Northern Data wehrt sich gegen anonyme Betrugsvorwürfe

Frankfurter Bitcoin-Miner mit Social-Media-Kampagne konfrontiert - Verträge für Energiebezug und Vorfinanzierung durch Kunden sorgen für gute Margen

Northern Data wehrt sich gegen anonyme Betrugsvorwürfe

bg Frankfurt – Was für gewaltige Auswirkungen anonym über Social Media lancierte Vorwürfe haben können, das hat dieser Tage Northern Data, ein in Frankfurt und den USA ansässiger Betreiber von High Performance Computing (HPC) vornehmlich für Bitcoin-Mining, erfahren müssen. Veröffentlicht wurde vergangene Woche ein als Report titulierter Blogeintrag auf der Publishing-Plattform Medium, in dem behauptet wird, Northern Data würde mit der Bezeichnung als HPC-Konzern Marketingschwindel betreiben und könne niemals zu den angegebenen Konditionen arbeiten, da diese nicht kompetitiv seien und die Kunden dabei über den Tisch gezogen würden. Aktie hat sich gefangenAn der Börse hinterließ das Eindruck, die gerade auf einen Marktwert von 1 Mrd. Euro gestiegene Northern-Data-Aktie gab über zwei Handelstage gut 40 % an Wert ab, bevor sie sich bei Kursen um 46 Euro stabilisierte und auch von einem zweiten “Report” mit weiteren Anschuldigungen kaum tangiert wurde. Das Management war mit einer Erklärung auf die Vorwürfe eingegangen und hatte so vorerst für eine Beruhigung sorgen können – ohne aber allen Zweiflern den Wind aus den Segeln nehmen zu können.Doch was sind die Vorwürfe eigentlich wert, wenn sie von einem Marktteilnehmer befeuert werden, der unter dem Pseudonym “Kenneth Lu, Crypto Muddy Waters” agiert und das Feuer über seinen Twitter-Account “BTCKING555” weiter anfacht? Zunächst ist festzustellen, dass es eine Kryptoabteilung bei dem aktivistischen Investor Muddy Waters gar nicht gibt – und der anonyme Ankläger damit per se wie ein Hochstapler auftritt. Über Twitter wirbt er damit, dass man sich als Informant per Direktnachricht an ihn wenden kann und dann per Bitcoin entlohnt würde.Eine solche Vorgehensweise ist konspirativ und dürfte das Interesse der Aufsicht wecken, sofern sie davon Kenntnis erlangt. Was die mögliche Identität von “Kenneth Lu” angeht, lässt sich Folgendes feststellen: Die Anschuldigungen zum Design des Bitcoin-Mining-Betriebes sind so detailreich, dass es sich um einen Wettbewerber handeln könnte – oder aber um einen Shortseller, der von einem Wettbewerber mit Informationen gefüttert wird. Als die Northern-Data-Aktie Anfang der Woche nicht auf die neuen Vorwürfe reagieren wollte, wurde Anlegern von “BTCKING555” geraten, “geduldig” zu sein – mehr Konspiration mit Shortsellern geht wohl nicht.Das perfide Vorgehen schadet jedenfalls der Glaubwürdigkeit des Anklägers, während von außen betrachtet natürlich grundsätzlich die Unschuldsvermutung für Northern Data gilt. Der Track Record von “Kenneth Lu” sieht so aus: Er hatte im Oktober 2018 auf die Probleme des vor dem Börsengang stehenden chinesischen Bitcoin-Miners Bitmain aufmerksam gemacht, wo dank temporär glänzender Geschäfte eine zweistellige Milliardenbewertung ventiliert wurde. Die von Lu präsentierten Daten waren aber schon bekannt, als ein asiatischer Investor zuvor Bitmain-Dokumente aus einem Pitch über Twitter zugänglich machte – und die Lawine damit ins Rollen brachte: Das Bitmain-IPO hat bis heute nicht stattgefunden. Faktor EnergiekostenDazu muss man wissen, dass das Mining gewissen Volatilitäten unterliegt und der Bitcoin-Preis nur eine, wenn auch entscheidende, Variable darstellt. Für die Profitabilität sind die Energiekosten des Rechenzentrums wichtig sowie die Verwendung von möglichst effizienten Chips, zum einen für die Rechenoperationen selbst, zum anderen für möglichst wenig Abwärme. Denn dann muss weniger Aufwand für die Kühlung der Server Racks betrieben werden.Genau an diesen Leitlinien entlang ist Northern Data seit der Fusion mit dem US-Unternehmen Whinstone dabei, einen großen HPC-Park in Texas aufzubauen. Bislang hatte die – im Freiverkehr (M:access) notierte – Frankfurter Ursprungsgesellschaft Northern Bitcoin vor allem Anlagen in Skandinavien unterhalten, die komplett aus regenerativer Energie gespeist wurden. Mit Vollzug des US-Merger kamen neue Investoren hinzu, dazu zählen die japanischen Kunden SBI, GMO und der US-Blockchain-Betreiber Block One sowie zuvor der auch bei Block One engagierte deutsche VC-Investor Christian Angermayer.Mit den Kundenverträgen in der Tasche wurde der große PR-Aufschlag veranstaltet, man vermarktete sich als riesiger HPC-Betreiber mit ambitionierten Plänen für das texanische Großprojekt. Anhand dieser “Von null auf hundert”-Equity-Story mit Ebitda-Margen von rund 40 % musste man sich schon ein wenig die Augen reiben – allerdings ist klar, dass bei dem Bedarf an externen Datendiensten HPC ein lohnendes Geschäftsfeld darstellen könnte. Und selbst bei geringer Marktkenntnis ist klar, dass Bitcoin-Mining und HPC eng zueinander gehören, die Produktion von Coins sozusagen eine Anwendung von HPC darstellt.In diese Gemengelage grätscht “Kenneth Lu” hinein, indem er behauptet, Northern Data würde gar kein HPC betreiben und sei ein schnöder Bitcoin-Miner, und dieses Mining wäre zu den postulierten Margen gar nicht möglich. Das bestreitet das Unternehmen aufs Äußerste – kann aber natürlich nicht die Kundenverträge und damit Betriebsgeheimnisse veröffentlichen. Klar ist außerdem, dass zwar hauptsächlich Bitcoin-Mining für die Kunden betrieben wird, darüber hinaus aber auch andere Rechenleistungen abgerufen werden können – was ausgebaut werden soll. Die Menge macht’sWas geliefert wird, das liegt in der Hand des Kunden, der opportunistisch entscheiden kann, was ihm den größten Profit bringt. Da zuletzt einige chinesische Miner vom Netz gehen mussten und sich die Bitcoin-Notiz stabil bei Kursen um 9 300 Dollar bewegt, besteht wohl wenig Veranlassung, andere Datendienste abzurufen. Und Northern Data hat zumindest zwei Argumente auf ihrer Seite, die den kostengünstigen Betrieb der Texas-Anlage erlauben: Für den Energiebezug hat man sehr gute Konditionen aushandeln können – wer en gros einkauft und eine gewisse Stetigkeit in der Energieabnahme garantiert, der darf auf Rabatt hoffen. Northern Data hat eigenen Angaben zufolge die Preise für eine unbezifferte Abnahmemenge über zehn Jahre fixiert. Und für die Kühlung der rund um die Uhr laufenden Chips wird Northern Data zufolge ein spezielles Kühlsystem benutzt, das dank Steuerung durch spezielle Algorithmen (KI) weniger Aufwand verursacht. Das lässt sich schwer nachprüfen, außer man kann als Ingenieur selbst eine technologische Due Diligence vor Ort durchführen.Was zählt, ist das Ergebnis in den Büchern. Die ersten beiden Kunden sind im zweiten Quartal aufgeschaltet worden – und sollten sie tatsächlich über Markt bezahlen, worauf nichts hindeutet, dann würde das an sie als Dividende zurückfließen. Das kann man mit Blick auf das Arrangement, dass 80 % der Eigentümer auch Kunden sind, getrost unterstellen. Den 20 % im Free Float könnte das sowieso nur recht sein.Hinzu kommt: Das Rabattargument gilt auch beim Einkauf der Hardware: Wer große Mengen kauft und vorbestellt, erhält die Geräte günstiger. Da diese Mining-Chips vor allem aus China kommen, hat “Kenneth Lu” einen besonders heftigen Vorwurf in den Raum gestellt: Er stellt in Frage, dass Northern Data den Einfuhrzoll von geschätzten 50 Mill. Dollar auf die Hardware gezahlt habe – dies würde US-Gesetze verletzen und sei kriminelles Verhalten, wird die jeglichen Nachweis vermissende Behauptung mit dem Triggerbegriff “kriminell” nach oben eskaliert – uff! Wahr ist: Diese Zölle müssen von den Kunden bezahlt werden, und die hätten das auch getan, wird von Northern Data versichert.Für Northern Data ist das Kind längst in den Brunnen gefallen: Da der anonyme Ankläger seine Vorwürfe mit dem Verweis auf den Wirecard-Skandal verknüpfte und die Aktie schnell nach unten rauschte, haben sich auch institutionelle Anleger von dem Papier getrennt, um nicht in den Sog einer zweiten Wirecard-Saga zu geraten.Dabei sind die Margen durchaus erklärbar, da Northern Data hochgerechnet darlegt, dass man die Energie zu circa 0,03 Dollar pro Kilowattstunde bezieht. Das ist auch im Research von Hauck & Aufhäuser und der Baader Bank hinterlegt, das mehr oder weniger die Unternehmensprognose abbildet: Schon in diesem Jahr soll die Texas-Fabrik mindestens 350 Megawatt abnehmen, was 120 bis 140 Mill. Dollar an Einnahmen bringen soll. Im eingeschwungenen Zustand sollen es jährlich 400 bis 500 Mill. Dollar sein – weitere 700 MW stehen den Angaben nach kurz vor Vertragsabschluss. Da die Kunden die Hardware-Beschaffung vorfinanzieren, fallen für Northern Data kaum Investitionsausgaben an, was für 2020 in ein prognostiziertes Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) von 45 bis 60 Mill. Dollar mündet, da die Kunden entsprechend mehr Dollar pro Kilowattstunde zahlen als Northern-Data-Bezugspreis.Angesichts solcher Margen ist das Investoreninteresse natürlich geweckt worden. Woran man Anstoß nehmen kann, ist die Darstellung, dass hier eine risikolose Rendite eingefahren werden könne – die Erfahrung lehrt, dass es so etwas nicht gibt. Was wäre denn, wenn Energiepreise in den kommenden Jahren so weit sinken, dass sie gegen Northern Data laufen? Für die auf fünf bis zehn Jahre gebundenen Kunden bestünde dann ein Anreiz, auf einen HPC-Provider mit günstigerem Energiebezug zu wechseln. Es ist zudem kaum vorstellbar, dass Kunden bei der Vertragslaufzeit keine Opt-out-Klausel besitzen. Aber es steht ihnen frei, andere Leistungen als Mining abzurufen, die unter gegebenen Konditionen wirtschaftlich sinnvoll wären. Quartalsberichte kommenDie Moral von der Geschichte: Anonym vorgebrachte Betrugsvorwürfe sind naturgemäß kritisch zu beäugen – vor allem, wenn sie Fakten verzerrt darstellen und sich der Verdacht aufdrängt, dass es Short-Spekulationen dient. Der Beschuldigte gerät automatisch in die Defensive und kann angesichts von Betriebsgeheimnissen schwerlich jeden Vorwurf en détail kontern. Allerdings wäre es rückblickend besser gewesen, wenn Northern Data sich als Freiverkehrswert mit Aufnahme des Texas-Geschäfts nicht gleich zum Weltmarktführer für HPC erklärt hätte, wenn man doch weiterhin primär im technologisch naheliegenden Bitcoin-Mining tätig ist – und die Serverfarm erst hochgezogen wird. Beginnend mit dem dritten Quartal wird Northern Data von Halbjahres- auf Quartalsberichterstattung umstellen, zudem wird das Uplisting in den Prime Standard angegangen. Der Quartalsbericht soll im September vorliegen.