IM INTERVIEW: OLIVIER KHAYAT, UNICREDIT

KI hilft bei Kreditqualität

Der Chef des Commercial Banking in Westeuropa über den Segen der Künstlichen Intelligenz

KI hilft bei Kreditqualität

Unicredit hat kräftig Risiken im Kreditportfolio abgebaut. Das Volumen der ausfallgefährdeten Kredite sank seit 2015 um 50 Mrd. Euro. Dabei half auch der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI), berichtet Olivier Khayat, Chef des Commercial Banking in Westeuropa bei Unicredit, im Interview der Börsen-Zeitung. Herr Khayat, auf welche Segmente fokussieren Sie sich als Chef des Commercial Banking Western Europe in Deutschland, Österreich und Italien?In Westeuropa konzentrieren wir uns darauf, unsere Führungsposition als die “Go-to-Bank” für europäische mittelständische Unternehmen und Unternehmer zu stärken und unsere Privatkundenbasis durch verbesserte Vertriebs- und Servicemodelle zu erweitern und gleichzeitig das Kundenerlebnis zu verbessern. Auch unser Vermögensverwaltungs- und Private-Banking-Geschäft wollen wir ausbauen. Wir haben starke lokale Wurzeln und die Schlagkraft einer erfolgreichen paneuropäischen Geschäftsbank. Die HypoVereinsbank in Deutschland ist eine lokale deutsche Bank mit über 150 Jahren Geschichte. Darüber hinaus bieten wir unseren Kunden ein einzigartiges Netzwerk in Zentral- und Osteuropa und ein voll integriertes Corporate & Investment Banking. Zusammen ist das ein echter Wachstumsmotor. Das zeigt nicht zuletzt die erfolgreiche Transaktion in Milliardenhöhe für Delivery Hero, die wir gerade begleitet haben. Ein wesentlicher Punkt des im Dezember vorgestellten neuen Strategieplans “Team 2023” ist es, effizienter zu werden. Wie soll dies im Commercial Banking geschehen?Wir richten uns klar nach den Wünschen des Kunden und setzen konsequent auf Digitalisierung und die weitere Verbesserung unserer Prozesse. Nur so lässt sich das Kundenerlebnis für das Geschäft mit unseren elf Millionen Kunden in Westeuropa verbessern und weiter ausbauen. Unsere Stärke sind Plattformen und Anwendungen, die wir einmal zentral entwickeln und dann in allen unseren Märkten nutzen können. Selbstverständlich passen wir diese Anwendungen entsprechend den nationalen regulatorischen Anforderungen an. Wie weit sind Sie damit?Wir sind gut unterwegs und bleiben weiter dran. Jüngstes Beispiel ist unsere neue Mobile Banking App für Privatkunden, die wir gerade in mehreren Ländern eingeführt haben. Durch effizientere Prozesse haben wir zudem den zeitlichen Aufwand für die Vertragserstellung in der Immobilienfinanzierung auf unter zehn Minuten gesenkt. Ein Konto bei der HypoVereinsbank können Sie in jetzt in 14 Minuten eröffnen – mit nur noch einer elektronischen Unterschrift. 2021 werden unsere Filialen in Deutschland und Österreich ganz ohne Papier auskommen, in Italien bereits Ende dieses Jahres. Warum kaufen Sie nicht einfach der Commerzbank die polnische MBank ab, die als extrem fortschrittlich hinsichtlich der neuen Technologien im Retail Banking gilt oder eine der Internetbanken im Markt?Wir wollen organisch wachsen und haben keinen Bedarf an Akquisitionen, um etwa die Kundenzahl zu erhöhen. Wir sind in unseren europäischen Heimatmärkten stark vertreten und haben viele langfristige Kundenbeziehungen, die wir weiter intensivieren können. Und die sind unsere beste Referenz, um auch neue Kunden zu gewinnen. Um weiter zu wachsen, arbeiten wir daran, das Kundenerlebnis kontinuierlich zu verbessern, dadurch unsere Mitarbeiter von administrativen Aufgaben zu entlasten und ihnen mehr Zeit für die Beratung zu geben. Dafür investieren wir in den nächsten Jahren massiv, mehr als bisher in die weitere Digitalisierung, Automatisierung und Prozessoptimierung. Sind Sie mit dem Retailgeschäft in Deutschland zufrieden?Retail Banking in Deutschland ist für alle Banken herausfordernd. Es bringt allerdings eine beständige Basis an Einlagen, was für eine ausgewogene Bilanzstruktur sehr wichtig ist. Auch die private Immobilienfinanzierung betreiben wir konservativ und forcieren weiter das Vermittlergeschäft. Sehr erfolgreich sind wir in Deutschland im Private Banking und Wealth Management unterwegs, wo wir von unserer starken Position im Firmenkundengeschäft profitieren. In Italien dagegen ist das Retailgeschäft sehr profitabel, da der Wettbewerb dort nicht so ausgeprägt ist wie in Deutschland. Verlangen Sie in Deutschland Negativzinsen auf Einlagen?Im klassischen Filialgeschäft mit Privatkunden ist das nicht vorgesehen. Bei Einlagen über 1 Mill. Euro bieten wir Alternativen an, etwa bestimmte Geldmarktfonds, für die auch keine Gebühren anfallen. Bei Institutionellen und Firmenkunden entwickeln wir in individuellen Gesprächen alternative Anlagelösungen und Kompensationsmodelle. Nutzen Kunden neben Krediten unsere breite Dienstleistungspalette bis hin zu Hedging und Trade Finance, fallen keine zusätzlichen Gebühren für Einlagen an. Wie steht es mit der Effizienz im Kreditgeschäft?Wir nutzen auch hier die Digitalisierung und haben, wenn Sie so wollen, eine “Kreditmaschine” gebaut, die den Prozess im Standard- und Individualkreditgeschäft bis zu 1 Mill. Euro erheblich verkürzt. Kunden erhalten die Kreditentscheidung deutlich schneller und können damit eigene Projekte früher umsetzen. Auch hier haben wir Synergien innerhalb der Unicredit-Gruppe genutzt, so einen zentralen Algorithmus entwickelt und die Anwendung, wo nötig, länderspezifischen Regularien und Nutzerverhalten angepasst. Läuft die “Kreditmaschine” bereits?Sie läuft in Italien schon einige Zeit und seit dem dritten Quartal 2019 auch in Deutschland. Sehr wichtig ist dabei: Unser wichtigstes Gut sind die Expertise und die Beratungskompetenz unserer Mitarbeiter. Dagegen sind Maschinen oder Artificial Intelligence lediglich Hilfsmittel, deren Einsatz den Kollegen mehr Zeit verschafft, ihre Kunden zu beraten. Mithilfe von AI können die Kollegen Entscheidungen treffen, die auf bestmöglich erarbeiteten Grundlagen basieren. Durch die Automatisierung haben wir auch Fehlerquellen aus bisher manuellen Abläufen reduziert. Zudem hat sich die Qualität der Kredite bereits verbessert. Wir überwachen die Kreditvergabe sehr genau und haben die Qualität unseres Kreditportfolios in jeder Region immer im Blick. Ist das Teil der De-Risk-Strategie, also der Risikominderung im Kreditportefeuille?Wir haben das Volumen unserer ausfallgefährdeten Kredite, der Non-Performing Loans (NPL), seit 2015 um 50 Mrd. Euro und damit auf unter 5,5 % des gesamten Kreditvolumens reduziert. Jetzt fokussieren wir uns auf die Stärkung der Profitabilität der bestehenden Kundenbeziehungen sowie den Ausbau unserer Kundenbasis. Das heißt, Sie können das Kreditgeschäft ausweiten?Absolut, wir wollen und können wachsen. Wir streben eine Eigenkapitalrentabilität (RoTE) von 8 % an. Mit einer Eigenkapitalquote (CET1) von 12,6 % sind wir bestens für die Zukunft aufgestellt. Firmenkunden wollen eine stabile Bank mit einer starken Kapitalbasis und einer erfolgreichen Strategie – eine Bank wie unsere. Wir sagen, was wir tun und tun, was wir sagen. Das haben wir mit der erfolgreichen Umsetzung unseres letzten Strategieplans bewiesen. So etwas schafft Vertrauen bei Kunden und Investoren. Wichtige Voraussetzungen, um das Wachstum der Wirtschaft zu finanzieren und damit auch im Kreditgeschäft zu wachsen. Ist der Margendruck im Kreditgeschäft weiter gestiegen angesichts der anhaltend lockeren Zinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und negativer Zinsen? Wie gestaltet sich da die Profitabilität?Entscheidend ist für uns, dass eine Kundenbeziehung insgesamt profitabel ist. Es geht also neben der Kreditvergabe um weitere Dienstleistungen für den Kunden wie die Platzierung von Anleihen oder Schuldscheinen, Währungshedging, Trade Finance oder Transaction Banking. So haben wir etwa unser Handelsfinanzierungsgeschäft in den vergangenen Jahren extrem ausgebaut und kommen in Deutschland inzwischen auf einen Marktanteil von rund 25 %. Das zeigt, dass wir unsere Wachstumsziele erreichen und halten, was wir versprechen. Die Begleitung von Unternehmen bei ihrer Internationalisierung ist einer unserer wichtigsten Wachstumstreiber und Bestandteil der DNA von Unicredit. Viele unserer Vorgängerinstitute wurden als Geschäftsbanken zur Unterstützung von Unternehmen gegründet – wie etwa die Banca di Genova vor genau 150 Jahren in Italien oder die Bayerische Vereinsbank vor 151 Jahren in Deutschland. Sind die Auswirkungen der zahlreichen Handelsstreitigkeiten wie zwischen den USA und China oder auch mit Blick auf Europa zu spüren?Diese Diskussionen haben unser Handelsfinanzierungsgeschäft bisher nicht beeinflusst. Die Weltwirtschaft wächst nur in Trippelschritten, wie wollen Sie da Ihre Wachstumsziele erreichen?In Westeuropa peilen wir bis 2023 ein Ertragswachstum von 1 % an. Der Anteil der Gebühren an den gesamten Erträgen soll dabei um 2 % auf 62 % zunehmen. Damit entsprechen unsere Ziele in etwa dem erwarteten Wirtschaftswachstum. In Deutschland wollen wir dagegen deutlich stärker wachsen als die Gesamtwirtschaft. Das sind große Ambitionen. Doch wir sind überzeugt, dass wir Marktanteile gewinnen können. Das zeigt das Beispiel Trade Finance. Ausgehend von unserer starken Kundenbasis in Deutschland wollen wir bestehende Kundenbeziehungen ausbauen und neue Kunden für uns gewinnen – insbesondere im Firmenkundengeschäft. Dafür stellen wir 200 Firmenkundenbanker neu ein, 150 sind schon an Bord, 50 folgen in diesem Jahr. Ziel ist es, uns in Deutschland regional breiter aufzustellen. Wir wollen unsere Präsenz in Regionen wie Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen oder dem Südwesten ausbauen. Traditionell stark vertreten ist die HypoVereinsbank im Süden sowie im Norden durch den damaligen Erwerb der Vereins- und Westbank. In anderen Regionen sehen wir dagegen noch großes Wachstumspotenzial. Der jüngste Lending Survey der EZB zeigt einen Rückgang der Kreditvergabe an Unternehmen im 4. Quartal 2019 und voraussichtlich einen weiteren Rückgang im laufenden ersten Quartal. Keine guten Aussichten, oder?Das liegt vor allem an den sehr aufnahmefähigen Kapitalmärkten. Hinzu kommt, dass viele Unternehmen offenbar derzeit dazu tendieren, ihren Leverage, also ihre Verschuldung, zu reduzieren. Für Unicredit kann ich sagen: Wir spüren eine anhaltend hohe Nachfrage bei Kapitalmarktfinanzierungen, strukturierten Finanzierungen oder auch der M&A-Beratung. Viele Unternehmen investieren etwa in Digitalisierung oder Nachhaltigkeit oder kaufen Technologien zu, um ihr Unternehmen für die Zukunft aufzustellen. Wie wirken sich selbst gesetzte, verschärfte Nachhaltigkeitsvorgaben hinsichtlich der Kriterien Environment, Social, Governance (ESG) auf das eigene Geschäft aus?Im Rahmen unseres neuen Strategieplans haben wir uns Ende 2019 neue ESG-Ziele gesetzt. Unicredit verpflichtet sich darin unter anderem, ihr Engagement im Bereich der erneuerbaren Energien bis 2023 um 25 % auf mehr als 9 Mrd. Euro zu erhöhen. Zudem wollen wir den Anteil von Energieeffizienz-Darlehen für mittelständische Unternehmen in Westeuropa um 34 %, und für Einzelpersonen um 25 % ausbauen. Es ist wichtig, Kunden bei der Umsetzung der ESG-Kriterien zu begleiten und nicht alles, was nicht ESG-konform ist, sofort zu verbannen oder zu verbieten. Die Wirtschaft steht vor einem enormen Wandel. Die gesamte Wertschöpfungskette klimaneutral zu gestalten, braucht Zeit und einen klaren Rahmen. Es ist ein Übergang mit enormen Beratungs- und Finanzierungsbedarf. Wir haben dafür ein spezielles Sustainable Finance Advisory Team und gehören in dem Bereich zu den Pionieren und Marktführern. Aktuell begleiten wir beispielsweise die sogenannte Münchner Stadtanleihe. Mit diesem ersten Social Bond einer europäischen Großstadt geht München als Vorreiter bei sozialer und nachhaltiger Kommunalfinanzierung voran. Das Interview führte Karin Böhmert. Bericht Seite 5