Lloyd's sieht sich für harten Brexit gerüstet
Der Versicherungsmarkt Lloyd’s of London findet mit seinen Spezialdeckungen und seinen großen Deckungssummen auch in Deutschland Anklang. Das soll auch im Falle eines harten Brexit so bleiben. Deshalb hat Lloyd’s eine Gesellschaft in Brüssel gegründet, über die das Geschäft zukünftig laufen soll. – Herr Blumenthal, Sie sind Hauptbevollmächtigter für Deutschland und Country Manager Österreich von Lloyd’s of London. Was ist Ihre Aufgabe?Gemäß § 64 Versicherungsaufsichtsgesetz muss ein Versicherer, der nicht aus Deutschland kommt, aber hier lokales Geschäft machen möchte, einen Hauptbevollmächtigten vor Ort haben. Mein Team und ich – wir sind zu fünft – sind interner Dienstleister für den Lloyd’s-Versicherungsmarkt in Deutschland. Das heißt, wir geben Lloyd’s-Versicherern Hilfestellung, organisieren den Informationsfluss zwischen Maklern und Underwritern und erklären ihnen, wie der Lloyd’s-Markt funktioniert. Denn der ist nicht trivial. Unser Ziel ist es, den Lloyd’s-Versicherungsmarkt zu entmystifizieren.- Wie ist Lloyd’s hier in Deutschland vertreten?Wir haben hier in Deutschland zwei wesentliche Vertriebswege: Zum einen sind das Tochtergesellschaften von Lloyd’s-Versicherern, die hier in Deutschland ein eigenes Büro haben, unter anderen Hiscox, XL Catlin, Markel, Newline, Starstone, Tokio Marine Kiln oder MS Amlin. Das sind eigenständige Versicherungsgesellschaften, für die ich der Hauptbevollmächtigte bin. Zum anderen sind das sogenannte Coverholder oder auch Assekuradeure. Das sind unabhängige, selbständige Versicherungsagenturen, die über eine Zeichnungsvollmacht eines Lloyd’s-Syndikats verfügen.- Und wer wendet sich an diese Lloyd’s-Versicherer?Vorwiegend Makler. Wir erhalten auch regelmäßig Anfragen von Maklern, deren Kunden einen speziellen Versicherungsbedarf haben. Wir vermitteln dann entsprechende Ansprechpartner.- Es gibt ja auch in Deutschland viele Versicherungsgesellschaften. Was ist das Besondere an Lloyd’s?Lloyd’s bietet eine Vielzahl von Spezialversicherungen an, die lokale Risikoträger in dieser Form nicht abdecken können – zum Beispiel eine hoch spezialisierte Sportversicherung für Fußballer oder Deckung für Flugzeuge. Ein Lloyd’s-Syndikat war das erste, das Deckungen für den Fall einer Entführung und Erpressung an den Markt gebracht hat. Auch Cyberdeckungen hat der Lloyd’s-Markt entwickelt: Beazley hat Anfang der neunziger Jahre erstmals in den USA Cyberdeckungen angeboten und macht das seitdem mit großem Erfolg.- Gibt es weitere Gründe, ausgerechnet bei Lloyd’s anzuklopfen?Ja, allerdings. Wir können Deckungen realisieren, die eine sehr hohe Zeichnungskapazität erfordern. Wir arbeiten zum Beispiel mit sehr großen Unternehmen zusammen, die eine Managerhaftpflichtversicherung mit einem Deckungsvolumen von bis zu 500 Mill. Euro abschließen wollen – also eine signifikant größere Kapazität, als die meisten anderen Versicherungen abdecken können.- Gilt das auch für Cyberdeckungen?Selbstverständlich. Ein großer Vorteil von Lloyd’s-Markt ist, dass sich bis zu 20 Versicherungsgesellschaften oder mehr durch Syndizierung das Risiko teilen können. So können wir Risiken bis zu 700 Mill. Euro abdecken. Dagegen decken die meisten deutschen Versicherer Cyberschäden nur bis zu 5 Mill. Euro ab, einige wenige vielleicht bis zu 10 oder 20 Mill. Euro.- Welche Branchen werden von Lloyd’s insbesondere angesprochen?Das kann der Sägewerksbesitzer im Schwarzwald sein, der sonst nur schwer eine Feuerversicherung bekommt. Das kann aber ebenso ein Mittelständler sein, der das Risiko eines Kidnappings versichern möchte. In der Regel sind unsere Kunden unabhängig von der Branche große Unternehmen wie zum Beispiel eine Reederei mit einer großen Flotte oder eine Airline. Banken und Versicherer haben großvolumige Cyberdeckungen bei Lloyd’s platziert.- Welche Deckungen fragen denn speziell Kreditinstitute bei Lloyd’s nach?Immer wieder Managerhaftpflichtversicherungen mit einem entsprechend hohen Deckungsvolumen. Zunehmend wird aber auch die Cyberversicherung nachgefragt, weil Banken mit großen Datenvolumina arbeiten und daher entsprechend große Cyberrisiken haben. Das betrifft sowohl Eigen- als auch Drittschäden. Banken decken sich aber auch gerne gegen Kreditrisiken, politische Risiken oder Naturkatastrophen ab, da sie ja häufig als Kreditgeber für Staaten oder Kommunen auftreten. Solche Risiken werden häufig bei Lloyd’s versichert, weil wir die großen Kapazitäten anbieten können.- Was zeichnet Lloyd’s neben großen Deckungskapazitäten aus?Unsere Erfahrung und unser Know-how. Wir haben sehr viel mehr Erfahrung auf dem Großschadenversicherungsmarkt als die meisten anderen Versicherer. Kein Wunder, den Lloyd’s-Marktplatz gibt es schließlich schon seit über 300 Jahren.- Auch Versicherer selbst versichern sich ja über Lloyd’s . . .Richtig, große nationale oder auch regionale Versicherer platzieren einen Teil ihrer Risiken bei Rückversicherern und damit auch bei Lloyd’s. In Deutschland haben wir ein Prämienvolumen von insgesamt knapp 500 Mill. Euro. Davon entfallen rund 55 % auf Erstversicherungen und 45 % auf Rückversicherungen.- Nochmals zur Cyberversicherung: Welches besondere Feature bietet Lloyd’s hier an?Lloyd’s verfügt über 30 Jahre Erfahrung auf diesem Gebiet und hat in dieser Zeit unglaublich viele Schäden reguliert. Bei Cyberversicherungen gibt es drei Möglichkeiten der Leistung: die Versicherung des Eigenschadens, des Drittschadens und das sogenannte Engineering – also die Bereitstellung von Dienstleistern, die den Schaden analysieren und Lösungsvorschläge unterbreiten, sowohl präventiv als auch im Schadenfall. Das erfordert sehr viel Know-how. Da haben es die Versicherer leichter, die schon viel gesehen haben. In Deutschland war übrigens der Lloyd’s-Versicherer Hiscox der erste, der Cyberdeckungen angeboten hat.- Politische Risiken werden von Versicherungen häufig ausgeschlossen. Bei Lloyd’s ist das anders.Ja, das ist historisch gewachsen. Wir versichern sehr viele große Projekte in der Dritten Welt wie zum Beispiel den Bau eines Staudamms oder einer Hafenanlage. Dazu gehören auch Risiken wie Enteignungen, Beschlagnahmungen oder das Einfrieren von Geldern aufgrund von politischen Umwälzungen.- Wie sieht es mit der Automobilindustrie aus?Ähnlich wie für Banken decken wir hier vor allem hochvolumige Managerhaftpflicht-, Cyber- und politische Risiken ab. Hinzu kommen branchentypische Risiken wie Transport, Bau oder eine Produktionsunterbrechung durch nicht gelieferte Teile. Auch wirtschaftliche Folgen von Streiks sind zum Beispiel bei uns versicherbar.- Kommen wir zum Brexit. Welche Folgen hat er für Lloyd’s und seine Versicherungsnehmer?Für Lloyd’s ist der freie Handel essenziell und damit auch der Binnenhandel in der EU. Da durch den Brexit dieser freie Waren- und Dienstleistungsverkehr gefährdet ist, musste sich Lloyd’s schnell eine Strategie einfallen lassen, mit der wir unser Dienstleistungsangebot für unsere EU-Stakeholders kontinuierlich sicherstellen können. Immerhin fallen auf die EU ohne Großbritannien etwa 15 % des Lloyd’s-Prämienvolumens.- Wie sieht Ihre Lösung konkret aus?Wir haben eine eigene Gesellschaft in der Europäischen Union gegründet: die Lloyd’s Insurance Company S. A. in Brüssel. Diese Versicherungsgesellschaft wird ab dem 1. Januar 2019 sämtliche EU-europäischen Risiken für Lloyd’s zeichnen. Die Platzierung erfolgt wie gewohnt über die gleichen Ansprechpartner in London. Es gibt eine Outsourcing-Vereinbarung mit der Lloyd’s Insurance Company S. A. und den Lloyd’s-Syndikaten in London. Lloyd’s Brüssel gibt die Risiken über den Weg der Rückversicherung weiter an Lloyd’s in London. Mit diesem Konstrukt sind wir für den schlimmsten Fall, also einen harten Brexit ohne Übergangsregelung, vorbereitet.- Und diese Struktur ist so von der Aufsicht abgesegnet worden?Ja. Sowohl die belgische Aufsichtsbehörde als auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) haben dem Konzept zugestimmt.- Was passiert mit den Risiken, die schon gezeichnet sind oder bis Jahresende gezeichnet werden?Lloyd’s prüft gerade, ob die bestehenden Vertragsverhältnisse im Rahmen einer Bestandsübertragung auf die neue Gesellschaft in Brüssel übergehen können. Allerdings wird dieses Verfahren nicht bis zum 29. März 2019 abgeschlossen sein, sondern vermutlich bis 2020 dauern. Außerdem wird in Berlin an einem Gesetz zum Schutz der deutschen Versicherungsnehmer gearbeitet, das neben den Versicherern auch Banken betrifft. Und zu guter Letzt hat der Chairman von Lloyd’s unmissverständlich klargestellt, dass Lloyd’s jeden versicherten Schaden bezahlen wird.- Das heißt, für den Versicherungsnehmer oder für einen Makler, der einen Vertrag mit Lloyd’s oder einem Lloyd’s-Syndikat hat, wird sich in der Praxis nichts ändern?Die wesentlichen strukturellen Maßnahmen haben wir durch die Gründung der Gesellschaft in Brüssel vorgenommen; insofern sieht Lloyd’s hier keine Hürden, weder bei Prämienzahlungen noch mit den Lloyd’s-Risikoträgern.- Behindert der Brexit Ihr Geschäft?Natürlich stellen Makler und Kunden viele Fragen. Das kann man ja auch verstehen, der Brexit war eine Herausforderung, die so nicht zu erwarten war. Aber wir haben gute Lösungen erarbeitet, und abgesehen von den Herausforderungen sehen wir große Chancen darin, aus dem Herzen Europas heraus in unserer neuen Brüsseler Gesellschaft tätig werden zu können.- Wird das Geschäft in Deutschland unter dem Brexit leiden?Im Durchschnitt haben die Beitragseinnahmen von Lloyd’s in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren jährlich um etwa 5 % zugenommen. Aktuell sind wir bei einem Prämienvolumen von rund 500 Mill. Euro. Das Wachstum zeigt, dass wir branchenbedingte Prämienrückgänge mehr als kompensieren konnten. Ich gehe davon aus, dass wir auch in Zukunft unser wesentliches Umsatzvolumen behalten werden.—-Das Interview führte Thomas List.