PERSONEN

Oleg Tinkow kämpft derzeit an vielen Fronten

Von Björn Godenrath, Frankfurt Börsen-Zeitung, 9.6.2020 Oleg Tinkow ist ein kerniger Typ mit einer Persönlichkeit, die man im Englischen mit dem Attribut "larger than life" bezeichnet. Denn der 52-Jährige ist als Milliardär nicht der typische...

Oleg Tinkow kämpft derzeit an vielen Fronten

Von Björn Godenrath, FrankfurtOleg Tinkow ist ein kerniger Typ mit einer Persönlichkeit, die man im Englischen mit dem Attribut “larger than life” bezeichnet. Denn der 52-Jährige ist als Milliardär nicht der typische russische Oligarch, sondern ein sportbegeisterter Digitalunternehmer und Banker, der in Deutschland bislang vor allem als Radsport-Sponsor bekannt ist. Von 2013 bis 2016 war sein Team Tinkoff-Saxo eines der weltbesten, Fahrer wie Alberto Contrador und Peter Sagan sorgten für Siege – und beim Training der Profis reihte sich Tinkow gerne selbst mit ein, ohne nur im Windschatten mitzurollen. Teil des globalen JetsetGrundlage seines Vermögens ist neben ersten Erfolgen im Nahrungsmittelgeschäft und im elektronischen Handel (via Singapurer Gesellschaft) der Aufbau der Digitalbank Tinkoff. Als Teil des globalen Jetset hatte Tinkow Ende 2005 seine Vorstellung zum Geschäftsmodell einer zukünftigen Bank vor einem ausgewählten Kreis von Milliardären präsentiert – stilecht auf einer Karibikinsel, die zum Besitz von Richard Branson gehört. Gesagt, getan – schon im darauffolgenden Jahr kaufte sich Tinkow mit dem Erwerb des Moskauer Instituts Himmashbank die erforderliche Banklizenz, um auf diesem Fundament eine digitale Direktbank zu installieren. Diese setzte stark auf die Nutzung von vollautomatischer Datenverarbeitung, wofür eine eigenen Technologie-Plattform entwickelt wurde.2013 wurde die Pionierarbeit mit dem IPO der Tinkoff Bank belohnt, Hauptaktionär Oleg Tinkow stieg in den Elitekreis der Milliardäre auf – acht Jahre nachdem er seinen Businessplan auf einer karibischen Insel skizziert hatte. Heute besitzt Tinkow noch 44 % an dem profitablen, an der LSE notierten Institut mit seinen 10 Millionen Kunden. Damit hat die Tinkoff Bank deutlich mehr zu bieten als die vom ebenfalls russischen Unternehmer Nikolay Storonsky gegründete Neobank Revolut.Mit Storonsky, einem breitschultrigen ehemaligen Leistungsschwimmer, liefert sich Tinkow gern ein Fernduell über Social-Media-Kanäle. Im Februar verkündete Tinkow per Instagram, die Tinkoff Bank werde Storonsky “in den Hintern treten”. Wenige Tage später wurde per Ad-hoc-Mitteilung der Schleier ein wenig gelüftet: Man plane zunächst 25 Mill. Euro in ein europäisches Fintech-Projekt zu investieren. Einziger Fingerzeig: Es gehe um Finanzprodukte, Kredite gehörten nicht dazu.Worum es geht, das ist seit Montag öffentlich: Unter der Marke “Vivid Money” mischt nun eine neue Neobank auf dem deutschen Markt mit, die sich zum Ziel gesetzt hat, im ersten Jahr schon 100 000 Kunden zu gewinnen. Und das wohlgemerkt in einem Markt, der immer kompetitiver wird, aber doch nicht so überlaufen ist wie das Neobank-Wunderland Großbritannien.Technologisch setzt die Konto-App “Vivid Money” auf der Plattform des B2B-Fintech Solarisbank auf, was einen schnellen Launch ermöglichte. Eingebunden für den Zahlungsverkehr ist eine Visa-Kreditkarte – die Interchange-Gebühren sind in der Regel die Haupteinnahmequelle von Neobanken. Dass die Wahl auf Visa fiel, ist das Kontrastprogramm zu N26, die voll auf Mastercard setzt.Neben dem kostenfreien Basisdienst gibt es noch Premiumdienste für monatlich 9,90 Euro, wozu neben einer hohen Integrationsfähigkeit von Fremdwährungsdiensten auch ein sehr vielversprechendes Feature gehört: ein Cashback-System, das 10 % der Ausgaben für Streamingdienste und Online-Einkäufe vergütet, womit maximal 20 Euro monatlich als Extraguthaben zusammenkommen. Dieses Guthaben wird von der App dann mit einer Aktienkursentwicklung gekoppelt, womit den Spielregeln zufolge ausschließlich eine Upside möglich ist. So will “Vivid Money” Kunden mit dem Wertpapier-Thema vertraut machen. Auch ein GratisbrokerDahinter steckt ein fundamentaler strategischer Schachzug: Schon bald will “Vivid Money” den provisionsfreien Handel von Aktien und ETFs ermöglichen, also als “Gratisbroker” antreten. Dieses Geschäftsmodell greift um sich und attackiert perspektivisch die Einnahmen von Comdirect, DKB, ING und Consorsbank. Das Fintech Trade Republic hatte als erstes mit dem reinen Smartphone-Brokerage losgelegt und will, mit frischem Risikokapital ausgestattet, nun eine europäische Retail-Brokerage-Plattform aufbauen, die auch Banking-/Investment-Funktionalitäten umfasst.Das Gratis-Brokerage-Modell mit den Einnahmen aus Rückvergütungen aus dem Orderflow kriegt aber erst so richtig Schmackes, wenn es paneuropäisch skaliert wird. Da könnte für die Tinkoff Bank eine Akquisition sinnvoll sein: Flatex wäre für einen Börsenwert von knapp 740 Mill. Euro plus Prämie zu haben. Klassische Digitalbank-StoryDass “Vivid Money” gekommen ist, um zu bleiben, zeigt die Eröffnung eines Berliner Büros, das bald 60 bis 90 Mitarbeiter beherbergen soll. Hinzu kommen Moskauer Kapazitäten. Aber wird das Produktportfolio reichen, um Konkurrenten wie N26 Kunden abspenstig zu machen? Da wird “Vivid Money” über die Zeit wohl mit gezielten Aktionen reingehen – und ansonsten die digitalaffine Klientel in den beiden großen Finanzverbünden abholen, womit sich die klassische Direktbanken-Story fortsetzt.Oleg Tinkow plagen derweil ganz andere Sorgen. Im Rahmen der US-Sanktionen gegen Russland wurde Tinkow von der Steuerbehörde IRS ins Visier genommen, die ihm vorwirft, im Zuge der Aufgabe seiner US-Staatsbürgerschaft Vermögen und Einkünfte über 1 Mrd. Dollar verschwiegen zu haben.Anfang März machte Oleg Tinkow dann öffentlich, dass er an Leukämie erkrankt ist. Vom Posten als Chef des Verwaltungsrates der Tinkoff Bank hat er sich Mitte Mai zurückgezogen, um in Ruhe die Krankheit zu bekämpfen. Zuletzt hieß es, es gehe ihm trotz der Behandlung gut.