Informelle Bankreregulierung

Rechtsstaatlich „durchaus zweifelhaft“

Bayerns Genossenschaftsbanken ziehen gegen informelle Bankreregulierung durch die Aufsicht zu Felde. Das von ihnen zu diesem Zweck in Auftrag gegebene Gutachten taugt allerdings nur bedingt dazu, sie dafür zu munitionieren, und streicht auch positive Effekte der Regulierung jenseits legislativer Normen heraus.

Rechtsstaatlich „durchaus zweifelhaft“

Von Bernd Neubacher, Frankfurt

Die Genossenschaftsbanken Bayerns ziehen mit Hilfe eines Rechtsgutachtens die Aufsichtspraxis der Finanzaufsicht durch informelle Bankregulierung in Zweifel. Bei Präsentation einer Expertise des an der Humboldt-Universität zu Berlin lehrenden Juraprofessors Lars Klöhn fuhr Jürgen Gros, Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB), am Mittwoch schweres Geschütz gegen die deutsche Finanzaufsicht auf. „Dort, wo es keine gesetzlichen Regelungen gibt, kann nicht die BaFin diese Lücke über informelle Methoden füllen und quasi Recht setzen. Ein solches Vorgehen steht einer Behörde nicht zu“, kritisierte er. Die BaFin müsse „zurück ins rechtsstaatliche Korsett“. Dies müsse Teil der anstehenden BaFin-Reform werden.

Unmut weit verbreitet

Der Unmut über informelles Handeln der Bankenaufsicht ist in der Kreditwirtschaft nicht nur beim GVB anzutreffen, sondern weit verbreitet, und dies nicht ohne Grund: Viele ihrer Vorgaben macht die Aufsicht den Instituten auf informellem Wege. Und wer als Bankvorstandmitglied etwa im jährlichen Aufsichtsgespräch seine Ohren nicht gerade komplett auf Durchzug schaltet, muss nicht erst auf einen Verwaltungsakt warten, um zu wissen, was die Aufsicht erwartet. Die Bankenkontrolleure wiederum wissen sehr gut, dieses Instrument ausgiebig zu nutzen. Denn wenn die Institute schon nach rhetorischen Interventionen etwa durch öffentliche Äußerungen spuren wie gewünscht, warum sollte man sich dann noch mit förmlichen Anweisungen dem Risiko einer rechtlichen Überprüfung aussetzen?

Zur informellen Bankregulierung zählt der vom GVB beauftragte Gutachter Klöhn die „nicht rechtsförmliche Setzung allgemeiner Verhaltensstands durch die BaFin auf dem Gebiet des Bankaufsichtsrechts“. Im Verwaltungsrecht handele es sich dabei um „einseitiges normenbezogenes informelles Verwaltungshandeln“ etwa durch „Richtlinien, Rundschreiben, Merkblätter, Auslegungsentscheidungen und FAQs sowie Erwartungsformulierungen in Pressemitteilungen, Artikeln im BaFin Journal und Redemanuskripten“.

Die Bereitschaft, gegen solche Regulierung juristisch vorzugehen, ist im deutschen Kreditsektor allenfalls embryonal vorhanden. Dies muss nicht unbedingt mit einem, Deutschen oft bescheinigten, Hang zum Gehorsam zusammenhängen, sondern rührt vor allem von der Sorge um Reputationsrisiken her, „die auf dem Bankenmarkt besonders schlagkräftig sind“, wie Klöhn an­merkt, da mit ihnen eine Bank stehen und fallen kann. Eine der wenigen Ausnahmen bildet die baden-württembergische Förderbank L-Bank, die gegen ihre Beaufsichtigung durch die Europäische Zentralbank (EZB) klagte.

Auf europäischer Ebene ist die informelle Aufsicht ohnehin ungleich weiter verbreitet als auf nationaler Ebene. So taugt das vom GVB und dem von ihm beauftragten Gutachter Klöhn angeführte Dividendenmoratorium, das bar jeder Rechtsgrundlage zu Beginn der Pandemie als bloße Empfehlung daherkam, an welche man sich gleichwohl tunlichst zu halten hatte, zweifelsohne als Paradebeispiel für informelle Bankregulierung. Allein: Gewachsen ist es auf dem Mist der europäischen Bankenaufsicht; die BaFin schloss sich ihr freilich an. In derselben Form eines Angebots, das eine Bank nicht ablehnen kann, scheint die EZB derzeit auch die Reform der Institutssicherung im Sparkassen-Finanzverbund voranzutreiben. „Ich hätte gerne eine Rechtsgrundlage“, monierte Baden-Württembergs Sparkassenpräsident Peter Schneider im Februar nach der Aufforderung durch die Aufsicht, von den öffentlichen Trägern der Institute vorab finanzielle Zusicherungen für den Fall einer Stützung in der Zukunft einzuholen – dass sie inzwischen geschaffen worden sei, ist bislang nicht überliefert.

„Selbst gesetztes Recht“

Klöhns Fazit laute, „dass die informelle Bankregulierung der BaFin unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten durchaus zweifelhaft ist“, teilt der GVB mit. Das Gutachten warne davor, dass die BaFin mit ihrer Praxis der informellen Bankregulierung „faktisch selbst gesetztes Recht vollzieht“ und damit die „Grenzen des aufsichtsrechtlich Zulässigen systematisch überschreitet“. „Der Rechtsstaat darf nicht zulassen, dass eine Behörde in der Praxis einfach die Rolle des Gesetzgebers übernimmt“, wettert der GVB. Das aber ist, zumindest was Klöhns Gutachten angeht, nicht die ganze Wahrheit.

Tatsächlich meldet Klöhn, dem hoch anzurechnen ist, dass er eben nicht bloß exakt das niedergeschrieben hat, von dem er annehmen darf, dass sein Auftraggeber dies so hören will, Bedenken an der informellen Bankregulierung an: Mit guten Gründen diagnostiziert er „Legitimations-, Kontroll- und Rechtsstaatlichkeitsprobleme“, die sich daraus ergäben, dass Kreditinstitute „aufgrund der auf dem Bankenmarkt besonders wirksamen Reputationsmechanismen die Auseinandersetzung mit der BaFin prinzipiell auch dann scheuen, wenn sie der Ansicht sind, dass die BaFin rechtswidrig handelt“.

Zugleich räumt Klöhn allerdings auch ein, informelle Bankregulierung berge „ein großes Potenzial zur Verbesserung der Aufsichtspraxis – nicht zuletzt auch im Interesse der Kreditinstitute“. Sie könne „die Transparenz der Aufsicht erhöhen, zur Schaffung einheitlicher Wettbewerbsbedingungen beitragen, die Rechtssicherheit stärken, Verhalten effizient steuern und Streitigkeiten vermeiden“. Zudem berge sie Lernpotenzial für die BaFin, sofern die BaFin bereit sei, informelle Bankregulierung schrittweise anzupassen.

Differenziert bezieht Klöhn auch Stellung in den Fragen, ob Banken Rechtsschutzmöglichkeiten gegen informelles Verwaltungshandeln der BaFin offenstehen und ob es sich aus rechtspolitischer Sicht anbietet, die Rechtsschutzmöglichkeiten zu verbessern. Zwar stehe den Kreditinstituten „grundsätzlich kein unmittelbarer Rechtsschutz gegen informelle Bankregulierung der BaFin zur Verfügung“, hält Klöhn fest – selbst wenn man die Verlautbarungen der BaFin als Grundrechtseingriffe qualifizieren würde, müsste eine vorbeugende Feststellungs- bzw. Unterlassungsklage grundsätzlich am fehlenden Feststellungsinteresse bzw. Rechtsschutzbedürfnis scheitern, weil die BaFin sich in aller Regel zunächst informell an Marktteilnehmer wende, bevor sie weitergehende Maßnahmen treffe.

Allerdings habe das Bundesverwaltungsgericht im Zuge der sogenannten „Damokles-Rechtsprechung“ sehr wohl ein hinreichendes Feststellungsinteresse diagnostiziert, „wenn die Behörde mit einer Strafanzeige, der Einleitung eines Bußgeldverfahrens oder einer ähnlich einschneidenden Maßnahme droht, um den Adressaten zu einem bestimmten verwaltungsrechtlich relevanten Verhalten zu bewegen“. Diese Rechtsprechung führe „bei richtiger Anwendung zu vergleichsweise frühen Rechtsschutzmöglichkeiten der Kreditinstitute und deren Geschäftsleitern“, urteilt er. Insbesondere seien bei der Beurteilung des Feststellungsinteresses die auf dem Bankenmarkt besonders stark ausgeprägten Reputationsmechanismen zu berücksichtigen. Ihretwegen sei es Kreditinstituten „regelmäßig unzumutbar, einen längeren Schwebezustand zu akzeptieren, währenddessen die Rechtmäßigkeit ihres Handelns aufgrund von BaFin-Verlautbarungen in Zweifel gezogen werden könnte“. Somit, so Klöhns Schluss, sei „eine gesetzgeberische Anpassung des derzeitigen Rechtsschutzsystems nicht erforderlich“.

Vielleicht wäre es einfach einmal an den Instituten, die Erwartung der BaFin, sie würden informelle Bankregulierung beherzigen, zu enttäuschen und es auf eine rechtliche Überprüfung ankommen zu lassen. Im Falle eines Rechtshändels dürften die Reputationsrisiken, insbesondere nach den Fällen Wirecard und Greensill Bank, jedenfalls eher aufseiten der Aufsicht liegen.