„Start-ups müssen eine gewisse Einzigartigkeit besitzen“
IM GESPRÄCH: CHRISTIAN CLAUSSEN
„Start-ups müssen eine gewisse Einzigartigkeit besitzen“
Der Ventech-Partner hat Deeptech, ESG Climate und Embedded Finance im Visier
Von Björn Godenrath, Frankfurt
Von Björn Godenrath, Frankfurt
Ventech gehört zu den „Household Names“ in der europäischen Venture-Capital-Szene. Seit 25 Jahren im Geschäft, ist die in Paris gegründete Gesellschaft auf Early-Stage-Investitionen von Seed bis Series A spezialisiert. Das Motto von Ventech ist, dass man das Rad nicht neu erfinden wolle, sondern einfach immer wieder dasselbe tue, und das eben gut. Zu dieser Nüchternheit passt der Track Record von 120 Investments bei einer Exit-Quote von 50%.
Ein unglaublich lukrativer Exit
Bei Ventech werden auch keine Hypes ausgerufen, was wiederum gut passt zu General Partner Christian Claussen, der als Co-Lead den deutschsprachigen Raum betreut – und dabei schon den einen oder anderen Treffer gelandet hat. Dazu zählt auf jeden Fall Fintecsystems, die vor zwei Jahren an die schwedische Tink verkauft wurde. „Das war einer der lukrativsten Fintech-Deals. Wir hatten 3,5 Mill. Euro in Fintecsystems investiert und haben 35 Mill. Euro Cash rausgekriegt“, so Claussen im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Nur drei Monate später wurde Tink für 1,8 Mrd. Dollar von Visa geschluckt.
Das war noch in der guten alten Zeit, als die Bewertungen noch durch die Decke schossen und sich die Fintechs kaum retten konnten vor Funding. Das hat sich vor knapp zwei Jahren noch vor dem Kurswechsel der Notenbanken schlagartig geändert. Seitdem herrscht Flaute, auch wenn natürlich immer noch Deals zustande kommen – aber eben nicht mehr zu Fantasiebewertungen. Claussen: „Nach dem Hype sind wir bei den Bewertungen zur Normalität zurückgekehrt. Es gibt eine Rückbesinnung auf Fundamentaldaten. Und bei den KPIs lässt sich ablesen, ob ein Start-up auf gutem Weg ist zu profitablem Wachstum.“
Branchengesetze
Im Early-Stage-Bereich werde derzeit ordentlich ausgesiebt, sagt Claussen. Einige schafften es nicht über die Angel-Finanzierung hinaus. Und in der Seed-Phase würden sich Gründer nicht über Gebühr verwässern lassen wollen. Je nach Capex-Aufwand gebe Ventech in der Series A in der Regel 5 bis 8 Mill. Euro Risikokapital, womit man bei Bewertungen von 12 bis 20 Mill. Euro lande. Grundsätzlich interessant ist für Claussen alles aus dem Bereich Deeptech – da kann er seine Wurzeln als Ingenieur ausleben. Bei Deeptech geht es um technische Grundlagen zum Beispiel in der Software-Entwicklung oder in grundlegenden Infrastrukturen auf der Hardware-Seite. „Es geht für Start-ups heute vor allem darum, dass sie eine gewisse Einzigartigkeit haben, also gut zu verteidigende Eintrittsbarrieren besitzen“, so der Ventech-Partner.
Sektorspezifisch hat er ein Auge geworfen auf Gründungen im Umfeld von Climate ESG, die also entlang der Nachhaltigkeits-Direktive der Europäischen Union Geschäftsmodelle aufbauen. „Das sind dann vor allem B2B-Softwarelösungen für Unternehmen, die zum Beispiel Lieferketten-Dokumentationen brauchen.“ Mit Prewave hat Ventech auch schon in ein solches ESG-Start-up investiert, das unter anderem vier große deutsche Automarken zu seinen Kunden zählt. Das Start-up betreibt von künstlicher Intelligenz gestütztes Risiko- und Nachhaltigkeitsmonitoring. Dafür kann es maschinenlesbare strukturierte Datenpunkte extrahieren, mit deren Hilfe man über Risikoereignisse in der Lieferkette berichten kann, bevor sie passieren. 11 Mill. Euro erhielt Prewave von Ventech und einigen anderen VC-Fonds Ende 2022, am Dienstag dann weitere 18 Mill. Euro in einer Series A+ mit Creandum im Lead.
Ebenfalls im Visier sind Geschäftsmodelle aus dem Bereich „Embedded Fintech“. Wobei der Hintergrund für das Aufkommen von Embedded-Geschäftsmodellen auch darin begründet sei, dass sich B2C als sehr teuer bei der Kundenakquise erwiesen habe. Da kann man als als reguliertes und lizenziertes Fintech besser B2B2C mit einzelnen Modulen bauen und auch Nicht-Banken beliefern, seien es Kredite oder Wealth Management.
Kaum wiedersehen werde man die hohen Bewertungen in Insuretech, zu teuer sei die Kundenakquise und noch stehe der Beweis aus, dass sich über Digitalisierung Bestände so viel effektiver bewirtschaften lassen. „Der Trend geht zu Hybridmodellen.“ Ein solches baut auch das deutsche Aushängeschild WeFox auf, das nach dem Zukauf von traditionellen Maklern eine Digitalplattform aufbaut. Ventech hat mit Leocare in ein französisches Insuretech investiert, das digitale Autoversicherungen und spezielle Haftpflichtversicherungen anbietet. Rund 120 Mill. Euro hat Leocare bislang bei Investoren eingesammelt, zuletzt (inklusive einer Kreditlinie) in einer Series B Ende 2021, wo auch Altinvestor Ventech mitzog. Und man könnte fast vermuten, dass Series-B-Leadinvestor Eight Roads Schwierigkeiten haben könnte, die vor 18 Monaten erzielte Bewertung im Zyklus so bald wiederzusehen – aber der Return on Investment von Venture Capital hängt mitunter auch von Dealstrukturen ab.
Flaute hält nicht ewig an
Claussen kam Ende der 90er Jahre in die Venture-Szene und hat seitdem alle Phasen von Boom bis Absturz erlebt. Entsprechend gelassen betrachtet er die derzeitige Branchenflaute beim Funding. Diese werde nicht ewig anhalten, und auch wenn zwar mangels Anschlussfinanzierung noch einige Pleiten drohten, würde sich da viel über Konsolidierung via M&A auflösen. Es habe schon Transaktionen gegeben wie den Erwerb von Penta durch Qonto. Noch befänden sich die Growth Funds in einer Phase der Portfolio-Stabilisierung, aber Crossover-Fonds wie Verdane oder General Atlantic würden auch ohne Leverage zugreifen. Daten von BCG zufolge haben sich die Umsatzmultiples von notierten Fintechs auf 4-fach reduziert, was deutlich weniger ist als in der Phase vor dem Hype – es kann also Aufwärtspotential bestehen bei den Bewertungen, die so langsam ihren Boden gefunden haben sollten.
Dass es nicht mehr Einhorn-Bewertungen regnet, sei einerseits nur Teil der Korrektur von Fehlentwicklungen aus der Hype-Zeit – wobei Dealstrukturen sich nun mit ruppigen Methoden zum Nachteil der Gründer entwickeln. „In späten Runden bei zuvor schon hoch bewerteten Start-ups haben sich Neuinvestoren festschreiben lassen, dass sie beim Exit mindestens eine Verdreifachung ihres Einsatzes erhalten.“ Häufig hielten Gründer und Mitarbeiter Stammaktien, während sich externe Investoren für den Exit-Fall per Klausel in den Vorzugsaktien eine vorrangige Bedienung sichern. Dadurch können – wie kürzlich bei Bonify geschehen – Mitarbeiter leer ausgehen. Das sei toxisch für die Gründer- und Venture-Landschaft.
Christian Claussen hat im Wagniskapitalsegment schon viele Marktphasen erlebt. Er geht davon aus, dass es zwar noch einige Pleiten im Fintech-Sektor geben wird, viele Firmen dabei aber durch eine Fusion oder Übernahme verschwinden. Zunehmend etablierten sich strittige Deals, die frühe Investoren benachteiligten.
Christian Claussen ist seit 2013 Partner bei Ventech, die ein Drittel ihrer Aktivitäten ist in Deutschland hat. Neben der Zentrale in Frankreich hat der Venture-Fonds noch Büros in Berlin und Helsinki.