LeitartikelIWF-Frühjahrstagung

Lindners Reformversprechen

Strukturreformen fordert der IWF weltweit ein, drängt aber Deutschland zu mehr Verschuldung. Das wird nicht die Erlösung aus dem schwachen Wirtschaftswachstum sein.

Lindners Reformversprechen

IWF-Tagung

Lindners Versprechen

Von Angela Wefers

Der IWF rät Berlin zu mehr Investitionen und mehr Schulden. Strukturreformen und solide Staatsfinanzen gehören aber zusammen.

Die Schwäche der deutschen Wirtschaft hat auch eine globale Dimension. Deutschland steht international im Fokus und soll wieder Wachstumsperspektive liefern. In Washington bei der Frühjahrstagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank sah sich Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) zumindest öffentlich mit der Frage konfrontiert, warum es so schlecht um die deutsche Wirtschaft bestellt ist. Lindner erwies sich verbal als geschickter Handlungsreisender für den Standort: Die Leute sollen wieder Geschäft in Deutschland machen, brachte er sein Ziel in Washington vor international führenden Wirtschaftsvertretern auf den Punkt. Strukturreformen bietet er dafür an. Im Übrigen habe sich Deutschland als resilient erwiesen. Es braucht aber mehr als gute Werbeslogans.

Mit der abgeschwächten Wachstumsprognose des IWF von 0,2% stagniert Deutschland 2024 und bremst die wieder anziehende europäische Wirtschaft. Im Gepäck für Washington hat Lindner Angebotspolitik. Auch der IWF fordert für die Länder der Welt Strukturreformen. Lindner fühlt die Rückendeckung. Sein Maßnahmenkatalog für eine Wirtschaftswende deckt sich in große Teilen mit den Empfehlungen des IWF für Deutschland. Mehr Planungskapazität bei der öffentlichen Hand zur Umsetzung staatlicher Investitionen, beschleunigte Genehmigungsverfahren für Investoren und Gründer sowie die Digitalisierung der Verwaltung können aus Sicht der Ökonomen des Fonds Deutschland in Schwung versetzen.

Lindner fügt noch Reformen am Arbeitsmarkt hinzu, um zu mehr jährlichen Arbeitsstunden zu kommen, Bürokratieabbau und eine umfassende Unternehmenssteuerreform nach 15 Jahren Stillstand. Im Sozialbereich sieht er Budgetreserven in Milliardenhöhe, wenn Menschen wieder Lebensperspektiven haben, anstatt vom Staat alimentiert zu werden. Dies alles soll Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit verbessern und das schwache Produktionspotenzial in den nächsten zwei bis drei Jahren verdoppeln. Das Problem Lindners liegt nicht in der Erkenntnis, was Deutschland ökonomisch fehlt. Das Problem liegt in seinen Koalitionspartnern – SPD und Grüne – in Berlin. Nichts davon ist beschlossen. Die Gespräche in der Ampel haben gerade erst mit den Budgetverhandlungen 2025 begonnen. Das Vertrauen in die Einigungsfähigkeit dieser Regierung ist mittlerweile gering. Erst das Ergebnis zählt.

Im Clinch liegt Lindner mit dem IWF indessen über die Frage der Finanzierung von mehr öffentlichen Investitionen. Deutschland mangelt es nicht an Geld für den öffentlichen Sektor, sondern an Produktivität, ist der FDP-Politiker überzeugt. Eine Lockerung des Verschuldungsregelwerks lehnt er – anders als seine Koalitionspartner – strikt ab. Der IWF verhält sich zwiespältig. Mit Blick auf die Finanzstabilität zeigt sich der Fonds sehr besorgt über die international wachsende Verschuldung. Gerade Deutschland bekommt gute Noten für den Rückgang von Defizit und relativer Staatsverschuldung. Mit 64% des Bruttoinlandsprodukts liegt die Schuldenquote des Gesamtstaats nach der expansiven Fiskalpolitik in der Corona-Pandemie noch über der europäischen Maximalmarke von 60%, nähert sich dem aber an. Die Länderspezialisten des IWF nehmen indessen die guten Werte zum Anlass, mehr Verschuldungsspielraum zu konstatieren. Berlin fordern sie auf, die Schuldenbremse um den Faktor drei zu weiten, um öffentliche Investitionen zu finanzieren. Mehr Konsistenz beim IWF wäre durchaus hilfreich und würde dessen Reputation stärken.

Es braucht mehr als Retuschen, um die deutsche Wirtschaft in Schwung zu bringen. Zu Recht legen die IWF-Ökonomen den rapiden Rückgang von Investitionen in Infrastruktur offen. Deutschland ist 2022 damit fast am Ende der Industrieländerskala gelandet. Der Aufgabenkatalog des IWF ist mit mehr Geld allein nicht zu lösen. Investitionen hat die Ampel stets ambitioniert budgetiert, aber viel weniger ausgeben können. Der Finanzbedarf für Verteidigung in geopolitischen Krisenzeiten steht in Konkurrenz zu Investitionen wie der für die Klimawende. Steigende Schulden würden auch noch bei den Zinsausgaben draufsatteln. Strukturreformen und solide Staatsfinanzen gehören zusammen.

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