InterviewTaiga Brahm

„Mangelnde Kompetenz kann zu Altersarmut führen“

Finanzielle Bildung kommt in den Lehrplänen deutscher Schulen zu kurz, warnt Bildungsforscherin Taiga Brahm. Die Folgen können nicht nur für den Einzelnen bitter sein.

„Mangelnde Kompetenz kann zu Altersarmut führen“

Im Interview: Taiga Brahm

"Mangelnde Kompetenz kann zu Altersarmut führen"

An Schulen wird finanzielles Wissen nur teilweise vermittelt – Bildungsforscherin warnt vor Belastung der Sozialsysteme und individueller Not

Finanzielle Bildung kommt auf den Lehrplänen deutscher Schulen zu kurz, warnt Taiga Brahm, Professorin für Ökonomische Bildung und Wirtschaftsdidaktik. Sie warnt vor Altersarmut, hoher Verschuldung und Belastung der Sozialsysteme.

Frau Professor Dr. Brahm, als Forscherin haben Sie und Ihr Kollege Andreas Schuler die Lehrpläne an deutschen Schulen untersucht. Wird Finanzbildung ausreichend vermittelt?

Wir sind der Ansicht, dass sich hier große Defizite zeigen. In der Studie haben wir uns an einem Kompetenzmodell der OECD orientiert. Es geht um ein Grundniveau, das ein junger Mensch braucht, um vollständig und sicher am ökonomischen und finanziellen Leben teilhaben zu können. Das Konzept sieht 50 Kategorien vor. In den untersuchten Lehrplänen werden insgesamt weniger als ein Drittel davon tatsächlich abgedeckt.

Wo liegen die Lücken?

Ein großes Defizit sehen wir im Unterricht zu Chancen und Risiken. Das betrifft etwa die individuelle Risikobereitschaft, die Abwägung für einzelne Geldanlagen oder das Wesen bestimmter Versicherungen. Auch darüber hinaus kommen viele einzelne Themen zu kurz: Zahlungsmethoden finden sich in manchen Lehrplänen überhaupt nicht, ausländische Währungen werden nirgendwo behandelt. Auch zur Einschätzung von Zinsen sehen wir wenig – allerdings ist das in anderen Fächern wie Mathematik natürlich ein Thema.

Was wird hingegen häufiger in Schulen zur finanziellen Bildung unterrichtet?

Themen rund um Geld und Transaktionen tauchen in den Lehrplänen etwas öfter auf, vor allem Formen und Funktionen von Geld und Einflussfaktoren auf Preise. Darüber hinaus sind Rechte und Pflichten der Verbraucherinnen und Verbraucher häufig abgedeckt. Aber bereits angrenzende Themen wie Geschäftsmodelle und Regulierung von Finanzdienstleistern, Wettbewerb und Preisvergleiche oder die Rolle der Finanzaufsicht kommen selten vor.

Warum ist mangelnde Finanzbildung ein Problem?

Finanzielle und ökonomische Bildung hängt stark mit der sozialen Absicherung und dem finanziellen Auskommen eines Individuums zusammen. Eine mangelnde Kompetenz kann zu Altersarmut oder einer höheren Verschuldung führen. Das hat auch gesamtwirtschaftliche Folgen, etwa durch die Belastung der Sozialsysteme. Wir haben also auch ein volkswirtschaftliches Interesse daran, finanzielle Kompetenz in der Schule zu vermitteln.

Gegen Altersarmut und Überschuldung helfen, so sagen viele, in erster Linie höhere Löhne oder auch Sozialleistungen.

Das stimmt, eine ungleiche Verteilung der Einkommen fällt ins Gewicht. Gleichwohl leistet auch die Bildung einen Beitrag. Es ist für alle Bürgerinnen und Bürger essenziell, dass sie reflektierte Entscheidungen treffen können – das gilt nicht nur für Menschen mit geringem Einkommen. Die Forschung legt nahe, dass finanzielle Kompetenz das Finanzverhalten von Menschen positiv beeinflusst. Finanzielle Bildung ist dafür ein wichtiger Baustein.

Zwischen Lehrplänen der Bundesländer gibt es große Unterschiede. Warum?

Das liegt aus meiner Sicht an politischen Aushandlungsprozessen und am Föderalismus. Es gibt keine Möglichkeit in Deutschland, Fächer zentral vorzugeben. In den einzelnen Bundesländern gibt es dann ganz unterschiedliche Interessenkonstellationen.

Aber ein zentrales Anliegen wie finanzielle Bildung sollte doch genügend Fürsprecher haben!

Es gibt viele verschiedene Anspruchsgruppen, die ihre Argumente vortragen. Da ist es nicht einfach, Unterstützung für ein eigenständiges, neues Fach zu erhalten. Wichtig ist zusätzlich zur finanziellen Bildung auch eine umfassende Perspektive auf die Ökonomie.

Bayern und Baden-Württemberg schaffen es mehr als andere Bundesländer, finanzielle Bildung im Lehrplan zu verankern. Es ist also möglich.

Auch in Bayern und Baden-Württemberg sehen wir eine Abdeckungsquote von wenig mehr als einem Drittel der von der OECD geforderten Kompetenzbereiche. In Baden-Württemberg, wo ich tätig bin, gibt es das Fach „Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung“ in den Klassen sieben bis zehn an Haupt-, Real- und Gemeinschaftsschulen und in den Klassen acht bis zehn an Gymnasien. Vorgesehen ist aber zum Beispiel an Gymnasien lediglich eine Schulstunde pro Woche. Da bleibt nicht viel Zeit.

In Haupt-, Real- und Gemeinschafts- und Gesamtschulen steht finanzielle Bildung häufiger auf dem Lehrplan als für Gymnasien. Sind Gymnasialschüler weniger gut auf finanzielle Fragen im Alltag vorbereitet?

Wir haben nur die Lehrpläne analysiert. Wie der Unterricht konkret abläuft und was Schülerinnen und Schüler lernen, beobachteten wir nicht. Auch beeinflussen viele Faktoren die finanzielle und ökonomische Kompetenz. Dazu zählen etwa der sozioökonomische Status von Kindern und Jugendlichen oder Gespräche im Elternhaus. Es kommt nicht nur auf den Schulunterricht an, dennoch kann dieser einen wichtigen Beitrag leisten.

Können Schulprojekte der Finanzbranche zur finanziellen Bildung in Deutschland beitragen?

Das ist ein weites Feld. Prinzipiell können Bildungspartnerschaften gewinnbringend sein. Wichtig ist, dass dabei Qualitätsstandards eingehalten werden, damit nicht eine einseitige Haltung zu ökonomischen Fragen oder gar Produktwerbung vermittelt wird. Es kommt immer darauf an, wie die Initiativen der Finanzbranche im Unterricht eingebunden und reflektiert werden.

Das Interview führte Jan Schrader.