Ohne EU-Kapitalmarktunion bleibt nur der Steuerzahler
Gastbeitrag
Ohne EU-Kapitalmarktunion bleibt nur der Steuerzahler
Eine Kapitalmarktunion (CMU) ist nach wie vor ein notwendiger Bestandteil für die Stärkung der wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit der EU. Tatsächlich gestaltet es sich aktuell jedoch schwierig, substanzielle Fortschritte zu erzielen, wenn es darum geht, konkrete Lösungen für EU-Probleme auszuarbeiten. Daher muss die EU nach alternativen Finanzierungsmöglichkeiten suchen. Der europäische Steuerzahler wird zweifellos aufgefordert werden, diese Lücke zu füllen.
In regelmäßigen Abständen flammt die Diskussion darüber auf, wie es die EU schaffen kann, ihren enormen Investitionsbedarf zu decken. In einem Punkt sind sich alle einig: Das Risiko ist groß und nimmt zu. Daher müssen diejenigen, die diese Investitionen finanzieren, natürlich auch in der Lage sein, hohe Risiken einzugehen. Die EU muss sich daher an die Kapitalmärkte wenden, die dieses Risiko besser tragen können als jeder andere Finanzintermediär.
Mehrfache Harmonisierung
Doch trotz aller Bemühungen der Europäischen Kommission, die Schaffung der Kapitalmarktunion durch Legislativvorschläge voranzutreiben, hat sich an der Funktionsweise des EU-Finanzsystems bisher nichts geändert. Es ist auch nicht einfach, dieses Projekt einer breiten Wählerschaft zu verkaufen, gerade weil viele daran beteiligt sind, die sich in unterschiedlichem Maße gegen Veränderungen wehren. Ein einheitlicher Kapitalmarkt in der EU erfordert eine Harmonisierung der gesetzlichen Grundlage, der Institutionen, aber auch der Verbraucherpräferenzen.
Dies kann weder von oben nach unten noch durch Anreize erreicht werden. Es bedarf zahlreicher struktureller Veränderungen, einschließlich einer erhöhten Risikobereitschaft der Verbraucher, die weder einfach gelingen noch innerhalb einer Generation zu bewerkstelligen sind. Zwei weitere Beobachtungen sind aufschlussreich für das Verständnis dieser Komplexität.
Erstens hat die EU eine Bankenunion geschaffen, die jedoch nur auf institutioneller Ebene ausgearbeitet wurde, speziell durch eine gemeinsame Aufsichtsbehörde für alle nationalen Banken. Ein einheitlicher Markt für Banken wurde nicht geschaffen. Dementsprechend ist das grenzüberschreitende Bankengeschäft in der EU unbedeutend, und infolge der Finanzkrise sind Aktivitäten sogar zurückgegangen. Warum sind wir also davon überzeugt, dass wir einen einheitlichen Markt für Kapital schaffen können, wenn wir trotz aller Fortschritte in der Bankenunion keinen gemeinsamen Markt für Banken geschaffen haben?
Brexit wirkt nach
Zweitens geht es nicht nur darum, eine Vielzahl von Märkten zu vereinheitlichen. In einigen Ländern sind die Kapitalmärkte eher klein und unterentwickelt. In diesen Ländern müssen daher Märkte zunächst entwickelt werden, bevor man an eine Vereinheitlichung denken kann. Gleichzeitig hat der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU jedoch die Größe und den Umfang des EU-Kapitalmarktes insgesamt verringert.
Neben der Komplexität sind auch die Anreize nicht richtig aufeinander angepasst. Derzeit liegt ein großer Teil der Ersparnisse der Verbraucher bei den Banken. Die Banken wiederum halten die Schulden ihrer jeweiligen Regierung, entweder weil sie durch Vorschriften zu sicheren Vermögenswerten dazu gezwungen sind oder durch moralischen Druck. Eine erhebliche Weiterentwicklung der Kapitalmärkte würde zwangsläufig einen Teil der Ersparnisse der Verbraucher abziehen und damit die Menge der staatlichen Neuverschuldung verringern. Doch für Regierungen sind die Anreize, Maßnahmen zu ergreifen, die ihre Fähigkeit einschränken würden, sich bei ihren Verbrauchern zu verschulden, gering.
600 Mrd. Euro pro Jahr
Wer wird also das Risiko für das Aufbringen von zusätzlichen 600 Mrd. Euro Nettoinvestitionen tragen, welche die Europäische Union bis 2050 jedes Jahr benötigt, um ihre Klimaziele zu erreichen? Wer wird die strategischen Investitionen finanzieren, die für die Digitalisierung unserer Volkswirtschaften, die Erhöhung der Widerstandsfähigkeit, die Verteidigung unserer Grenzen und die Bewältigung der immer häufigeren Once-in-a-Lifetime-Schocks, denen wir ausgesetzt sind, erforderlich sind?
Während die EU versuchen wird, einen neuen Impuls für die CMU-Agenda zu finden, muss sie auch erkennen, dass ein entwickelter Kapitalmarkt nicht die Antwort auf den unmittelbaren Finanzierungsbedarf der EU in den nächsten Jahren ist. Realistisch gesehen existiert jedoch nur eine einzige Alternative, und das ist der Steuerzahler. Ein großer Teil der Investitionslücke, die die EU schließen muss, wird aus der Staatskasse kommen müssen. Nochmals: Wenn der Verbraucher keine Möglichkeit findet, Risiken über die Märkte zu finanzieren, muss er sie über die Regierung finanzieren.
Für viele überschuldete Regierungen wird dies nicht einfach sein, und deshalb muss die EU ihre Ressourcen bündeln und für das aufkommen, was sie gemeinsam als strategisch für ihre Zukunft erachtet. Es besteht kein Zweifel, dass die CMU-Agenda trotz ihrer Komplexität notwendig ist, um die Widerstandsfähigkeit der EU-Wirtschaft zu erhöhen. Mangelnde Fortschritte bedeuten jedoch, dass die EU auf Notfallpläne zurückgreifen muss. Sie muss die wichtigsten strategischen Ziele festlegen, die sie als notwendig betrachtet, und die Finanzmittel zu deren Verfolgung bündeln.