IM GESPRÄCH: STEPHAN GEIS

"Managerhaftpflicht ist unter Druck"

Allianz-Industrieversicherer AGCS erwartet mehr Schäden infolge der Pandemie und höhere Preise

"Managerhaftpflicht ist unter Druck"

Der Industrieversicherer AGCS rechnet mit mehr Schäden in der D&O-Versicherung. Die Mutter Allianz denkt daher darüber nach, im vierten Quartal zusätzlich Geld in die Reserven zu stecken. Währenddessen steigen die Preise für die Kunden stark. AGCS-Manager Stephan Geis beobachtet das Ausscheiden kleinerer Versicherer aus dem Markt.Von Michael Flämig, MünchenDie Coronakrise wird die Schäden in der Managerhaftpflicht nach oben treiben. Dieser Überzeugung ist Stephan Geis, der für den Allianz-Industrieversicherer AGCS die Sparte Financial Lines in Zentral- und Osteuropa leitet. “Die Covid-19-Pandemie setzt die D&O-Versicherung einmal mehr unter Druck”, sagt er der Börsen-Zeitung. Dies bekommen auch die Kunden zu spüren – denn die Branche der Industrieversicherer zieht nach jahrelangen Verlusten die Konditionen kräftig an. Mancher Chef von Industrieunternehmen berichtet von einer Verdreifachung der Preise zum Jahresanfang 2021. “Konzerne mit starker US-Präsenz oder in Insolvenzgefahr erleben teils extreme Steigerungen”, bestätigt Geis. Dagegen könne der Anstieg für finanzstarke Firmen mit Präsenz nur in Europa viel niedriger sein. “Veränderung notwendig””Die Veränderung ist dringend notwendig”, betont der AGCS-Manager. Er begründet dies mit den Verlusten der Branche: “D&O-Versicherungen waren defizitär in den vergangenen Jahren.” Laut Branchenverband GDV betrug die kombinierte Schaden- und Kostenquote seit dem Jahr 2016 immer mehr als 100 %.AGCS veröffentlicht kaum Daten für die Sparten. Geis zufolge sind die Schäden in der D&O-Versicherung jedoch seit 2015 in jedem Jahr gestiegen. Im Jahr 2019 entfielen 13 % des weltweiten Beitragsvolumens von 9,1 Mrd. Euro auf die Sparte Financial Lines, die von der D&O-Versicherung dominiert wird (siehe Grafik).Die Schaden- und Kostenquote sei branchenweit nicht nur in Deutschland, sondern auch in den anderen deutschsprachigen Ländern schlechter als 100 %, erklärt Geis. Unprofitabel seien alle großen Märkte in Europa, in denen international agierende Unternehmen ihren Sitz haben – so dass auch in Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien rote Zahlen geschrieben werden. USA und Australien gelten ebenfalls als Verlustbringer. Vom fünften Kontinent hatte sich AGCS schon vor geraumer Zeit zurückgezogen. Trotz der jüngsten Preiserhöhungen habe die Branche noch lange nicht die defizitären Jahre aufgeholt, betont Geis: “Da haben wir noch einen weiten Weg zu gehen, bis nach jahrelanger Auszehrung die Kapitalbasis wieder aufgefüllt ist.”Nach Beobachtung von Geis wird dabei nicht jeder Versicherer am Ziel ankommen. Einige kleinere Player nicht nur in Deutschland verfolgten das Geschäftsmodell nicht mehr weiter. Jedoch hält es der D&O-Experte für unwahrscheinlich, dass sich die großen Versicherer aus dem Markt zurückziehen werden. AGCS halte an der Sparte fest: “Wir sind überzeugt, in der Zukunft mit der D&O-Versicherung langfristig Geld verdienen zu können.”Allerdings verdichten sich die Anzeichen, dass die Allianz im vierten Quartal den absehbaren D&O-Schäden zusätzlich Tribut zollen muss. Finanzvorstand Giuolo Terzariol hatte dies bereits Anfang November im Gespräch mit Analysten angedeutet: “Am Ende des Jahres werden wir entscheiden, ob wir vorsichtshalber die Reserven für Financial Lines und D&O erhöhen wollen.” Damit scheint eine Sonderbelastung in dreistelliger Millionenhöhe möglich zu sein. Die Reserven von AGCS addieren sich früheren Angaben des Vorstands zufolge auf 10 Mrd. Euro. Davon entfielen 5,5 Mrd. Euro gemeinsam auf Haftpflicht und Financial Lines. Letztere bezifferte Terzariol zwar nicht explizit. Seine Angaben lassen jedoch den Schluss zu, dass sie für Financial Lines zwischen 2,5 Mrd. und 3,5 Mrd. Euro liegen.Wie reagieren die Kunden auf die Preiserhöhungen? In der Vergangenheit seien Angebote auch einmal von den Kunden unkommentiert angenommen worden, berichtet Geis: “Nun müssen wir müssen jeden Vertrag verhandeln, und zwar häufig monatelang.” Anfang Dezember hätten viele Unternehmen noch nicht über die Vertragsverlängerung zum 1. Januar entschieden. Doch es lässt sich eine Linie quer durch alle Firmen erkennen: “Kapazität wird nicht aufgegeben.” Dagegen würden Bedingungen eingeschränkt, um den Preissteigerungen entgegenzuwirken.Aus Sicht von Geis gibt es gute Gründe für Unternehmen, an dem Volumen ihrer D&O-Versicherungen festzuhalten, sofern der Markt überhaupt die entsprechenden Kapazitäten bereitstellt. “Die Covid-19-Pandemie hat alles, was bisher schon kritisch war, nochmals verschärft.” Unter den vier Megatrends dominierten zwei Risiken.Erstens löse die Pandemie Prognosen zufolge eine Pleitewelle aus und verschärfe damit das Risiko, das sowieso schon am stärksten auf die D&O-Versicherung durchschlage. Denn Insolvenzverwalter versuchten häufig, die Insolvenzmasse durch Schadenersatzklagen gegen die Geschäftsführer zu erhöhen. Die Maßnahmen zum Vermeiden von Insolvenzverfahren liefen nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich und der Schweiz aus, erklärt Geis: “Dies führt zu einer extrem toxischen Mischung.”Ob AGCS auch von der Wirecard-Pleite getroffen wird, will Geis nicht sagen, da man sich nicht zu konkreten Kundenverbindungen äußern könne. Generell handele es sich bei Wirecard um ein Insolvenzverfahren, aber es ständen auch andere Vorwürfe im Raum. “Eine D&O-Versicherung leistet keinen Schadenersatz bei Vorsatz oder strafrechtlich relevanten Handlungen”, sagt Geis. Daher bleibe das Ergebnis der offiziellen Ermittlungen abzuwarten, ehe man über die Auswirkungen auf eine D&O-Versicherung spekulieren könne.Zweitens entwickelten Sammelklagen von Aktionären in den USA eine neue Dynamik. “Immer häufiger sind es die ausländischen Unternehmen, die betroffen sind”, beobachtet Geis. Der Prozentsatz der neu registrierten Klagen gegen Nicht-US-Unternehmen, die in der USA an der Börse notiert sind, sei im laufenden Jahr doppelt so hoch wie in den vorherigen Jahren. Geis interpretiert dies als Folge der Globalisierung von Unternehmen, die sich auch zunehmend in den USA refinanzierten.Auch auf Cybersicherheit blickt Geis kritisch: “Die IT-Sicherheitsrisiken haben sich durch Homeoffice in der Pandemie erhöht.” Man müsse davon ausgehen, dass in der Ad-hoc-Umsetzung nicht immer professionelle Lösungen gewählt worden seien. So wisse man, dass Unternehmen teils auf die Zwei-Faktor-Authentifizierung verzichtet hätten. Pflichtverletzungen könnten daher zu Schadenersatzforderungen führen.Bei Governance-Klagen gehe der Trend dazu, weiche Faktoren wie Untätigkeit im Diversity-Management als Anlass zu nehmen, Schadenersatz zu fordern. AGCS, die sich verstärkt um große mittelständische Kunden bemüht, ist zudem davon überzeugt, dass nicht börsennotierte Firmen wegen möglicher Versäumnisse in der Pandemie einem erhöhten Prozessrisiko ausgesetzt sind.