Reichlin wird als Unicredit-Boardchefin gehandelt
Von Thesy Kness-Bastaroli, MailandIn Italien trägt Lucrezia Reichlin, Wirtschaftswissenschaftlerin und Boardmitglied von Unicredit, den Spitznamen “die kommunistische Prinzessin”. Vom Kommunismus hält die Wirtschaftsprofessorin an der London Business School, die nun als mögliche Nachfolgerin des Verwaltungsratspräsidenten von Unicredit, Giuseppe Vita, gehandelt wird, so gut wie nichts. Die Tochter des einstigen Partisanen und späteren Abgeordneten der Kommunistischen Partei, Alfredo Reichlin, und von Luciana Castellina, Begründerin der kommunistischen Tageszeitung “Il Manifesto”, besuchte in Rom das renommierte humanistische Gymnasium Tasso. Ihr Klassenkamerad, der derzeitige Außenminister Paolo Gentilone, meint heute noch: “Sie war die Schönste, die Intelligenteste und die am besten Vorbereitete von uns allen.”Nach dem Abitur studierte Lucrezia in Modena Wirtschaftswissenschaften, wo sie sich vor allem auf die Ökonometrie konzentrierte. Sie hat diese dann auch als Leiterin der volkswirtschaftlichen Abteilung bei der EZB in Frankfurt (2005 bis 2008) auf neue Modelle angewandt.Die 61-jährige Römerin hat einen großen Teil ihres Lebens im Ausland zugebracht: in New York etwa, wo sie ein Stipendium für ihren Ph.D.-Grad erwarb und danach für die UN in der Karibik, auf Santa Lucia, den Entwicklungsplan überwachte. 1995 wechselte die Wirtschaftswissenschaftlerin nach Brüssel, wo sie zehn Jahre lang an der Freien Universität Nationalökonomie lehrte. Nach Brüssel wurde Reichlin zur EZB nach Frankfurt berufen. Ab 2008 lehrte sie Nationalökonomie an der London Business School. Ihre chinesische Adoptivtochter Fusha hatte sie in London gebeten, nicht schon wieder den Standort zu wechseln. Nach 40 Jahren im Ausland scheint Reichlin nun bereit zu sein, nach Italien zurückzukehren. Nicht nach Rom, wo Bruder Pietro Wirtschaftswissenschaften lehrt, sondern in die Wirtschafts- und Finanzmetropole Mailand.Schon in der jüngsten Vergangenheit war die Ökonomin für wichtige Ämter im Gespräch. Etwa als Reichlin Boardmitglied der britischen Zentralbank werden sollte. Oder wenig später, 2014, als der neue Regierungschef Matteo Renzi sie mit der Leitung des Wirtschaftsministeriums betrauen wollte. Angeblich hat aber der damalige Staatspräsident Giorgio Napolitano darauf gedrungen, Pier Carlo Padoan als Wirtschafts- und Finanzminister einzusetzen.Seit ihr der einstige Unicredit-Chef Alessandro Profumo vor acht Jahren einen Posten im Board der Bank anbot, hat sich Reichlin bei Unicredit einen Namen gemacht. Ihr Aufenthalt bei der EZB in Frankfurt habe ihr erlaubt, die deutsche Finanz- und Wirtschaftspolitik kennenzulernen. Sie war und ist bei Unicredit sozusagen das Bindeglied zwischen deutschen und italienischen Interessen. Aber sie war auch das einzige Boardmitglied, das 2010 gegen die Absetzung von Profumo stimmte. Seit je drang sie auf eine verbesserte Kapitalausstattung, auf einen rigorosen Kostenabbau bei Unicredit. Weidmann verteidigtIn der wirtschaftsliberalen Mailänder Tageszeitung “Corriere della Sera” verteidigte sie auch den kürzlich erfolgten und von der italienischen Presse stark kritisierten Besuch von Bundesbankpräsident Jens Weidmann. Die italienischen Medien hätten in dem von Weidmann geforderten Schuldenabbau einen Angriff des Deutschen auf ihr Land gesehen, schrieb sie. Das sei aber nicht der Fall gewesen. Weidmann habe nur die Beachtung der EU-Regeln gefordert. Allerdings überschätze er deren Auswirkungen, meint Reichlin.Sie fordert eine “Architektur der EU”, die weniger die Normen und mehr den Marktmechanismus berücksichtigen solle. Doch der Schuldenabbau, ob nun aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe der EU, habe Priorität. Den möglichen Austritt Großbritanniens aus der EU kommentierte sie mit den Worten: “Nichts als Kosten für London.”