Niedrigstzinsen wirken auf alle Bereiche der Gesellschaft

Geschäftspolitik umgestellt - Kostenstrukturen auf dem Prüfstand

Niedrigstzinsen wirken auf alle Bereiche der Gesellschaft

Die Zinsen sind in Europa und insbesondere in Deutschland auf ein historisch niedriges Niveau gefallen, nachdem die Europäische Zentralbank (EZB) seit Ausbruch der Krise ihre Leitzinsen sukzessive abgesenkt hat. Seit gut einem Jahr liegen ihr Hauptrefinanzierungssatz mit 0,05 % und der Einlagesatz mit minus 0,2 % bei nie gekannten Tiefstständen. Eine Zinswende ist nicht absehbar. Folgen werden spürbarDie Folgen dieser Niedrigstzinspolitik werden dabei immer deutlicher spürbar. Sparer fragen sich, warum sie überhaupt noch weiterhin sparen sollen. Sparkassen, Banken, Bausparkassen und Lebensversicherungen müssen immer größere Anstrengungen unternehmen, um die Zinsversprechen gegenüber ihren Kunden zu erfüllen. Die Niedrigstzinspolitik ist neben dem Regulierungs-Tsunami die größte Herausforderung für alle Finanzinstitute. Aber auch Stiftungen leiden stark. Sie können deutlich weniger ausschütten und müssen daher oft ihre Fördermöglichkeiten einschränken.Bürgerinnen und Bürger spüren zugleich, dass ihre private Altersvorsorge, die meist auf Zinsversprechen beruht, erheblich niedriger ausfallen wird. Wenn sie ihre Jahresmitteilung mit den ursprünglichen Voraussagen vergleichen, traut mancher seinen Augen nicht.Gleichzeitig können Kredite so günstig wie nie aufgenommen werden. Die Immobilienpreise steigen in den Ballungsräumen auch deshalb so rasant, weil sich immer mehr Menschen eine eigene Immobilie dank günstiger Konditionen leisten können. Die Sparkassen warnen daher beständig vor den Folgen einer zu lockeren Kreditvergabe und raten ihren Kunden zu langen Laufzeiten und hohen Tilgungsraten.Die Sparkassen in Baden-Württemberg sind selbst solide aufgestellt und haben bewiesen, dass sie mit den bisherigen Herausforderungen der Niedrigstzinsphase gut umgehen können. Auch wenn wir das derzeitige Zinsniveau für nicht angemessen und teilweise sogar für gefährlich halten, haben wir uns in unserer Planung und unserer Geschäftspolitik darauf eingestellt, dass diese Zinspolitik noch einige Jahre so anhalten wird.Dies wird vor allem zu einem Rückgang der Zinsüberschüsse führen, der für die Sparkassen in Baden-Württemberg Stand heute aber betriebswirtschaftlich beherrschbar erscheint. Je länger diese Phase allerdings andauert, desto deutlicher werden die Sparkassen gegensteuern müssen. Das wird auch Kosteneinsparungen einschließen müssen.Schon heute merkt man, dass Sparkassen – wie alle Finanzinstitute in Deutschland – ihre Kostenstrukturen auf den Prüfstand stellen. Dies geschieht bei den baden-württembergischen Sparkassen als Marktführer aus einer Position der Stärke, in der man in Ruhe die notwendigen Schritte angehen kann. Kontomodelle werden vereinheitlicht und die Preise angepasst. Auf der Vertriebsseite wollen die Sparkassen neue Geschäftsfelder erschließen und das Provisionsgeschäft ausweiten.Das Kundenverhalten wird auch mit Blick auf die Filialstruktur genau analysiert. Dabei zeigt sich immer mehr, dass das Internet und mobile Banking-Angebote die größte Filiale sind. Über die Hälfte unserer Kunden hat inzwischen seine kleine Sparkassen-Filiale in der Hosentasche. Entsprechend stark geht der Besuch in vielen, vor allem kleinen Filialen zurück. Spezialisierung nimmt zuGleichzeitig schätzen unsere Kunden die ausführliche und kompetente Beratung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unseren 2 400 Sparkassenfilialen vor Ort. Da aber auch die Beratung durch die Regulierung und viele neue Vorschriften im Verbraucherschutz immer komplexer und aufwendiger wird, macht es Sinn, die Beratung in größeren Kompetenz-Zentren zu bündeln. Schon dadurch sinkt die Zahl der Filialen, ohne dass aber die Beratungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Gleichzeitig kann auch nicht mehr jeder Berater in allen Feldern gleich gut geschult sein, so dass auch bei den Beratern eine stärkere Spezialisierung sinnvoll ist.Die Politik der Null- und Negativzinsen hat aber auch Auswirkungen auf die Sparkultur, die erst langfristig sichtbar werden. Schon heute fragen sich vor allem jüngere Kunden, warum sie überhaupt noch sparen sollen. Die Erfahrung, dass Ersparnisse dank der Zinsen wachsen, machen jüngere Kunden praktisch nicht mehr.Zurzeit werden Sparbücher und Sparkonten allenfalls noch als sichere Aufbewahrungsorte für das Geld, das man gerade nicht braucht, angesehen. Aber auch diese Funktion wird von der Europäischen Kommission in Frage gestellt. Die Ankündigung, die Einlagensicherung erneut verändern zu wollen, wird sich negativ auf die deutschen Banken und Sparkassen auswirken.Bisher wissen insbesondere die Sparer bei Volks- und Raiffeisenbanken sowie bei unseren Sparkassen, dass ihre Ersparnisse über die Institutssicherung in voller Höhe abgesichert sind. Es ist, wie schon oft betont, das umfassendste Sicherungssystem der Welt. Aber was passiert, wenn die deutsche Einlagensicherung über ein – wie auch immer ausgestaltetes System – mit allen anderen EU-Staaten verbunden ist und damit die deutsche Einlagensicherung für andere Länder und deren Kreditinstitute mithaftet? Die deutsche Einlagensicherung ist dann im Grunde nur noch so viel wert, wie es das schlechteste System eines wackeligen EU-Staats erlaubt.Die Ankündigung der EU-Kommission ist auch deshalb überhaupt nicht nachvollziehbar, da gut ein Drittel der Staaten in der Europäischen Union die jüngste Reform der Einlagensicherung noch gar nicht in nationales Recht umgesetzt hat. Dies bedeutet konkret, dass die aktuell gültige Einlagensicherung noch gar keinen echten Praxistest erlebt hat. Warum dann schon wieder neue Regelungen nachgeschoben werden, ist unverständlich. Die EU-Kommission sollte vielmehr ihre Energie auf die Staaten richten, die das neue Einlagensicherungssystem noch nicht eingeführt haben.Gegen eine neuerliche Reform der Einlagensicherung mit weitreichender Haftung der Länder untereinander werden wir uns daher mit allen Mitteln wehren und freuen uns, dabei die deutschen Abgeordneten im Europaparlament an unserer Seite zu wissen. Aus der großen Verantwortung heraus der Sparkassen für ihre Kunden und die Sparer laden in Baden-Württemberg zum ersten Mal der Genossenschaftsverband und der Sparkassenverband zu einer gemeinsamen Veranstaltung ein. Am 30. Oktober, dem Weltspartag, veranstalten beide Verbände unter dem Motto “Das Ende der Sparkultur?” ein Symposium, das sich mit den gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Folgen der Niedrigzinspolitik beschäftigen wird.Die Politik der EZB wird an dem Tag der Direktor der EZB-Generaldirektion Finanzmarktoperationen, Ulrich Bindseil, vertreten. Der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Währung, Peter Simon, wird die Position des Europaparlaments in der Tagung aufzeigen und der Direktor des Instituts für Wirtschaftspolitik der Universität Leipzig, Professor Dr. Gunther Schnabl, wird sich kritisch mit der EZB-Politik in der Debatte auseinandersetzen, die von Bernd Wittkowski von der Börsen-Zeitung moderiert wird.Beiden Verbänden ist es wichtig, die Auswirkungen der Niedrigstzinsen auf alle Bereiche der Gesellschaft mit dieser Tagung in die Öffentlichkeit zu tragen. Der Weltspartag ist dazu der ideale Anlass.—Peter Schneider, Präsident des Sparkassenverbands Baden-Württemberg (SVBW)