Riesenameise so klein mit Hut
Von Norbert Hellmann, Schanghai Der spektakulär vor eine regulatorische Wand gefahrene Börsengang des chinesischen Fintech-Kolosses Ant Group wird seinen Gründer und Stimmrechtskontrolleur Jack Ma noch lange als Alptraum verfolgen. Es ist die erste ganz große Niederlage für den Vorzeige-Tech-Entrepreneur, der mit seiner auf Chinesisch “Mayi Jingfu” (Ameisen-Finanzdienste) genannten Ant Group Chinas Finanzdienstleistungssektor gründlich aufgerollt hat und dabei auch zum reichsten Mann im Reich der Mitte avancierte. Deutlich weniger wertIn puncto Reichtum bedeutet die Absage des Initial Public Offering (IPO) zunächst einmal einen fürchterlichen Schlag ins Kontor. Zum Emissionszeitpunkt wäre Mas Fintech-Imperium, an dem er direkt 8,8 % der Anteile hält, auf eine Marktbewertung von 315 Mrd. Dollar gekommen. Ein fest zu erwartender Kursschub der Aktie nach Handelsaufnahme hätte Ma in der globalen Reichenliste mit einem Schlag an den Google-Gründern vorbei auf Rang 8 katapultiert. Jetzt aber weiß man erstmal nicht, was Ant wirklich wert ist. Es wird deutlich weniger sein. Fingerzeig dafür ist die Kursentwicklung von Alibaba, dem ebenfalls von Ma gegründeten Onlinehandelsriesen. Alibaba, die mit 33 % an Ant beteiligt ist, war im Sog der Ant-Kursfantasie auf den Platz 6 der nach Börsenkapitalisierung weltgrößten Unternehmen gerückt. Am Mittwoch allerdings verlor die Aktie im New Yorker und Hongkonger Handel um fast 10 %.Vielleicht kann Ma die möglicherweise nur vorübergehende Werteinbuße seines Tech-Imperiums ganz gut verkraften. Schmerzvoller ist aber die gewaltige Schelle, die ihm Chinas Staatsführung im Gewand von Finanz-und Börsenregulatoren verpasst hat. Sie könnte und soll nach dem Willen Pekings ihm noch lange die Ohren klingen lassen. Die Führungsspitze der Kommunistischen Partei Chinas toleriert schnellen Reichtum von umtriebigen Entrepreneuren. Wehe aber, wenn die Milliardäre öffentlich aufmucken, dann werden sie gnadenlos zurechtgestutzt. Die BrandredeIm Falle Ma ist Folgendes passiert: Ende Oktober, am Tage der Preisfestsetzung für das Ant-IPO, trat Ma auf einem Finanzforum in Schanghai auf und riskierte eine Brandrede über Sinn und Unsinn der Regulierung von Fintech-Firmen, für die seiner Auffassung nach keine altbackenen Kreditsektor-Regelungen gelten sollten. Dabei mokierte er sich unvorsichtigerweise über Chinas noch unreifes Finanzsystem und die Rolle von schwerfälligen Staatsbanken, die mit tradierten Bonitätsprüfungsverfahren statt Big-Data-Anwendungen wie bei Ant hantieren. Schlimmer noch lästerte er über von Altherrenclubs aufgestellte Systemrisikoregelungen und forderte die Regulatoren-Kaste dazu auf die Tech-Gemeinde endlich besser verstehen zu lernen. (vgl. BZ vom 30. Oktober). Der Staat schlägt zurückDas Staatsimperium hat schnell zurückgeschlagen. Prompt kam vom Vizepremier Liu He, der in der politischen Hierarchie als Chinas oberster Finanzstabilitätswächter fungiert, ein Statement, das die gesamte Fintech-Branche des Landes als Quelle von Systemrisikogefahren brandmarkte. Weniger Tage später wurde Ma dann vor ein Finanzregulierer-Komitee geladen. Dort bekam er nicht nur ordentlich die Leviten gelesen, sondern auch einen neuen Richtlinienvorschlag zur Regulierung und Eigenkapitalunterlegung des Kreditgeschäfts von Onlineplattformen vor den Latz geknallt. Auf dessen Basis sah die ebenfalls staatsgeführte Shanghai Stock Exchange plötzlich die Erfüllung der Listing-Voraussetzungen für den Börsengang in Schanghai nicht mehr gegeben. In Chinas Medienlandschaft sieht man kein Mitleid für Ma. Das gnadenlose Urteil der Netzgemeinde lautet vielmehr: “Weiter an einem neuen IPO wursteln und dabei die Klappe halten.”