Im InterviewThomas A. Lange

National-Bank setzt auf außergewöhnliche Nische

Auf einen Schlag ist die National-Bank aus Essen zum Marktführer in der Vorfinanzierung von Insolvenzgeld aufgestiegen. Die Vorzüge dieses Geschäfts erläutert Vorstandschef Thomas Lange im Interview.

National-Bank setzt auf außergewöhnliche Nische

IM INTERVIEW: THOMAS A. LANGE

National-Bank macht sich in besonderer Nische breit

Mit Vorfinanzierung von Insolvenzgeld gelingt im Abschwung die Stabilisierung im Kreditgeschäft – Im Mittelstand sind ESG-Daten noch verbesserungswürdig

Mit der Übernahme des Geschäfts der Vorfinanzierung von Insolvenzgeldern von HSBC Deutschland hat sich die Essener National-Bank zum Marktführer in dieser Nische aufgeschwungen. Im Interview erläutert Thomas Lange, Vorstandschef der Regionalbank, die Vorzüge dieses Geschäfts.

Herr Dr. Lange, mit Blick auf Deutschland macht inzwischen wieder das Bild vom kranken Mann Europas die Runde. Wie fällt Ihr Blick auf die deutsche Wirtschaft aus?

Vom Grundsatz her ist die Vitalität der deutschen Wirtschaft unverändert vorhanden. Wir sollten davon absehen, die Wirtschaft schlechtzureden. Tatsache ist, wir sind in einer Rezession. Die Rezession ist primär Folge der geldpolitischen Rahmenbedingungen. Zehn Zinserhöhungen in Folge steckt keine Wirtschaft weg, ohne dass es Bremsspuren gibt.

Ist die aktuelle Entwicklung nicht auch Resultat der geopolitischen Veränderungen, mit all den Folgen für Wirtschaft, Handel und Globalisierung?

Ja, auch die geopolitischen Unsicherheiten sind relevant. Das gilt für uns Europäer insbesondere seit dem kriegerischen Überfall Russlands auf die Ukraine. Er war, trotz der Warnungen mancher Apologeten, der ultimative Wake-up Call, auch wenn es in der Rückschau schon früher Anlässe und Entwicklungen gegeben hat, die uns hätten vorsichtiger sein lassen müssen.

In Gesprächen mit Unternehmenslenkern aus der Industrie nehme ich eine extrem pessimistische Haltung wahr, also weit mehr als eine konjunkturelle Talfahrt. Macht sich das in Ihrem Kreditgeschäft bemerkbar?

Als Geschäftsleiter eines Finanzinstituts blicke ich auf die Wirtschaft als Ganzes. Insofern gilt es zu differenzieren. Manche Teile wie etwa die Stahl- oder Aluminiumindustrie leiden unter dramatisch gestiegenen Energiekosten. Dasselbe gilt auch für die chemische Industrie – mit allen Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Aber es gibt eben auch andere Branchen. Der Portfoliomix ist entscheidend. Das Kreditbuch der Bank spiegelt eine nur leicht rückläufige Wirtschaftstätigkeit.

Wir sind defensiv eingestellt und fahren auf Sicht.

Thomas A. Lange

Wie hat sich Ihr Kreditbestand entwickelt?

Im Vergleich zum Ultimo 2022 liegen wir bei einem Bestand von über 4 Mrd. Euro rund 60 Mill. Euro unter Vorjahr. Wir sind defensiv eingestellt und fahren auf Sicht. Es gilt der alte Satz: Die besten Geschäfte sind häufig die, die man nicht macht. Alles in allem haben wir ein breit diversifiziertes Portfolio mit stark mittelständischer DNA. Dieses Jahr dürfte das beste in der mehr als einhundertjährigen Geschichte der National-Bank werden.

Was ist der Grund dafür?

Zum einen sind es die geldpolitischen Rahmenbedingungen, die bei einem wieder positiven Zins das solide Geschäftsmodell der Bank stützen. Zum anderen haben wir als mittlerweile bundesweit größter Vorfinanzierer von Insolvenzgeldern gegenüber einer allgemein verminderten Kreditnachfrage gegenläufige Effekte zu verzeichnen.

Sprich, Sie gehen für die Bundesagentur für Arbeit (BA) in Vorlage und zahlen den Beschäftigten im Insolvenzfall die Gehälter. Ein risikoloses Geschäft?

Nein, risikolos ist kein Geschäft. Allerdings spielen bei diesem Finanzierungsangebot operationelle Risiken gegenüber Adressausfallrisiken zumeist eine größere Rolle. Ein Beispiel hierfür ist, dass die Anzahl der Mitarbeitenden oder ihre tatsächlich geleistete Arbeitszeit beim ersten Lohn- bzw. Gehaltslauf unzutreffend berechnet werden. Anders verhält es sich, wenn, beispielsweise in einer Eigenverwaltung, der Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch eine Geschäftsführung zurückgenommen wird und die Zahlung bereits erfolgt ist.  


Zur Person

Thomas A. Lange hat allen Grund, mit sich und "seiner" Bank zufrieden zu sein. Denn 2023 wird die Regionalbank das beste Ergebnis ihrer 122-jährigen Firmengeschichte schreiben. Natürlich liegt das auch an der Zinswende. Doch es war eben auch ein glücklicher Zufall, dass HSBC Deutschland das Geschäft mit der Vorfinanzierung von Insolvenzgeld im Herbst 2022 ausgerechnet der National-Bank zur Übernahme anbot. Es ist das Glück des Tüchtigen, der die Geschicke der Bank mit Weitsicht lenkt. Dass sich der promovierte Jurist auch gerne überregional engagiert, wird aus der Vielzahl seiner Mandate und Nebentätigkeiten ersichtlich, die zusammengenommen schon mehr als einen Vollzeitjob ergäben.


Wie lukrativ ist dieses Geschäft?

Wir können davon leben. Sobald die Bundesagentur für Arbeit ihre Einstandspflicht bestätigt, ist die Vorfinanzierung hinsichtlich ihrer Kapitalunterlegung aufsichtsrechtlich privilegiert.

Das Geschäft dürfte aber doch eher niedrige Margen abwerfen.

Die Preise unserer Finanzierungsangebote sind risikoorientiert. Dabei sind sie niedriger als bei einer klassischen Mittelstandsfinanzierung. Gleichwohl ist es eine Facette, die auf die Stabilität unseres Geschäftsmodells einzahlt, denn bei einer ökonomisch rückläufigen Entwicklung steigen die Anträge auf Eröffnung von Insolvenzverfahren. Skalierungseffekte dürfen dabei nicht außer Acht bleiben. So haben wir per Ende September mehr als ein Drittel aller bei der BA gestellten Anträge auf die Vorfinanzierung von Insolvenzgeldern begleiten dürfen. In Bezug auf das Volumen ist es mehr als die Hälfte.

Welche Banken tummeln sich in diesem Geschäft?

Es sind im Wesentlichen die sogenannten Großbanken. Es gibt noch die eine oder andere Sparkasse, aber deren Angebot ist in diesem Geschäftsfeld ohne strukturelle Marktrelevanz. 

Gibt es feste Bindungen zwischen Bank und Insolvenzkanzlei?

Die Geschäftsverbindung besteht zum jeweiligen Insolvenzverwalter – zumeist über viele Jahre. Er ist derjenige, auf den wir unser Engagement kreditmateriell abstellen. Exzellenter Service, schnelle Entscheidungen und ein profundes Insolvenzrechtsverständnis sind in der Betreuung unsererseits unverzichtbar.

Können Sie die Größenordnung dieses Geschäfts umreißen?

Das Volumen liegt zurzeit bei leicht über 500 Mill. Euro – mit steigender Tendenz. Hinzu kommt das Folgegeschäft mit den jeweiligen Unternehmen. Zu unserem Vorsteuerergebnis per Ultimo September von rund 65 Mill. Euro leistet es einen ordentlichen Beitrag.

Wie viele Insolvenzverwalter umfasst Ihr Portfolio?

Die Anzahl der Insolvenzverwalter und Sanierungsberater, die wir zu unseren Kunden zählen dürfen, ist beträchtlich. Sie liegt bei knapp 500.

Entscheidend dürften die großen Insolvenzverfahren sein.

Das ist zutreffend.

Zurück zum Kreditgeschäft mit gesunden Unternehmen. Laut jüngstem Lending Survey der EZB sind vor allem kleine und mittlere Unternehmen mit verschärften Kreditvergabestandards konfrontiert. Ist das so?

Wir haben die Kreditvergabestandards nicht generell verschärft, sondern entscheiden auch in einem ökonomisch herausfordernden Umfeld unter Berücksichtigung aller Risiken einzelfallorientiert. Lediglich im Bereich gewerblicher Immobilienfinanzierungen haben wir frühzeitig auf die Bremse getreten und beispielsweise aufsichtsrechtlich als spekulativ klassifizierte Finanzierungen nicht mehr angeboten.

Was bedeutet das?

Höhere Eigenmittelanteile, kürzere Laufzeiten oder stärkere Besicherungen sind Beispiele. Einzelheiten werden partnerschaftlich und vertrauensvoll zwischen Kunde und Bank, Bank und Kunde besprochen. Dabei gilt: Das Kreditgeschäft ist und bleibt auch ein Vertrauensgeschäft. Die Risikovorsorge im Kreditgeschäft war in den letzten Jahren unauffällig. Sie ist es auch in diesem Jahr. Die NPL-Quote (Non-Performing Loan, Anm. d. Red.) der Bank liegt unter 2%.

Beim Thema Industriestrompreis bin ich hin- und hergerissen.

Thomas A. Lange

Den Mittelstand plagen auch die hohen Energiepreise. Was halten Sie von dem vielfach geforderten Industriestrompreis?

Bei diesem Thema bin ich hin- und hergerissen. Auf der einen Seite müssen wir alles daransetzen, dass die energieintensive Industrie und ihre hochtechnologischen Wertschöpfungsketten in unserem Land bleiben. Auf der anderen Seite bin ich grundsätzlich gegen Subventionen. In der Notwendigkeit zu entscheiden, würde ich für einen zeitlich begrenzten Industriestrompreis votieren. Die Sicherung der globalen Wettbewerbsfähigkeit in einem Umfeld grundlegend veränderter geostrategischer Rahmenbedingungen ist – auch für wirtschaftliche Resilienz und gesellschaftlichen Zusammenhalt – prioritär.

Die Stimmung in der Wirtschaft ist schlecht. Es scheint, als hätten die Unternehmen ihren gestalterischen Mut verloren. Sind die Anforderungen, die mit der gewünschten Transformation einhergehen, zu hoch?

Der Bundesregierung fehlt wirtschaftlicher Sachverstand. Arbeitskosten, Bürokratiekosten, Dokumentationskosten, Energiekosten – wir können im Alphabet der Kosten noch weiter voranschreiten. Das meiste ist regulatorisch induziert. Und ein Ende erscheint nicht absehbar. Ich frage mich etwa: Warum wird die Stromsteuer nicht abgeschafft? Wir brauchen klare, berechenbare und belastbare wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen. Die Unternehmen haben noch nicht ihren Mut verloren. Aber es wächst die Gefahr der Überforderung. Das gilt insbesondere für den Mittelstand.

Als Bank sind Sie von der Transformation direkt betroffen. Sie müssen die ESG-Daten von den Firmenkunden erheben. Anders als Großkonzerne verfügt der Mittelstand in der Regel jedoch nicht über ausgefeilte Erhebungsmodelle. Was heißt das für Sie?

Die Datenlage ist mitunter nicht die, die wir uns wünschen. Tatsache ist aber auch, dass die Einsicht ausgeprägt ist, das eigene Geschäftsmodell in die Nachhaltigkeit zu transformieren. Unabhängig davon sind wir in vielen Branchen wie Bergbau, Gewinnung von Erdöl und Erdgas, Kokerei und Mineralölverarbeitung, Luft- und Schifffahrt sowie Forstwirtschaft und Holzeinschlag so gut wie nicht engagiert. Schließlich erfüllen unsere Anleihen im Direktbestand des Depot A in Bezug auf das Volumen zu rund 99% die Anforderungen des MSCI ESG Rating.

Wie bewerten Sie Firmenkredite, wenn die Unternehmen nicht über die geeigneten Daten verfügen?

Wir verfügen mit CredaRate über ein gutes ESG-Scoring-System. Wir haben es gemeinsam mit anderen Banken entwickelt. Fehlen den Unternehmen die Daten, verwenden wir Fallback-Werte, zum Beispiel für branchendifferenzierte Treibhausgasemissionen. Branchenwerte, die es für die verschiedensten Industriezweige gibt. Inzwischen haben wir 40% unseres Firmenkreditportfolios bewertet. Davon sind fast 90% unserer Engagements mit durchschnittlichen oder geringen ESG-Risiken behaftet.

Ist das Scoring-Modell aufsichtsrechtlich anerkannt?

Die europäische Bankenaufsicht erwartet, dass bei der regelmäßigen Bewertung von Kreditengagements auch ESG-Risiken angemessen berücksichtigt werden. In der Neufassung der Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) wird der Einsatz von ESG-Scorings als Komplement zur Risikoklassifikation explizit erwähnt. Von den zwei EZB-beaufsichtigten Partnerbanken, die bei der Entwicklung des CredaRate-ESG-Scorings mit an Bord sind, haben wir zum aufsichtlichen Dialog positive Rückmeldungen erhalten.

Wenn wir die erforderlichen Daten im Erstgespräch nicht bekommen, dann erhalten wir sie im Zweit- oder Drittgespräch.

Thomas A. Lange

Auf Dauer genügt es aber sicher nicht, bei fehlenden Daten mit Fallback-Werten zu operieren.

Das ist richtig. Aber mit dem ersten Aufschlag beim Kunden versuchen wir das erforderliche Bewusstsein zu schaffen. Wir haben einen umfangreichen Fragebogen erarbeitet, um unsere Kunden partnerschaftlich auf die bevorstehenden Anforderungen einzustellen und sie bei der Datenbeschaffung zu unterstützen. Wenn wir die erforderlichen Daten im Erstgespräch nicht bekommen, dann erhalten wir sie im Zweit- oder Drittgespräch. Denn: Dekarbonisierung ist Teamsport.

Haben die Kunden dafür Verständnis?

Ja, weil sie vergleichbare Fragebögen auch von anderen Banken bekommen.

Was machen Sie mit Kreditengagements, die die Scoring-Anforderungen nicht erfüllen? Drehen Sie diesen Kunden den Geldhahn ab?

Ich bin für das Risikomanagement und nicht für die Umweltpolitik zuständig.

Verlangen Sie von den „Klimasündern“ unter Ihren Firmenkunden höhere Zinsen?

Wir bieten risikoorientierte Preise an. Dazu gehört auch, dass wir mit fortschreitendem Erkenntnisgewinn sowohl die physischen Risiken eines sich wandelnden Klimas als auch Übergangsrisiken, die sich aus der Transformation zu einer CO2-neutralen Wirtschaft ergeben, in unsere Kalkulationen einbeziehen werden.

Das Interview führte Annette Becker.