Schorsch Leber: Gewerkschaftsboss, Multiminister und Bankgründer

Von Bernd Wittkowski, Frankfurt Börsen-Zeitung, 24.8.2012 Georg "Schorsch" Leber hat als pragmatischer Vorkämpfer der Arbeiterbewegung sowie als SPD-Politiker und langjähriger Bundesminister in unterschiedlichen Koalitionen und mit wechselnden...

Schorsch Leber: Gewerkschaftsboss, Multiminister und Bankgründer

Von Bernd Wittkowski, FrankfurtGeorg “Schorsch” Leber hat als pragmatischer Vorkämpfer der Arbeiterbewegung sowie als SPD-Politiker und langjähriger Bundesminister in unterschiedlichen Koalitionen und mit wechselnden Zuständigkeiten (Verkehr, Post- und Fernmeldewesen, Verteidigung) Geschichte geschrieben. In den Gewerkschaften wie in der Partei wurde er jeweils dem rechten Flügel zugeordnet. So stellte Leber sich den nicht zuletzt bei den Arbeitnehmervertretern verbreiteten Sozialisierungsforderungen entgegen. In der SPD war diese eher konservativ ausgerichtete Gruppierung seit den späten fünfziger Jahren als die “Kanalarbeiter” bekannt.Weniger präsent dürfte heute sein, dass Leber, der am Dienstag im Alter von 91 Jahren verstorben ist (vgl. BZ vom 23. August), auch entscheidend an der Gründung einer Bank mitgewirkt hat: der BSV:Bank für Sparanlagen und Vermögensbildung, die der Volksmund sogar bald auf den Namen eines ihrer Väter taufte, eben “Leber-Bank”. Aus dieser einstigen Gewerkschaftsbank, ursprünglich eine Tochter der Bank für Gemeinwirtschaft (BfG), ist die mit mehr als 7 Millionen Kunden größte Direktbank in Europa hervorgegangen, die ING-DiBa, die übrigens auch als 100-prozentige Tochter der niederländischen Finanzgruppe ING (seit 2003) noch heute ein wenig den Geist der Arbeiterbewegung atmet. Bis 1998 hatte die BGAG Beteiligungsgesellschaft der Gewerkschaften das komplette Aktienkapital des zwischenzeitlich in Allgemeine Deutsche Direktbank und 2005 dann in ING-DiBa umfirmierten Instituts gehalten.Der gelernte Kaufmann und Maurer Leber wurde 1957 zum Bundesvorsitzenden der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden – heute: IG Bauen-Agrar-Umwelt – gewählt. Dieses Amt hatte er bis zur Berufung zum Minister 1966 inne. Zum Bankgründer wurde er im Oktober 1965 gemeinsam mit dem legendären damaligen BfG-Chef Walter Hesselbach, bekannt als “Vater der Gemeinwirtschaft” und “roter Abs”. Und das kam so: Gewerkschaftsboss Leber hatte mit den Bauarbeitgebern den wohl ersten Tarifvertrag zur – so der von Leber geprägte Begriff – “Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand” ausgehandelt. Die zunächst recht überschaubaren Beträge, die nach dem “312-Mark-Gesetz” steuerbegünstigt angespart werden konnten, mussten bzw. durften nun natürlich bankmäßig verwaltet werden.Warum zu diesem Zweck das Spezialinstitut BSV:Bank entstand, darüber gibt es in den Archiven gegensätzliche Darstellungen, die aber durchaus beide zutreffen können. Von Leber, der erster Aufsichtsratsvorsitzender des neuen Geldhauses wurde, ist diese Aussage überliefert: “Die deutschen Banken kommen mir vor wie ein alter Hund, der satt ist. Dem kann man ruhig einen fetten Knochen hinhalten, der knurrt nicht einmal.” Soll heißen: Die etablierte Branche wollte mit dem kleinteiligen Geschäft nichts zu tun haben, und sie hatte es aufgrund ihrer Ertragslage gar nicht nötig. Verbürgt ist aber andererseits auch, dass die Gewerkschaften und ihre 1958 gemeinsam mit Konsumgenossen aus der Taufe gehobene BfG, die ohnehin Großbankambitionen hatte, überhaupt nicht daran dachten, der Banken- und Sparkassenkonkurrenz dieses auf Dauer lukrative Einlagengeschäft freiwillig zu überlassen.Mag die Hautevolee des Kreditgewerbes den immensen Aufwand, den das monatliche Einsammeln und Anlegen von Pfennig- und kleinen DM-Beträgen bedeutete, auch zunächst gescheut haben: Als die Gewerkschaftsbanker Ernst machten, war die Branche alarmiert und meldete Protest an. “Der BSV-Vorstand wird bezichtigt, mit gewerkschaftlichen Machtmitteln und unzulässigen Geldgeschenken Hunderttausende von Kunden zu kapern”, berichtete “Der Spiegel” im Dezember 1965, nachdem zuvor bekannt geworden war, dass bei dem frechen Neuling seit Wochen 5 000 Sparkonten eröffnet wurden – täglich!Mit “Geldgeschenken” war unter anderem eine Prämie von 5 DM gemeint, mit der die damalige Briefbank BSV um Neukunden warb. Die Praxis kennt man so ähnlich auch aus der Gegenwart. Ein Politikum war sie schon damals. In einem Kabinettsprotokoll der Bundesregierung vom 26. Januar 1966 ist nachzulesen, dass Kanzler Ludwig Erhard (CDU) auf die Sonderprämie der – so heißt es dort wörtlich – “Leber-Bank” zu sprechen kam. Das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen habe eine Beschwerde gegen diese Prämie zurückgewiesen, trug Erhard vor und meldete “gewisse Bedenken” gegen diese Entscheidung an, die zu Wettbewerbsverzerrungen im Geldgewerbe führen könne. Die inzwischen 47-jährige Erfolgsgeschichte der einstigen BSV:Bank und heutigen ING-DiBa haben diese Bedenken indes nicht verhindert.—–Aus der “Leber-Bank” entstand Europas größte Direktbank mit mehrals 7 Millionen Kunden.—–