Guido Bader, DAV

Lebensversicherern geht es besser als erwartet

Die Reform von Solvency II könnte der Branche mehr zusetzen als die Pandemiefolgen. In den Kapitalanlagen sind die stillen Reserven weiter gestiegen.

Lebensversicherern geht es besser als erwartet

Antje Kullrich.

Herr Bader, wie geht es den deutschen Lebensversicherern?

Den Umständen entsprechend gut. Die Tiefzinsphase hat sich durch die Folgen der Corona-Pandemie und die Maßnahmen der Zentralbanken weltweit deutlich verschärft. Das setzt den Lebensversicherern mit ihren hohen Garantien, die immer noch in den Beständen schlummern, natürlich gewaltig zu. Trotzdem blicken die Lebensversicherer auf ein gutes Jahr 2020 zurück, was im März oder April keiner geglaubt hätte. Die Geschäfte sind ordentlich gelaufen, die Storni sind zwar leicht angestiegen, aber immer noch im Rahmen, und auf der Kapitalanlageseite sind die Unternehmen ohne größere Blessuren durch das Jahr gekommen.

Hat die aktuelle Übersterblichkeit durch die Pandemie Auswirkungen auf die Lebensversicherer?

Wir sehen in den Risikoergebnissen der Branche keine außergewöhnlichen Schwankungen, da die Menschen, die an Covid-19 sterben, oft sehr alt sind. Was ein Thema werden könnte, sind die Spätfolgen einer überstandenen Coronaerkrankung und deren Auswirkungen auf Invaliditätsabsicherungen. Erste Fälle sind bereits gemeldet, bei denen die Krankheitsfolgen so schwerwiegend sind, dass Menschen berufsunfähig werden. Wir müssen abwarten, ob das häufiger vorkommt und damit auch für die Versicherer spürbar wird.

Was sollte die Branche derzeit am meisten beunruhigen?

Neben der schon angesprochenen gesamtwirtschaftlichen Lage, Tiefzins und Garantien ist es die politische Entwicklung rund um die Altersvorsorge: Da sind viele unterschiedliche Ideen im Raum. Der Handlungsbedarf wird erkannt, aber die Lösungsansätze sind sehr unterschiedlich. Und je unterschiedlicher diese sind, desto mehr Komplexität wird geschaffen. Das ist den Menschen dann wieder schwer zu vermitteln. Deshalb wäre es wichtig, mehr auf Bewährtes zu setzen und Dinge zu vereinfachen, als zu verkomplizieren.

Das würde aus Ihrer Sicht bedeuten, Riester zu reformieren und nicht auf neue Angebote wie eine Deutschland-Rente zu setzen?

Riester ist bei aller Kritik ein bewährtes Instrument, das man weiterentwickeln und vereinfachen sollte. Da sollte der Gesetzgeber überlegen, dieses attraktiver zu machen, als noch etwas Neues danebenzustellen und die Komplexität weiter zu er­höhen.

Die Lebensversicherer haben mit ihrem Produktangebot der vergangenen Jahre doch selbst dafür gesorgt, dass der Markt sehr unübersichtlich wird. Da könnte man ja auch sagen, eins mehr oder weniger macht auch keinen Unterschied.

Man muss unterscheiden zwischen der Produktkonstruktion und der steuerlichen Betrachtung. Sie haben Recht, die Produktgattungen sind komplizierter geworden. Das ist ein Ausfluss des Zinsumfelds. Das andere ist die Komplexität auf der steuerlichen Seite: Wenn ich einer Basis-, einer Riester- und einer betrieblichen sowie privaten Altersvorsorge noch etwas danebenstelle, dann wird es auch da immer komplexer.

Eine Deutschland-Rente könnte etwas anderes ersetzen.

Ja, aber man muss auch immer an die Bestände denken. Wenn wir Riester aufgeben und ersetzen, bleiben immer noch die bestehenden Verträge. Diese Bestände müssen noch jahrzehntelang verwaltet werden.

Wie hoch schätzen Sie die Risiken für die Kapitalanlagen der Lebensversicherer aus den Nachwirkungen der Pandemie ein – Stichwort Insolvenzwelle?

Es ist ein gewisses Risikopotenzial da. Die Risiken aus Ausfällen im festverzinslichen Bereich halte ich für beherrschbar und überschaubar. Die Versicherer sind breit diversifiziert und investieren oft in Anlagen sehr guter Bonität.

Was ist mit Ratingherabstufungen auf breiter Front, die dann bei den Lebensversicherern zu mehr Eigenmittelbedarf führen würden?

Es wird Abstufungen in den Ratings geben, aber in den Kapitalanlagen sehe ich keine große Downgrade-Welle auf uns zukommen. Ein einzelner Notch generiert noch keinen Abschreibungsbedarf. Wir bekommen auf der Solvency-II-Seite etwas höhere Risikofaktoren, aber das wird nicht ausgeprägt sein. Deutlich mehr Sorgen machen mir die Reformvorschläge von EIOPA zum Solvency-II-Review. Die würden den deutschen Markt viel stärker belasten als die Ratingherabstufungen, die wir vielleicht für 2021 erwarten.

Können Sie die Solvency-II-Review-Effekte beziffern?

Es kann durchaus sein, dass auf die Solvenzquoten der deutschen Lebensversicherer je nach Betrachtungsweise, Stichtag und Unternehmen Druck von bis zu 100 Prozentpunkten kommt. Es gab zwei Auswirkungsstudien der EIOPA, die diese erheblichen Effekte gezeigt haben. Wir halten als Deutsche Aktuarvereinigung die Vorschläge von EIOPA nur in Teilen für sachgerecht.

Was lehnen Sie ab?

Die deutschen Lebensversicherer investieren z. B. nicht in die Swap-, sondern in die Bondmärkte. Die sind bei einer Laufzeit von über 20 Jahren nicht mehr liquide. EIOPA will aber die Methodik, mit der die Zinsstrukturkurve modelliert wird, ändern und Marktdaten für Laufzeiten über 20 Jahre einbeziehen. Das bildet in der vorgeschlagenen Ausgestaltung für uns die Realität für die deutschen Lebensversicherer nicht mehr ab.

Trotz Intervention von deutscher Seite ist EIOPA nicht von den Plänen abgerückt und hat die Vorschläge der EU-Kommission übermittelt. Sehen Sie Chancen, dass noch etwas geändert wird, oder überlegen Sie sich Möglichkeiten, wie man sich anpasst?

Ich glaube sehr wohl, dass sich die Kommission im ersten und das EU-Parlament­ im zweiten Schritt eine eigene Meinung bilden werden. Die werden sich die Vorschläge von EIOPA sehr genau anschauen und gegebenenfalls durch eigene Studien überprüfen. Insofern bin ich überzeugt, dass der Diskurs mit der Politik jetzt erst richtig anfängt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Vorschläge von EIOPA so eins zu eins umgesetzt werden. Die Kapitalanleger in den Häusern reagieren natürlich ebenso auf regulatorische Veränderungen. Aber wir müssen aufpassen, dass wir uns damit nicht höhere Risiken einkaufen.

Die Zinszusatzreserve der Lebensversicherer geht schon wieder durch die Decke und wird mit geschätzt jeweils gut 10 Mrd. Euro für 2020 und 2021 dreimal so hoch ausfallen wie vor wenigen Jahren bei der Änderung der Berechnungsmethodik erwartet. Muss schon wieder nachjustiert werden?

Die Höhe der Zinszusatzreserve liegt am weiter gesunkenen Zinsniveau. Mittlerweile haben wir ja Negativzinsen. Als Deutsche Aktuarvereinigung fahren wir derzeit keine Analysen, wie wir die Zinszusatzreserve weiterentwickeln können. Die Lebensversicherer sind in der Lage, auch in dieser verschärften Situation die Zinszusatzreserve zu bedienen. Wir werden das sicherlich in Zukunft genau beobachten müssen. Aber ich möchte an dieser Stelle keinen Alarmismus betreiben. Mit den tiefen Zinsen sind ja auch die stillen Reserven in den Kapitalanlagen weiter gestiegen und damit die Möglichkeit, die Anforderungen der Zinszusatzreserve zu bedienen.

Wie hoch schätzen Sie die stillen Reserven der deutschen Lebensversicherer?

Branchenweit gehe ich von etwa 20% stillen Reserven aus. Das bedeutet, dass auf einen Euro Buchwert der Kapitalanlagen ein Marktwert von 1,2 Euro kommt. Das ist aber nur eine grobe Schätzung.

Das Interview führte

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