SERIE: BANKING IN DER NISCHE (1)

Rein in die Nische

Angesichts mauer Perspektiven im Kerngeschäft entdecken Kreditinstitute den Reiz von Randbereichen

Rein in die Nische

Eine Bank als Bauträger oder Immobilienmakler, als Vermittler von Stromverträgen oder als Portal für vergünstigte Dienstleistungen – die Kreditbranche zeigt sich zuweilen kreativ, um im Zinstief neue Einnahmequellen zu erschließen. Noch aber fallen Nischensegmente in der Ergebnisrechnung kaum ins Gewicht. Von Bernd Neubacher, Frankfurt”Den ersten Mitarbeiter, der mir Retaileinlagen heranschafft, den werde ich eigenhändig erschlagen.” Dem sonst so konziliant auftretenden Geschäftsleiter einer am Finanzplatz Frankfurt tätigen Auslandsbank, der dies jüngst im persönlichen Gespräch angekündigt hat, darf man abnehmen, dass er sich im Zweifelsfall nicht beim Wort nehmen lassen würde. Seine Aussage wird an dieser Stelle dennoch dokumentiert, veranschaulicht sie doch eindrücklich die Zwänge im europäischen Massengeschäft zu Beginn der neuen Dekade.Jahre ultralockerer Geldpolitik haben die Verhältnisse im Kreditgeschäft auf den Kopf gestellt: Was einst das Brot-und-Butter-Geschäft der Banken war und ihnen stabile Erträge garantierte, hat sich zu einer Belastung gewandelt. Einlagen kosten die Banken Geld, wenn sie die Mittel bei der Europäischen Zentralbank parken. Nicht wenige Kreditinstitute wehren Einlagen daher zunehmend ab. Tristesse allerortenWer Einlagen im Kreditgeschäft einsetzen kann, muss aufpassen: Die Margen werden zusehends dünner, während die Risiken vor dem Hintergrund einer an Schwung verlierenden Konjunktur sukzessive zunehmen. Im Provisionsgeschäft wiederum ist die Anfang 2018 eingeführte EU-Finanzmarktrichtlinie Mifid II der Branche schwer auf den Magen geschlagen. Zum einen hat sie den Banken manch willkommenen Zusatzertrag zu Lasten der Kunden, zum Beispiel durch Rückvergütungen, genommen. Und zum anderen hat sie der Branche zugleich einen Wust an Papierkram beschert, der Berater und Kunden zuweilen synchron in den Wahnsinn treibt.Das Ausmaß der Misere beleuchtet der alljährliche Bericht der Deutschen Bundesbank zur Ertragslage der deutschen Kreditinstitute. Die nackten Zahlen für 2018, niedergelegt im Monatsbericht September 2019: Der Jahresüberschuss vor Steuern ist um 31 % auf 18,9 Mrd. Euro gefallen. “So ergab sich mit 0,23 % der Bilanzsumme eine Gesamtkapitalrendite, die zuletzt nur in der Finanzkrise unterschritten wurde”, heißt es. Zwar führt die Bundesbank den Einbruch vor allem auf niedrigere Handelsergebnisse, ein verschlechtertes Bewertungsergebnis sowie auf einen Rückgang des außerordentlichen Ergebnisses zurück. Auch mit den klassischen Trägern des Ergebnisses war es allerdings 2018 in der deutschen Kreditwirtschaft nicht weit her. Kreditwachstum hilft nichtSo verblieb der Zinsüberschuss mit 87,2 Mrd. Euro unter seinem langfristigen Durchschnitt, auch wenn die Banken das Ergebnis im unmittelbar zinsbezogenen Geschäft dank eifriger Kreditvergabe um 700 Mill. auf 71,8 Mrd. Euro erhöhten. “Das Zinsergebnis von Instituten mit zinsabhängigem Geschäftsmodell wie den Sparkassen und Kreditgenossenschaften stagnierte hingegen trotz eines dynamischen Kreditwachstums”, führt die Bundesbank aus.Der Provisionsüberschuss der deutschen Banken reduzierte sich unterdessen um 1,0 Mrd. auf 29,5 Mrd. Euro und verblieb damit gemessen an der Bilanzsumme mit 0,37 % “gerade noch auf Vorjahresniveau”. Zu verdanken ist dies nicht zuletzt einer schleichenden Einführung vermehrter Kontoführungsprovisionen.Die von Aufsehern schon vor Jahren an Banken gerichtete Forderung, im Zinstief den Anteil ihres Provisionsüberschusses zu steigern, hat damit bislang noch nicht gefruchtet. Der Anteil des Provisionsüberschusses an den Erträgen stagniert bei einem Viertel. Die Prognose sieht mau aus. “Auch im zinsunabhängigen Geschäft dürfte der Wettbewerb zugenommen und zu sinkenden Provisionssätzen insbesondere für den Zahlungsverkehr und bei beratungsarmen, standardisierten Produkten geführt haben”, konstatiert die Bundesbank.Die Aufsicht hat den Druck auf die Institute inzwischen merklich verschärft. So fordert Felix Hufeld, Präsident der Bundesanstalt für Dienstleistungsaufsicht (BaFin), von den Instituten Mut zum Umbau ihrer Strukturen. In allererster Linie sollten Banken “das zu hohe Maß an Komplexität” abbauen, erklärte er jüngst im Interview der Börsen-Zeitung: “Einfach alles lassen, wie es steht und liegt, und auf dieser Basis eine Verringerung der Kosten um 20 % anzustreben – das wäre offensichtlicher Unfug. Man muss also an Strukturen ran.”Im europaweiten Maßstab sieht die Lage nur scheinbar besser aus. Dass sich die in den vergangenen Jahren von der Geldpolitik geschlagene Schneise in den Bilanzen der Banken Europas noch nicht gezeigt hat, liegt vor allem an einer sehr günstigen Entwicklung der Wertberichtigungen. So hat die European Banking Authority (EBA) in ihrer jüngsten Transparenzübung aufgezeigt, dass die Banken in der EU ihre Eigenkapitalrendite zwischen 2014 und Mitte 2019 zwar von denkbar niedrigen 3,5 % auf 7 % verdoppelt haben – allerdings ist dies allein auf einen Rückgang der Wertberichtigungen, der Risikovorsorge, des Verwaltungsaufwands sowie auf höhere Handelsergebnisse zurückzuführen. Ohne diesen Auftrieb, also allein mit dem Zinsüberschuss, den Provisions- und sonstigen Einnahmen, wäre die Rendite der Institute um insgesamt 5 Prozentpunkte gefallen. Alternativen sind rar gesätAlternativen zum Kerngeschäft sind schwer zu finden. Zahlungsverkehr mag zwar ein Geschäft mit Zukunft sein. Nachdem aber die deutsche Kreditwirtschaft ihre Anteile am Zahlungsverkehrsdienstleister Concardis 2017 verkauft haben, machen das Geschäft mit dem Unternehmen Finanzinvestoren, die Concardis schon kurz darauf an den dänischen Zahlungsverkehrsspezialisten Nets weiterreichten.Kapitalmarktaktivitäten sind auch keine Option. Erstens hatte der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht den Handel schon nach Eskalation der Finanzkrise spürbar verteuert, und zweitens könnte die breite Masse der deutschen Kreditinstitute es mit den großen US-Häusern, die auch hierzulande den Markt beherrschen, ohnehin nicht aufnehmen. Das abgelaufene Jahr dürfte die Perspektiven kaum verbessert haben, wie der Bundesbank schwant: “Im laufenden Jahr stellen neben Gewinnwarnungen von großen oder global agierenden Unternehmen sowie zunehmenden und potenziell eskalierenden Handelsstreitigkeiten insbesondere Anpassungen an ein längerfristiges Niedrigzinsumfeld Herausforderungen für die Institute dar.”Im neuen Jahr steht auf EU-Ebene nun erst einmal die Umsetzung des Abschlusses von Basel III an, der nach Angaben aus der Branche vor allem risikoarme Kreditaktivitäten über schärfere Kapitalunterlegungspflichten spürbar verteuern wird. Auf lange Sicht könnte gar die Fähigkeit der Banken zur Kreditvergabe generell gefährdet sein, wenn die Notenbanken dereinst digitales Zentralbankgeld für alle ausgeben sollten. Wer wird dann noch Banken brauchen? Autobanken machen es vorIn dieser Lage beginnen Institute sich auf Nischen zu besinnen. Wie lukrativ ein solch abgestecktes, den eigenen Fähigkeiten entgegen kommendes Aktionsfeld sein kann, machen den Banken die Finanzierungstöchter der Autohersteller vor, freilich auch dank Mütter, die ihnen die Kunden frei Haus zuliefern: Seit Jahren schon gehören die Autobanken neben den Direktbanken zu den profitabelsten Instituten der Republik. Sie fahren ein Vielfaches der Rendite der Masse an Sparkassen sowie Volks- und Raiffeisenbanken ein. Den Autobanken kommt zugute, dass sie Kredite auch über Autohändler vermitteln können, was Kosten im Vertrieb drückt. Wider die OpfermentalitätDerart aus dem Vollen schöpfen können andere Kreditinstitute, die sich auf neue Wege begeben, sicher noch nicht. Doch das Bemühen um Diversifikation ist überall zu spüren. Mancherorts versuchen Sparkassen aus der Not des geldpolitischen Umfelds das Beste zu machen, indem sie nur das Immobilienkreditgeschäft forcieren, sondern sich auch zunehmend als Bauträger etablieren. Woanders sind Banken Kooperationen mit Energieversorgern eingegangen. In der Assekuranz haben sich unterdessen interessante Geschäftschancen in Randbereichen, etwa der Tierkrankenversicherung, aufgetan. Zuweilen fällt die Nische gar mit der ursprünglichen Geschäftsidee in eins, etwa im Sektor der Genossenschaftsbanken. So hat etwa die Volks- und Raiffeisenbank Nordeifel 2016 eine Dienstleistungsgenossenschaft Eifel eG initiiert. 52 Unternehmen haben sich dort zusammengeschlossen, um für ihre Mitglieder Leistungen aus den Bereichen Personalführung, Gesundheit, Digitalisierung, Wissen und Kompetenz zu entwickeln, bereitzustellen oder einzukaufen, ihre Mitglieder wirtschaftlich und sozial zu fördern sowie damit die Infrastruktur und die Region selbst nach vorn zu bringen. Die mehr als 4 000 Mitarbeiter der Unternehmen erhalten einen Mitgliedsausweis, der als Berechtigungsnachweis für Leistungen und Vergünstigungen bei Partnerunternehmen gilt. Auch können sie sich beim Gesundheitsportal Chilp anmelden, das Informationen zu Gesundheitsthemen, eine Ärztesuche, den Zugang zur Familiengenossenschaft sowie Angebote und Neuigkeiten der Dienstleistungsgenossenschaft bereithält.Vielerorts sprudeln Ideen. Ermöglichen sie es Banken, die Ertragsdelle im Zinstal auszugleichen? Im Leben nicht. Tatsächlich dürfte mancher Vorstoß in der Ergebnisrechnung fürs Erste kaum ins Gewicht fallen. Was nicht ist, kann freilich noch werden. Und zumindest einzelne Finanzdienstleister widerlegen mit ihren Initiativen den Vorwurf der “Opfermentalität”, den BaFin-Präsident Hufeld vor Monaten an die Branche gerichtet hatte. Einige dieser Vorstöße von Finanzdienstleistern wird die Börsen-Zeitung in einer neuen Serie vorstellen. Lesen Sie mehr in den nächsten Ausgaben.