Herbert Scheidt

„Man muss da nun sehr genau hineinschauen“

Nach den Zusammenbrüchen von Greensill und Archegos, die beide Credit Suisse zusetzen, hofft der schweizerische Bankenpräsident Herbert Scheidt nun auf Schadenbegrenzung.

„Man muss da nun sehr genau hineinschauen“

Von Bernd Neubacher, Frankfurt

Die Schweizerische Bankiervereinigung findet angesichts des Greensill- und Archegos-Debakels der Credit Suisse lobende Worte für die Reregulierung des Bankensektors nach der Finanzkrise. „Der Aufbau von Kapitalpolstern hatte sicherlich eine sehr stabilisierende Wirkung für den gesamten Finanzplatz“, sagt Präsident Herbert Scheidt der Börsen-Zeitung, angesprochen auf die Lage der Großbank. Für die betroffenen Anleger sei der finanzielle Schaden in beiden Fällen sehr bedauerlich: „Man muss da nun sehr genau hineinschauen und sollte nicht vorschnell den Stab über jemanden brechen“, erklärt der Verwaltungsratspräsident von Vontobel, sagt aber zugleich: „Ich hoffe, dass die Angelegenheit in beiden Fällen ordentlich aufgearbeitet und der Schaden be­grenzt wird.“

In der Vergangenheit hat sich die Bankiervereinigung nicht immer derart zustimmend zu strikteren Kapitalanforderungen geäußert. Als etwa 2014 Mark Branson als Direktor der schweizerischen Finanzmarktaufsicht Finma antrat, forderte sie, dass der neue Direktor „wieder vermehrt den Geist des Vertrauens und der Zusammenarbeit“ mit den Banken aufleben lasse und die Regulierung „verstärkt auf ihre Marktfähigkeit“ prüfe. Das war, bevor Scheidt als Bankenpräsident antrat. Er sagt: „Einige der nach der Finanzmarktkrise erlassenen Anforderungen sind richtig. Es geht aber um das richtige Maß. Das haben wir im Wesentlichen gefunden.“

„Ein großer Gewinn“

Credit Suisse hat allein im Fall des zusammengebrochenen Hedgefonds Archegos 4,4 Mrd. sfr verloren und weist in der Folge fürs Startquartal einen Verlust von 900 Mill. sfr aus, kürzt die Dividende und stellt ihre Aktienrückkäufe ein. Mit „mindestens 12%“ bleibt die Kernkapitalquote gleichwohl über der aufsichtlichen Minimalvorgabe von 10%, wie die Bank mitgeteilt hat.

Mit Branson, der im Sommer an die Spitze der Bundesanstalt für Fi­nanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) wechseln wird, hat das Bundesfinanzministerium Scheidt zufolge einen sehr guten Griff getan: „Ich schätze ihn als jemanden, der vorausschauend denkt, Risiken frühzeitig erkennt, analysiert und sich in die Aufsichtstätigkeit einbringt. Er ist ein großer Gewinn für Deutschland und für die BaFin.“

Als Präsident der Bankiervereinigung muss Scheidt derweil zusehen, dass die rund 250 Banken im Verband gegenüber Bransons Interimsnachfolger Jan Blöchliger mit möglichst einheitlicher Stimme sprechen. Beobachtern zufolge haben die Fliehkräfte in der Organisation seit dem faktischen Ende des Schweizer Bankgeheimnisses sukzessive zugenommen. Im November kündigten die Raiffeisenbanken, drittgrößte Bankengruppe des Landes, ihren Abschied nach über 100-jähriger Mitgliedschaft an. Man werde sich künftig eigenständig zu gesetzgeberischen und aufsichtsrechtlichen Themen äußern, hieß es. „Möglicherweise hat die Gruppe das Gefühl, ohne Verband mehr für sich herausholen zu können. Ich bin zuversichtlich, dass wir irgendwann wieder zusammenkommen“, zeigt sich Scheidt optimistisch. Die Tür stehe jedenfalls offen. „Ich sehe keine große Austrittswelle vor uns.“ Gleichwohl sei der Austritt ein Weckruf gewesen, sich intensiver mit den Mitgliedern zu beschäftigen und ihnen darzulegen, welche Palette an Diensten ihnen die Vereinigung bereitstelle. Die Institute hätten sich zur Bankiervereinigung bekannt. „Bundesrat und Behörden wollen, dass die Banken mit einer Stimme sprechen“, argumentiert Scheidt.

Als Verwaltungsratspräsident von Vontobel wird der Manager im kommenden Jahr nach elf Jahren, sowie zuvor neun Jahren als Chief Executive Officer (CEO) des Instituts, seinen Hut nehmen. Sein designierter Nachfolger Andreas Utermann, Ex-Chef von Allianz Global Investors, den die Generalversammlung am 20. April auf den Schild heben dürfte, übernimmt ein bestelltes Haus. So kann Scheidt darauf verweisen, dass die Eigenkapitalrendite in seiner Zeit als CEO und Verwaltungsratspräsident von 0,2% auf 13,3% geklettert, das Kurs-Buchwert-Verhältnis von 1,5 auf 2,1 gestiegen ist und sich die im Assetmanagement und Wealth Management verwalteten Mittel jeweils vervielfacht haben. „Wir sind extrem gewachsen“, sagt Scheidt und fügt mit einem Verweis auf rund 10% Total Return jährlich für die Aktionäre durch Wertsteigerung und Dividenden hinzu: „Das ist recht ordentlich.“ Im vorvergangenen Jahr legte der Verwaltungsrat die Strategie gleich bis 2030 fest. Das Ergebnis war eine Positionierung als reines Investmenthaus sowie der Rückzug aus dem Brokerage und dem Corporate Finance.

„Viel zu tun“

Scheidt hebt zudem die horizontale Verzahnung die Geschäftsbereiche hinweg hervor und postuliert: „In einer digitalisierten Welt müssen wir transversaler agieren und denken. Wir wollen die digitale Entwicklung aufnehmen und daraus neue Geschäftsmöglichkeiten entwickeln. Da gibt es in den nächsten Jahren viel zu tun.“ Das Kundenverhalten verändere sich in Richtung Ökosysteme, „und wir müssen uns angesichts des schnellen Wandels immer wieder neu erfinden“. Nachfolger Andreas Utermann und dessen Team müssten zudem entscheiden, „auf welchen Investmenttrend wir setzen müssen, was in fünf Jahren wichtig sein wird. Das ist eine ganz große Herausforderung.“ Rund 40 Mill. sfr jährlich steckt Vontobel in die Fortentwicklung ihrer IT. Folglich dürfte für Vontobel, wie Scheidt durchblicken lässt, etwa im Wealth Management weniger Assetwachstum durch Zukäufe kleinerer Privatbanken auf der Agenda stehen als vielmehr etwa die Frage von Kooperationen mit Spielern, die das Haus technologisch oder mit Blick auf die Anlagekompetenz weiterbringen.