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Kronzeuge zeigt Erinnerungslücken im Deutsche-Bank-Prozess

Von Michael Flämig, München Börsen-Zeitung, 23.9.2015 Kronzeugen sind eine feine Sache für jeden Ankläger. Schließlich sind sie im Allgemeinen nicht nur aussagebereit, sondern bringen auch das nötige Insiderwissen über die Taten der Angeklagten...

Kronzeuge zeigt Erinnerungslücken im Deutsche-Bank-Prozess

Von Michael Flämig, MünchenKronzeugen sind eine feine Sache für jeden Ankläger. Schließlich sind sie im Allgemeinen nicht nur aussagebereit, sondern bringen auch das nötige Insiderwissen über die Taten der Angeklagten mit. Insofern kam die Aussage des früheren Deutsche-Bank-Investmentbankers Christian Graf Thun-Hohenstein für die Staatsanwaltschaft im Deutsche-Bank-Prozess gerade recht. Schließlich sollte der heutige Finanzberater aus London den Vorwurf des Prozessbetrugs gegen fünf großteils ehemalige Manager des Kreditinstituts untermauern, nachdem zuletzt das Gericht seine Skepsis bezüglich der Anklage deutlich gemacht hatte.Dass allerdings aus Sicht der Staatsanwälte etwas schiefzulaufen droht, deutet sich bereits an, als Thun-Hohenstein beim Einzug des Gerichts als Einziger im Saal sitzen bleibt. Vertrautheit mit Rechtsgepflogenheiten sieht anders aus. Auch eine Entschuldigung für sein wetterbedingt um zwei Stunden verzögertes Erscheinen ist nicht zu vernehmen. Zur Gewissheit wird die Ahnung eines unplanmäßigen Verlaufs eine halbe Stunde später, als der Ex-Investmentbanker eine wesentlich relevantere Unkenntnis offenbart. “Welches Interview?”, will er vom Vorsitzenden Richter Peter Noll wissen. “Hat sich schon erledigt”Gerade hat der Richter den Zeugen gefragt, wann er mit dem damaligen Vorstandschef und heutigen Angeklagten Rolf Breuer gesprochen habe, und nur ein “2001 oder 2002” als Antwort erhalten.Noll will das Datum eingrenzen mit der Bemerkung: “Vor oder nach dem Interview?” Aus seiner Sicht eine klare Frage, schließlich beschäftigt das Breuer-Interview mit Bloomberg TV über die wirtschaftliche Lage im Februar 2002 seit mehr als einem Jahrzehnt unzählige Anwälte und Richter. Für Thun-Hohenstein dagegen stellt es offenbar kein relevantes Datum dar. Die Unkenntnis des Zeugen quittiert Noll mit einer resignierenden Bemerkung: “Okay, hat sich schon erledigt.” “Das war unser Job”Dabei schien die Papierform von Thun-Hohenstein als eine Art Kronzeuge, der selbst unbestritten unbelastet ist, ansehnlich zu sein. Als Chef der Medien-Investmentgruppe Europa der Bank in den Jahren 2001 und 2002 oblag es ihm, die Finanzprobleme der Kirch-Gruppe in lukrative M & A-Projekte zu verwandeln. In bankinternen Mails empfahl er, als Gesamtstrukturierungsberater zu agieren. Zudem regte er ein Treffen von Breuer mit Kirch an. In einem Diskussionspapier skizzierte er Schritte der Bank im Kontakt mit Kirch, die als Zerschlagungsprojekt gelesen werden können.Dennoch bleibt wenig übrig von einem derartigen Szenario nach den rund zweistündigen Aussagen Thun-Hohensteins. Noll arbeitet in seiner Befragung heraus, dass zwischen dem Investmentbanker und dem Vorstand einige Hierarchiestufen lagen (Thun-Hohenstein: Anfragen für Gespräche liefen über das Sekretariat, er habe dann Termine bekommen oder nicht), dass sogenannte Projekte keineswegs immer konkrete Pläne waren (“Ein Projekt kann eine Idee sein, dass wir glauben, eine bestimmte Firma sollte mit einer bestimmten anderen Firma fusionieren”) und dass ein Auftraggeber etwa aus dem Vorstand für die Analysen seines Teams nicht existent gewesen sein muss (“Diese Art der Analyse ist relativ normal. Das war unser Job”). Besonders wichtig: Das “Nein” von Thun-Hohenstein zur Frage, ob es eine Marschrichtung des Vorstands zum Thema Kirch gegeben habe. “Eine schwierige Sache”Vor allem aber stößt Noll auf Erinnerungslücken. Was er spezifisch mit Breuer besprochen habe, wisse er nicht, sagt Thun-Hohenstein. Ob er mit dem damaligen Chef-Investmentbanker Joe Ackermann geredet habe? Keine Erinnerung. Fehlanzeigen bei jeder Art von Antworten, die auf eine unmittelbare Beteiligung der Angeklagten hindeuten könnten. “Mit der Erinnerung ist es eine schwierige Sache”, so das Fazit von Noll, “manchmal weht sie einen an und manchmal nicht.” Staatsanwalt Stephan Necknig in Vertretung der erneut abwesenden Christiane Serini hat seine liebe Mühe, als er die Befragung übernimmt und Thun-Hohenstein eine Mail vorlegt – er muss sich teils in offene Fragen flüchten: “Wenn Sie das alles lesen oder überfliegen, erinnern Sie sich dann wieder an irgendetwas?”Bemerkenswert allerdings in diesem Fall: Wenn Thun-Hohenstein sich erinnert, dann fallen diese Erinnerungen teils anders aus als bei den Befragungen durch die Staatsanwaltschaft 2012 und 2013. “Bei dem Treffen kam nichts raus”, sagt Thun-Hohenstein vor Gericht über einen Restaurantbesuch Breuers unter anderem mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Früher hatte er dagegen erklärt, bei ihm sei angekommen, dass dort ein Rettungsplan für die Kirch-Gruppe vereinbart worden sei. An anderer Stelle belastet er die Angeklagten stärker als bei der Staatsanwaltschaft, etwa wenn er im Gegensatz zu früher nun sagt, er habe ein Vorbereitungsgespräch mit Breuer vor dessen Termin mit Leo Kirch gehabt.Erinnerung wird erneut ein Thema sein, wenn die Vertreter eines Bankentreffens aussagen werden. Noll ist es gelungen, alle bisher ausstehenden Zeugen an zwei Verhandlungstagen zu bündeln: Am 13. Oktober treten Peter Kahn (Ex-BayernLB) und Horst Müller (damals Commerzbank) auf, außerdem wird Serini in ihrer Funktion als Ermittlerin gehört. Am 29. September sind Stefan Jentzsch (Ex-HVB) und Bankmanager Lustig (damals BayernLB) gefragt. Außerdem ist eine Sprachwissenschaftlerin geladen.