IM INTERVIEW: CHRISTOPH BÖHM, DEUTSCHE BÖRSE UND SABINE BENDIEK, MICROSOFT

"Umstellung war für uns intern ein Lernprozess"

Der Chief Information Officer und die Vorsitzende der Geschäftsführung über ihre Cloud-Kooperation

"Umstellung war für uns intern ein Lernprozess"

Frau Bendiek, Herr Böhm, wer hat die Initiative für die Kooperation ergriffen?Christoph Böhm: Die Innovations-Roadmap 2020 der Deutschen Börse umfasst einen mehrjährigen Plan, der neue Technologien an verschiedenen Stellen des Unternehmens verankern will. Davon ist die Cloud ein wichtiger Bereich – die Initiative ging also von uns aus. Dies gilt ebenso für unsere Überlegungen, wie man einen Auditierungsprozess vereinfachen kann und unsere Initiative hierzu, ein arbeitsteiliges Gremium, die Collaborative Cloud Audit Group, zu starten. Kann diese Cloud Audit Group auch andere Audit Groups in anderen Branchen anstoßen oder ist das auf den Finanzsektor zugeschnitten?Sabine Bendiek: Dies ist ein Modell, das gut auf hochregulierte Industrien passt. Der Finanzsektor ist wohl eine der am stärksten regulierten Branchen. Demzufolge ist es dort ein hervorragendes Modell, das die Chance bietet, in der Industrie schneller voranzukommen, ohne dass jeder das Rad neu erfinden muss. Die Pharmaindustrie wäre auch eine Möglichkeit, aber die meisten Unternehmen brauchen eigentlich keine Audits. Das ist eine Besonderheit der Finanzbranche, dass die Kontrolle über die Daten und Anwendungen von Anfang bis Ende auch regulatorisch verlangt wird, bei den Banken noch mehr als bei Versicherungen. Warum dauert die Umstellung auf die Cloud im Finanzsektor so lange, welche Rolle spielt der Regulator?Böhm: Da greifen verschiedene Faktoren ineinander. Wenn Sie auf ein cloudfähiges System kommen wollen, also mit verteilter Rechenleistung und verteilter Datenspeicherung, gibt es einen hohen Änderungsaufwand. Bei einer neuen Anwendung ist dies bereits Bestandteil des Designs, bei alten Anwendungen bedeutet dies Anpassungsbedarf. Der Vorteil besteht darin, künftig Hardware und Software aus einem Ökosystem zu beziehen. Die Umstellung auf die Cloud ist auch für uns intern ein Lernprozess gewesen. Die Resonanz war jedoch sehr hoch, so dass wir mit dem Team schnell erste Entwicklungsschritte eingeleitet haben. Dieser Veränderungsprozess geschieht insgesamt sehr behutsam und nicht sprunghaft. Wie lange hat das gedauert?Böhm: Das Lernszenario ist über einen Zeitraum von rund drei Jahren abgelaufen.Bendiek: Es bedeutet eine Veränderung der Kultur, des Lernens, da ist sehr viel kulturelle Transformation dabei, das darf man nicht unterschätzen. War dies bei der Deutschen Börse einfacher oder schwieriger?Böhm: Wir verfügen über eine große Kompetenz im Unternehmen. Mit der Roadmap haben wir die richtigen Themen gesetzt. Die Cloud ist dabei absolut im Fokus, da damit eine Basisfunktionalität für andere Kerntechnologien gelegt wird. Natürlich lässt sich eine Blockchain- oder Distributed-Ledger-Anwendung auf eigenen Servern bauen. Aber wenn Sie sehen, wie DLT konzipiert ist, sind das Lösungen, die optimal in einer Cloud-Umgebung funktionieren. Deshalb ist das ein sehr guter Startpunkt. Was ändert sich für Ihre Kunden?Böhm: Wir kommunizieren mit unseren Kunden auf verschiedenen Kanälen, zum Beispiel auf direktem Weg, teilweise über Swift-Formate. Wir stellen auch Portale zur Verfügung, die Daten im Stil eines Internetportals anbieten. Die Kunden konnten sich bisher auf diese Formate mit ihren Prozessen ausrichten und haben sie in ihre eigene Geschäftslogik eingebaut. Wenn dies über Schnittstellen – sogenannte APIs läuft – ist dies relativ einfach. Wir haben diese aber nicht durchgehend und arbeiten über verschiedene Kanäle und müssen verstehen, welche Geschäftsprozesse Kunden darauf aufgebaut haben. Die Herausforderung liegt darin, einen gemeinschaftlichen Ansatz zu finden. Was heißt das konkreter?Böhm: Für unsere Kunden ist die Simulation von Prozessen vorab wichtig. Über die Server der Deutschen Börse ist das zwar gut abbildbar, aber nicht beliebig skalierbar. Diese Skalierbarkeit ist einer der großen Vorteile der Verlagerung zu einem Public-Cloud-Service-Anbieter. Für die Kunden ist dies nur ein geringer Änderungsaufwand bei gleichzeitiger Steigerung der Möglichkeiten. Machen Sie dies auch für Ihre Kunden in London?Böhm: Wir gehen Schritt für Schritt vor und werden zunächst Dienstleistungen, die in Deutschland reguliert sind, aufbauen. Technisch ist die Ausweitung auf andere Regionen problemlos möglich, die Einschränkungen liegen eher im regulatorischen Bereich.Bendiek: Da hilft es, dass wir weltweit mit den Regulatoren in ständigem Austausch sind. Die Hürden sind da überwindbar. Werden durch die Verlagerung in die Cloud Kapazitäten im IT-Budget für anderes frei?Böhm: Ein Softwareentwicklungsprozess ist geprägt von großen Freiheitsgraden. Wir möchten hier einige Grundelemente standardisieren. Relevant sind verschiedene Bestandteile wie Lizenzen von Softwarepartnern, unsere eigene Software und Standardsoftwarebibliotheken, die global zur Nutzung offenstehen. Die Cloud ist ein Mittel zur Standardisierung und ermöglicht eine kostenoptimale Produktion. Damit verlagern sich systematisch Aufwendungen in der Produktionskette, das fördert die Entwicklung von neuen Produkten. Diese Umverteilung von Ressourcen wollen wir möglichst effizient nutzen. Unsere Erwartung ist, dass sich dies in einem Zeitfenster von drei Jahren rechnet.Bendiek: Generell fließen derzeit etwa 70 % der Aufwendungen in den Betrieb bestehender Software-Anwendungen und nur 30 % in die Entwicklung. Dieses Verhältnis soll durch die Cloud-Nutzung umgedreht werden. Ideal wäre, dass am Ende 70 % bis 80 % in die Innovation gesteckt werden können. Wann werden größere Dienstleistungen verlagert?Böhm: Wir wollen in einem nächsten Schritt relevante Kapazität in die Cloud verlagern. Der neue Vertrag ermöglicht uns einen größeren und elastischen Spielraum, um unsere ambitionierten Ziele schrittweise voranzutreiben. Die Cloud legt dabei auch das Fundament für Innovationen, die wir im Bereich Automatisierung, Big Data und Blockchain weiterentwickeln. Kann die Deutsche Börse auch die Blockchain-Dienstleistung Quorum übernehmen, die J.P. Morgan mit Microsoft entwickelt?Böhm: Wie auch im Bereich Cloud verfolgen wir für die Distributed-Ledger-Technologie eine Multi-Provider-Strategie. Wir nutzen für unsere bisher gestarteten Initiativen und Anwendungsfälle derzeit Industrielösungen, wie Hyperledger Fabric oder Corda (R3). Wir schließen aber grundsätzlich nicht aus, zukünftig Lösungen auf Basis der Blockchain-Lösung Quorum zu entwickeln. Die Technologie befindet sich noch in einem sehr frühen Stadium, bislang ist noch nicht klar, welche Anbieter sich langfristig durchsetzen werden. Das Interview führte Dietegen Müller.