LBBW-Prozess ist ein Blick zurück in den Abgrund
Von Gerhard Bläske, StuttgartWie eine Trutzburg erhebt sich der Glaspalast der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) neben dem Stuttgarter Hauptbahnhof über die Baugruben für das Projekt Stuttgart 21. Die größte deutsche Landesbank wäre 2009 beinahe in ein solches Loch gefallen. Eine größenwahnsinnige Expansion und hochriskante Geschäfte mit US-Hypothekenanleihen, die vor allem von der 2008 übernommenen Sachsen LB stammten, hatten das Institut an den Rand des Abgrunds geführt. Mit einer Kapitalspritze von 5 Mrd. Euro mussten die Gesellschafter die LBBW damals vor dem Schlimmsten bewahren.Inzwischen steht die Bank wieder auf festem Grund. Kaum noch etwas erinnert an die dunkle Zeit. Die LBBW ist solide und weist eine komfortable Kernkapitalquote von 11,6 % nach Basel III aus. Nach einer drastischen Schrumpfkur mit einem massiven Personalabbau, umfangreichen Verkäufen und einer Reduzierung der Bilanzsumme von 450 auf 290 Mrd. Euro ist die Bank heute auf das kundennahe, aber vergleichsweise ertragsschwache Geschäft mit privaten und Unternehmenskunden ausgerichtet und gilt als die stärkste Landesbank in Deutschland.Vom kommenden Donnerstag an geht jedoch der Blick zurück in den Abgrund. Denn dann beginnt vor der 14. Großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart der Prozess gegen den früheren LBBW-Chef Siegfried Jaschinski, sechs weitere ehemalige Vorstandsmitglieder sowie zwei Abschlussprüfer der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC), die den Jahresabschluss 2010 geprüft hat.Die Betroffenen müssen sich wegen des Verdachts der Bilanzfälschung verantworten. Ihnen wird vorgeworfen, 2005 und 2006 sogenannte Zweckgesellschaften, die unter anderem der Finanzierung des Mittelstands dienten, außerhalb der Bilanz geführt zu haben. Da diese Schattenbanken im Volumen von 6 Mrd. Euro jedoch faktisch beherrscht worden seien, wäre die Bilanzierung erforderlich gewesen, so die Staatsanwaltschaft. Außerdem soll im Geschäftsbericht 2008 die dramatische Lage der Bank verschleiert worden sein. Im Fall einer Verurteilung drohen den Betroffenen bis zu drei Jahre Haft. Das Gericht hat bis Ende August 24 Verhandlungstage angesetzt. Vorwürfe “unbegründet”Auch unter Experten ist umstritten, ob die LBBW die Zweckgemeinschaft inner- oder außerhalb der Konzernbilanz hätte verbuchen müssen. Die Verteidiger Jaschinskis, der demnächst vom Vorstand in den Verwaltungsrat der MainFirst Bank wechseln soll und von 2005 bis 2009 an der Spitze der baden-württembergischen Landesbank stand, erklärten kürzlich, “die betroffenen Vorstände halten auch weiterhin die mit der Anklage erhobenen Vorwürfe unter tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten für unbegründet”. Die Bilanzierung habe der “bis Mai 2009 gültigen Fassung des Handelsgesetzbuches” entsprochen. Zum Vorwurf der Staatsanwaltschaft, der damalige Vorstand und dessen Wirtschaftsprüfer hätten die Risikolage der Bank in dem Ende April 2009 veröffentlichten Geschäftsbericht für 2008 “nicht zutreffend dargestellt”, heißt es in der Stellungnahme der Verteidigung, sowohl die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung als auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hätten den Geschäftsbericht nicht beanstandet. Die Betroffenen seien sicher, dass das weitere Verfahren zu einem “ihnen günstigen Ergebnis führen und das Landgericht Stuttgart die Vorwürfe im Ergebnis für unbegründet halten wird”.Hans-Peter Burghof, Professor für Bankwirtschaft an der Universität Hohenheim, hält es zwar für “ökonomisch falsch”, dass die Risiken aus der Bilanz gehalten wurden. Dies sei aber rechtlich akzeptiert worden. Wesentlich schwerer wiegende Ermittlungen wegen des Verdachts der Untreue wurden fallengelassen.Die betroffenen Vorstände sind allesamt nicht mehr bei der Bank: Einige wurden mehr oder weniger sanft zum Rückzug gedrängt. Vor allem die spektakuläre Razzia vom Dezember 2009, als 240 Ermittler die LBBW-Zentrale, aber auch Wohnräume der Angeklagten durchsuchten, hat den Ruf der Betroffenen bis heute beschädigt. Für Schlagzeilen sorgte Ende Oktober, dass der letzte Betroffene, der noch im LBBW-Vorstand war – Vizechef Michael Horn – seinen Posten “bis auf Weiteres” räumte, was intern als sehr honorig gewertet wird. Denn natürlich ist man sich intern klar, dass ein Prozess unangenehme Dinge nach oben spülen wird, die die LBBW längst hinter sich gelassen hat, die aber dem Image des Instituts nicht gerade förderlich sind.Für Horn, der seinen Rückzug auch damit begründete, “möglichst Schaden von der LBBW” abwenden zu wollen, hängt viel von der Dauer des Verfahrens ab. Sollte der 58-Jährige auch noch im Sommer vor Gericht stehen, dürfte sein dann auslaufender Vertrag kaum verlängert werden. Der Manager betont, er sei weiterhin davon überzeugt, dass die gegen ihn erhobenen Vorwürfe unter tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten unbegründet seien. Dennoch sorgte Horns Freistellung in Stuttgarter Bankenkreisen für Befremden, denn einerseits gilt bis zu einer möglichen Verurteilung die Unschuldsvermutung, andererseits fand sich in der Pressemitteilung des Instituts keinerlei Würdigung der langjährigen Arbeit des in der Branche hoch geschätzten Managers. Nur der Sparkassenverband des Landes, einer der Hauptgesellschafter der LBBW, erklärte: “Wir gehen davon aus, dass Herr Horn in den Vorstand zurückkehrt.”Die LBBW übrigens äußert sich zum Verfahren nicht, obwohl ihre Gremien die betroffenen Jahresabschlüsse ja genehmigt hatten und der Aufsichtsratsvorsitzende Hans Wagener pikanterweise bis 2010 Deutschland-Chef von PwC war, also der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die zumindest einen der fraglichen Abschlüsse geprüft hatte und von der zwei Mitarbeiter in Stuttgart vor Gericht stehen. “Weitreichende Folgen”Ob die Betroffenen mit einem Freispruch rechnen können, ist noch völlig offen. Burghof glaubt, dass “am Ende mit die Überzeugungskraft der Gutachter entscheiden (wird), wie das Verfahren ausgeht”. Es bestehe das Risiko, “dass die Strafverfolgung zur vorweggenommenen Strafe wird”. Käme es gar zu einer Verurteilung, dann hätte das nach Ansicht des Wirtschaftsprofessors weitreichende Folgen für die gesamte Bankenbranche: “Wenn das Landgericht diese Praxis verurteilen würde, müssten alle Großbanken an den Pranger.” Das Stuttgarter Verfahren ist nur eines in einer Reihe von Strafprozessen gegen Spitzenmanager. Auch frühere Vorstände der BayernLB, der HSH Nordbank und von Sal. Oppenheim sind angeklagt. Im Fall der Hypo Real Estate wird noch ermittelt.