschliche Hemmschwelle, über die eigenen Schulden zu sprechen, gegenüber einer Maschine deutlich geringer als etwa gegenüber einem Callcenter-Agenten. Dabei sei der Bot auch in der Lage, mit einem womöglich zahlungsunwilligen Kunden über die Höhe der Rate zu verhandeln, “solange, bis eine Rate erreicht ist, die der Kunde dann zum einen bezahlen will und die zum anderen eine hohe Wahrscheinlichkeit birgt, dass der Kunde auch tatsächlich einen Großteil des Betrages zurückzahlt”.Vormachen könne man dem technischen Helfer dabei so schnell nichts: “Der Chatbot differenziert auch noch einmal zwischen ,Ich will nicht` und ,Ich kann nicht'”, so Haas. Denn der Bot könne sich die Zahlungsstrukturen auf dem Konto ansehen und wisse entsprechend genau, was der Kunde zahlen kann und was nicht. “Das ist schon faszinierend”, kommentiert der Collenda-Chef. “Die Bots können die ganzen Daten, die sie bekommen, in weniger als Sekundenschnelle analysieren und entsprechend reagieren.” “Wichtiges Thema” DatenWas technisch beeindruckt, macht an anderer Stelle Sorge: “Ich glaube, Datenschutz ist ein ganz wichtiges Thema”, meint Haas. “Wir sehen eindeutig, dass die Generation, die sich jetzt mit dem Thema beschäftigt, mit ihren Daten ganz anders umgeht als etwa die Generation unserer Eltern.” Er verweist auf Online-Banking-Erfolgsgeschichten wie etwa N26. Einerseits sei die Hemmschwelle also gesunken, andererseits zwängen Regularien die Gesellschaften aber auch dazu, “intelligent und umsichtig” mit Kundendaten umzugehen. “Ich denke, das ist notwendig und steht in keinem Widerspruch.”Die Zukunft der künstlichen Intelligenz im Kredit- und Forderungsmanagement bewertet Haas optimistisch. “Ich glaube, dass Sie in der Zukunft Kredite in der Baufinanzierung usw. komplett online, KI-gesteuert beantragen und abwickeln können.” Nur das Thema komplexe Beratung werde auch für die zunehmend fortschrittliche Technologie noch eine Weile unerreichbar bleiben. In diesem Zusammenhang sei es vonnöten, dass ein Chatbot nicht nur sprechen lerne, sondern etwa auch psychologische Aspekte aufnehmen könne. “Diese Dinge spielen bei den komplexen Fällen eine erhebliche Rolle.” Alles andere aber werde “einen sehr hohen Grad an Automatisierung” erreichen.Zum aktuellen Zeitpunkt wird der Collenda-Chatbot noch angelernt. “So ein Chatbot muss zunächst erst einmal mit den unterschiedlichen Sprachgebräuchen umgehen können”, sagt Haas. Ein gewisses Maß an Smalltalk hat der Bot schon drauf: Nach ihrem Vater gefragt nennt die Software Collenda-CTO Christoph Tahedl. “Aber grundsätzlich ist der Chatbot natürlich darauf fokussiert, schnell und effizient einen Payment Plan abzuschließen.”Dass Deutschland beim Thema moderne Technologien eher zu den Nachzüglern zählt, beobachtet Haas durchaus mit Sorge. “Ich glaube, dass es in Deutschland eine ganz spannende Szene gibt rund um KI. Ich glaube aber auch, dass etwa Banken jetzt wahnsinnig schnell Gas geben müssen, um bald auf ein einigermaßen wettbewerbsfähiges Niveau, auch im europäischen Vergleich, zu kommen.” Die Geschwindigkeit, mit der sich die Entwicklung vollziehe, sei beizeiten nicht erkannt worden. “Die Institute sind aus meiner Sicht derzeit einfach sehr weit zurück.” Keine Vollautomatisierung”Es wird immer Dinge geben, die KI vielleicht in der Theorie umfassen kann, aber die durchaus noch einen erheblichen Anteil an menschlichem Input benötigen”, meint Haas mit Blick auf eine stärker digitalisierte Zukunft. An die Vollautomatisierung glaubt er entsprechend nicht. “Ich glaube, im Retail-Geschäft können wir einen hohen Grad an Automatisierung erreichen, im Corporate Geschäft nicht.” Was Collenda betrifft, so soll KI dort langfristig weitere Use Cases übernehmen. Möglich wäre etwa die Nutzung der Software, um Schuldner nach Art der bevorzugten Ansprache – Kommunikationskanal und Zeitpunkt – zu kategorisieren, um so eine höhere Erfolgsrate zu erreichen, wie er sagt.Collenda zählt nach eigenen Angaben mehr als 700 europäische Banken, Unternehmen und Inkassofirmen als Kunden. Die Gesellschaft ging im vergangenen Jahr aus dem Zusammenschluss der Düsseldorfer Abit GmbH und der niederländischen Eurosystems hervor.