GASTBEITRAG

Mehr Fairness statt maximaler Geschwindigkeit

Börsen-Zeitung, 5.4.2019 Geschwindigkeit ist heute ein entscheidendes Kriterium im Wertpapierhandel. Die Uhren vieler Börsen ticken im Mikrosekundentakt - sie haben sich damit auf professionelle Hochfrequenzhändler eingestellt, die möglichst schnell...

Mehr Fairness statt maximaler Geschwindigkeit

Geschwindigkeit ist heute ein entscheidendes Kriterium im Wertpapierhandel. Die Uhren vieler Börsen ticken im Mikrosekundentakt – sie haben sich damit auf professionelle Hochfrequenzhändler eingestellt, die möglichst schnell und automatisch Orders einstellen, ändern und löschen wollen. In Deutschland dürfte Schätzungen zufolge der Anteil des algorithmischen Handels bei etwa 60 % liegen. Darunter fällt auch der Hochfrequenzhandel, der kontinuierlich zunimmt.Doch der technologische Wettlauf um immer größere Geschwindigkeit ist nicht alternativlos. Wie der Presse zu entnehmen war, plant etwa die Deutsche Börse an ihrer Derivatebörse Eurex ab Juni eine sechsmonatige Pilotphase für bestimmte Aktienoptionen mit einer Verlangsamung der Orderausführung um eine Millisekunde. So solle langsameren Handelsteilnehmern Zeit gegeben werden, ihre Positionen im Orderbuch zu prüfen und zu aktualisieren. Privatanleger im NachteilWenn der technische Vorsprung von Hochfrequenzhändlern bereits die professionellen Marktteilnehmer an der Eurex umtreibt, so ist die Diskrepanz zu den Möglichkeiten von Privatanlegern im Wertpapierhandel noch viel größer. Zwar profitieren Privatanleger auch von automatisch generierten Wertpapierorders, weil diese die Liquidität im Markt erhöhen. Auf der anderen Seite müssen sie aber oft Abstriche beim Ausführungspreis machen: Ohne Computerunterstützung und schnelle Datenleitungen kommen Privatanleger nicht als Erste zum Zug, wenn sie Wertpapiere handeln. Das mag sich ein bisschen so anfühlen wie für einen Sportler, der trotz hartem Training den ersten Platz an einen gedopten Konkurrenten verliert.Um einen fairen Handel mit gleichen Bedingungen für alle Teilnehmer schaffen, hat die Börse Stuttgart Chancengleichheit fest in ihrem Marktmodell verankert. Sie will Privatanleger auf Augenhöhe mit professionellen Investoren bringen, selbst wenn deren technische Möglichkeiten besser sind. Entschleunigter HandelEine künstliche Bremse ist dafür nicht nötig: Der Handel wird entschleunigt, indem Kundenorders gebündelt und dann in kurzer Abfolge über eine Auktion ausgeführt werden. Zeitvorteile durch algorithmischen Handel gibt es an der Börse Stuttgart nicht: Alle Anleger haben das Recht auf Gleichbehandlung bei der Preisermittlung.Das Ziel der fortlaufenden Auktion lässt sich in fünf Worten zusammenfassen: Sie ermittelt den fairsten Preis. Hierfür stellt das Auktionsprinzip sicher, dass alle in einer bestimmten Zeitspanne eingehenden Orders mit gleichem Limit gleich behandelt werden – unabhängig davon, wer seinen Auftrag zuerst aufgibt. Ob also eine Order eine Mikrosekunde früher oder später eintrifft, hat keine Bedeutung. Vielmehr kommt es auf das Limit an. Sind alle Aufträge gesammelt, wird der Preis ermittelt, der die Aufträge nach klar definierten Regeln ins Gleichgewicht bringt. Das Ergebnis ist der fairste Preis für alle. Dabei geht das Auktionsprinzip nur geringfügig zulasten der Geschwindigkeit. Die meisten fortlaufenden Auktionen an der Börse Stuttgart sind sekundenschnell zu Ende.Das Motto “Je schneller, desto besser” gilt im Wertpapierhandel nicht immer. Ist eine möglichst schnelle Ausführung bei derivativen Hebelprodukten hochrelevant, kommt es beispielsweise im Anleihehandel darauf nicht zwingend an. Mitunter kann Geschwindigkeit für den Markt sogar schädlich sein: Insbesondere bei unvorhergesehenen Nachrichten, illiquiden beziehungsweise spezielleren Wertpapieren und bei großen Orders macht es Sinn, vor der Preisermittlung erst einmal Angebot und Nachfrage und damit Liquidität zu bündeln. Abwarten und Preisinformationen veröffentlichen, damit die Marktteilnehmer die Lage bewerten und reagieren können – das ist die Prämisse.Die fortlaufende Auktion ist untrennbar mit dem hybriden Marktmodell der Börse Stuttgart verbunden. Diese Symbiose aus Mensch und Maschine kombiniert Chancengleichheit mit hoher Preis- und Handelsqualität. Im Gegensatz zu vollautomatischen Plattformen sind in Stuttgart Experten in den elektronischen Handel eingebunden: Sie übernehmen Aufgaben, die kein Computer bewältigen kann. Die Handelsexperten prüfen Orders auf Plausibilität und stellen bei Bedarf zusätzliche Liquidität bereit.Dragan Radanovic, Geschäftsführer der Börse Stuttgart