Konglomerat Allianz
Sie tun es alle: Siemens, Thyssenkrupp und General Electric. Die Giganten der Moderne zerlegen sich, um – mit veränderter Aufstellung – in der digitalen Welt eine Überlebenschance zu haben. Komplexe Strukturen mit traditionellen Geschäftsmodellen, die einer Disruption ausgesetzt sind, gibt es aber auch andernorts. In der deutschen Finanzwelt fällt vor allem die Allianz ins Auge.Zerschlagt die Allianz? Es mutet absurd an, dass dieser Gedanke von Investoren geäußert werden könnte. Schließlich forderte dies zuletzt im vorherigen Jahrhundert die kapitalismuskritische Linke. Sie identifizierte den Versicherer als Spinne im Netz der Deutschland AG und vermutete einen großen Einfluss auf die Bundespolitik. Absurd erscheint die Vorstellung einer Zerschlagung auch deswegen, weil die Allianz auf den ersten Blick gar kein Konglomerat ist. Sie verkauft den Kunden ein einheitliches Produkt, nämlich die Absicherung von Risiken und die Geldanlage – vorrangig in Form von Versicherungspolicen, aber auch als Vermögensanlage. Zudem ist sie in diesem Geschäft so erfolgreich, dass sie die Investoren gut bedient.Filetierungsfantasien sind also, wenngleich der Kapitalmarkt findig ist, im Fall der Allianz übertrieben. Trotzdem ist der Versicherer ein Konglomerat und kein Ein-Produkt-Unternehmen. Denn die Allianz besteht aus drei Säulen. Sie könnten getrennt auftreten, wenngleich sie durch die Kapitalanlage als einigendes Band verbunden sind: Sachversicherung, Lebensversicherung und Vermögensverwaltung. Ein Aktienfonds hat halt wenig mit einer Hausratversicherung zu tun, so wie Bügeleisen und Heckenscheren noch lange nicht vom gleichen Hersteller produziert werden müssen, nur weil sie beide elektrisch betrieben werden. Viel wichtiger aber für den Konglomerats-Charakter der Allianz ist: Sie ist ein Flickenteppich, verdankt sie ihre heutige Größe doch einer M&A-Serie. Von der britischen Cornhill über die französische AGF und die italienische RAS bis zur türkischen Yapi Kredit reicht die Liste der Zukäufe. IT-Systeme wuchsen anschließend nur zögerlich oder gar nicht zusammen, und die Policen werden noch heute lokal designt. Die Landesgesellschaften sind autonom unterwegs. Dementsprechend berechnen die Investoren der Allianz einen Konglomeratsabschlag. Wo also liegt der Mehrwert der Allianz als Gruppe? In einer Zeit, in der digitale Technologien ein Zaubertrank für kostengünstige Start-ups sind und die Internet-Konzerne der Allianz ihren Kundenkontakt streitig machen, muss das Management eine Antwort auf diese Frage finden. Vor dem Strategie-Update am kommenden Freitag zeichnet sich ab, wohin die Reise geht. Vorstandsvorsitzender Oliver Bäte, der gerade mit einem Vertrag bis zum Jahr 2024 ausgestattet wurde, baut die Allianz so um, dass sie Skaleneffekte realisieren kann.Der Kernpunkt: Die Allianz globalisiert ihre Produkte. Was für ein Industrieunternehmen schon längst Alltag ist, wäre für die Assekuranz revolutionär. Denn bisher werden die Policen lokal für den jeweiligen einheimischen Markt entworfen. Die Allianz will nun herausgefunden haben, dass die einzelnen Produktarten wie beispielsweise Autoversicherungen trotz regulatorischer Vorschriften so viele Gemeinsamkeiten in den verschiedenen Ländern haben, dass sie harmonisiert werden können. Künftig wird die Allianz also Schritt für Schritt ihre Produkte weltweit in einer Art Baukastenprinzip anbieten. Das Sparpotenzial ist enorm. Dass die Produkte zugleich einfacher werden, lässt das Back Office noch stärker schrumpfen – schließlich müssen nicht mehr allerlei Sonderfälle beachtet werden. Zugleich baut die Allianz ihr Rechnungswesen so um, dass es die Kosten jedes Produktes aufschlüsseln kann, statt nur übergreifende Kostenquoten zu nennen. Damit kann die Allianz ihre Ausgaben besser dämpfen.Weil die Produkte intuitiv verständlich sein sollen, können die Policen perspektivisch viel direkter als bisher an den Mann und die Frau gebracht werden. Der Kunde wird über den Zugang entscheiden und immer häufiger das Internet wählen. Es ist daher logisch, dass die Allianz einen Direktversicherer aufbaut. Die Last durch die IT-Altsysteme ist dadurch allerdings noch nicht gelöst.Im Erfolgsfall eröffnet sich die Allianz Wachstumschancen. Sie wird ihre Marktanteile stark erhöhen, weil ihre Kostenvorteile und Beratungskapazitäten die Konkurrenz an die Wand drücken. Dies mag Zukunftsmusik sein, weil die Reise in eine globalisierte Produktwelt lange dauert. Der Lohn der Mühe aber wäre ein heute seltenes Phänomen: ein Konglomeratsaufschlag. —–Von Michael FlämigDie Allianz ist ein Riese, doch die Synergien innerhalb des Konglomerats sind mickrig. Der Konzern will seine Größe in Skalenvorteile ummünzen. —–