Mit T2S hat eine neue Zeitrechnung im Nachhandel begonnen
Von Satvinder SinghHead of Institutional Cash and Securities Services, Global Transaction Banking Deutsche Bank AGAm 22. Juni 2015 hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Startschuss für die Markteinführung einer Initiative gegeben, die sie bereits 2006 ins Leben gerufen hatte: Mit Target2-Securities (T2S) hat Europa seitdem eine einheitliche Plattform zur Abwicklung von lokalen und grenzüberschreitenden Wertpapiertransaktionen, die in vier Migrationswellen bis Februar 2017 eingeführt werden soll. Den Anfang machten bis Ende August Griechenland, Malta, Rumänien, die Schweiz und Italien.Insgesamt 21 Märkte werden bis zum Ende der Migration an T2S angebunden sein. Dazu gehört auch Deutschland, das rund 40 % des Abwicklungsvolumens auf T2S stellen wird, in Welle 3, die für September 2016 vorgesehen ist. In einem Bereich, der bislang Hoheitsgebiet nationaler Akteure war, der sogenannten Zentralverwahrer (CSDs), die in ihrem Heimatmarkt eine marktbeherrschende Stellung genossen, entsteht nun ein Wettbewerb – und die Chance für neue Formen der Zusammenarbeit mit Wettbewerbern -, von dem der Markt profitieren wird. Mit dem Start von T2S hat eine neue Zeitrechnung im Nachhandel begonnen.Ausgegebenes Ziel der Europäischen Zentralbank war, mit Target2-Securities die Gebühren für die grenzüberschreitende Abwicklung von Wertpapieren deutlich zu senken. Ohne die Europäische Zentralbank als übergeordnete Instanz und die Unterstützung der nationalen Zentralbanken, die an der Entwicklung von T2S beteiligt waren und sind, hätte der Markt aufgrund der unterschiedlichen Interessenlage aller Beteiligten eine solche Lösung nicht etablieren können. Mittlerweile haben 24 Zentralverwahrer, auf die Target2-Securities unmittelbar abzielt, weil es deren bestehende Abwicklungssysteme ablöst, den Rahmenvertrag der EZB unterzeichnet und sich damit zu T2S bekannt. Dadurch ist klar, dass über die T2S-Plattform die Kosten für die Abwicklung einer grenzüberschreitenden Transaktion, die heute in einigen nationalen Märkten durchaus mehrere Euro erreichen können, sinken werden – je nach Abwicklungsvolumen sogar sehr deutlich. Das stellt das Geschäftsmodell von Abwicklern wie den nationalen Zentralverwahrern in Frage, denn ihnen bricht mit den geringeren Gebühren aus der Abwicklung eine wesentliche Ertragsquelle weg. Einige reagieren darauf mit der Erhöhung von Preisen in anderen Bereichen. Was Kunden daher jetzt benötigen, ist eine ganzheitliche Beratung zu den Veränderungen, Lösungsangebote, mit denen sie das neue Marktumfeld der Zukunft besser nutzen können, und Unterstützung bei der Umsetzung ihrer T2S-Pläne.Wo Geschäftsmodelle sich verändern müssen und neue Wettbewerber Zugang zu einem Markt erhalten, sind die Konsequenzen weitreichend. Target2-Securities bringt eine grundlegende Veränderung der Nachhandelslandschaft mit sich, die Wirkung von T2S geht weit über die Abwicklung von Wertpapieren hinaus. Verschiedene Vorteile rücken in den Vordergrund, dazu gehört die reibungslose Verschiebung von Wertpapieren von einem nationalen Markt zu einem anderen. Über die T2S-Plattform können nun Wertpapiere, die unter anderem als Sicherheiten (Collateral) für Transaktionen in einem Markt hinterlegt werden, unmittelbar zur Abdeckung von Finanzrisiken (Exposures) in einem anderen Markt eingesetzt werden. Das schont auch das Eigenkapital, da weniger Kapitalreserven in den einzelnen Heimatmärkten zurückgehalten werden müssen. Ein weiterer Vorteil, den T2S bietet, sind Effizienzen in der Verrechnung (Netting) über Märkte hinweg, was den Liquiditätsbedarf deutlich reduziert.Durch Target2-Securities entsteht ein Marktumfeld, in dem derzeit kein Anbieter – nationale wie internationale Zentralverwahrer und globale wie regionale Depotbanken – in der Lage ist, die Bedürfnisse der Kunden ganzheitlich abzudecken. Wer in diesem Umfeld erfolgreich sein möchte, wird auf neue Formen der Zusammenarbeit setzen müssen. Welches Institut ist offen und flexibel genug, nur Teile seiner Wertschöpfungskette anzubieten – und im Sinne der Kunden mit Partnern und Wettbewerbern zusammenzuarbeiten? Wer übernimmt die Abwicklung? Wer ist in den einzelnen Heimatmärkten vor Ort präsent, hat das Verständnis unterschiedlicher lokaler Eigenheiten in der Steuergesetzgebung oder der Rechtsprechung, um die Bedienung der Vermögenswerte (Asset Servicing) zu übernehmen? Welches Institut kann Dienstleistungen wie etwa das Sicherheitenmanagement (Collateral Management) anbieten, das Kunden im Marktumfeld mit T2S bislang ungenutzte Vorteile bieten wird?Auch Kunden wie die großen internationalen Investmentbanken und die globalen Depotbanken stellen die Weichen derzeit neu. Die meisten sind von den Vorzügen von Target2-Securities überzeugt, aber ihre Position bei der Umsetzung ist unterschiedlich: Viele scheinen abzuwarten, bis sich ein neues Gleichgewicht etabliert hat; einige wenige haben bereits sehr früh eine Entscheidung getroffen, wie sie auf Target2-Securities reagieren, und sind damit gut positioniert, um von den Vorteilen der Plattform von Anfang an zu profitieren.Dazu gehört die US-amerikanische Bank Northern Trust, die bereits im September 2014 angekündigt hat, dass sie zur Umsetzung ihrer T2S-Strategie mit Euroclear und der Deutschen Bank zusammenarbeiten wird, die gemeinsam einen Vorschlag unterbreitet hatten: In diesem Modell bietet Euroclear als Zentralverwahrer den Zugang zu T2S und übernimmt die Abwicklung, die Deutsche Bank verantwortet das Asset Servicing vor Ort in den verschiedenen europäischen Märkten, die im Rahmen der Ausschreibung abgedeckt werden sollten. Nach diesem ersten Meilenstein bietet die Bank nun ganz unterschiedliche Betriebsmodelle im Umgang mit T2S, die auf ihre Kunden zugeschnitten sind.Es wird viel spekuliert über die Gewinner und Verlierer in diesem neuen Marktumfeld. Welche Rolle spielen in Zukunft die Zentralverwahrer? Können sie den Verlust von Erträgen kompensieren – wie? Gelingt es ihnen, über neue Dienstleistungen Kunden an sich zu binden? Gelingt es Depotbanken, sich im neuen Marktumfeld zu etablieren? Mit welchen Dienstleistungen können sie überzeugen? Wer hat das Investitionsbudget, um sein Angebot auf T2S zuzuschneiden? Kommt es unter der Vielzahl von Anbietern zu einer Konsolidierung oder einem Verdrängungswettbewerb? Noch kennt niemand die Antwort auf diese Fragen.Ein Gewinner steht schon heute fest: Europa, das stolz darauf sein kann, dass es Target2-Securities nach einigen Komplikationen und Hürden letztlich erfolgreich eingeführt hat; nun gilt die Konzentration der Migration weiterer Märkte. Die Arbeitsgruppe bestehend aus Finanzmarktexperten unter Leitung des Italieners Alberto Giovannini hatte schon 2003 in ihrem zweiten Bericht zu grenzüberschreitenden Clearing- und Abwicklungsvereinbarungen innerhalb der Europäischen Union 15 Hürden identifiziert, die Komplikationen und Kosten für Investoren darstellen und damit die Attraktivität eines europäischen Finanzmarktes schmälern.Target2-Securities adressiert sechs dieser Hürden: Es reduziert beziehungsweise beseitigt (1) nationale Lösungen in der Informationstechnologie mit entsprechenden Schnittstellen, (2) die Einschränkungen bei der Nutzung von nationalen Abwicklungssystemen, (3) das Fehlen einer untertägigen Finalität bei der Abwicklung, (4) praktische Hindernisse bei einem grenzüberschreitenden Zugang zu Abwicklungssystemen und (5) nationale Unterschiede bei Abwicklungszyklen. In Kombination mit anderen Maßnahmen adressiert T2S auch (6) Unterschiede in nationalen Regelungen in Bezug auf Kapitalmaßnahmen, wirtschaftliches Eigentumsrecht und die Verwahrung von Vermögenswerten.Der Start von Target2-Securities ist ein Meilenstein auf dem Weg Europas zu einem integrierten und harmonisierten Kapitalmarkt – einem Kapitalmarkt auf Augenhöhe mit den großen Volkswirtschaften der Welt wie den USA und der Wachstumsregion Asien. Europa hat nun ein Sepa für Wertpapiere. Die Vorteile und Effizienzen zu heben, die T2S bietet, ist nun die Aufgabe der handelnden Akteure.