ESG in den USA

US-Streit um Nachhaltigkeit spaltet Fondsbranche

Die Auseinandersetzung um Ausschlusskriterien in der Fondsbranche in den USA eskaliert zunehmend. Einige Assetmanager stellen unterdessen ihre bisherigen ESG-Praktiken infrage.

US-Streit um Nachhaltigkeit spaltet Fondsbranche

US-Streit um Nachhaltigkeit spaltet Fondsbranche

ESG-Auseinandersetzung eskaliert – Finanzielle Belastung für Texas – Assetmanager stellen Sinnhaftigkeit von Ausschlusskriterien infrage

Die ideologische Auseinandersetzung um Nachhaltigkeit eskaliert in den USA seit dem vergangenen August zunehmend. Republikanisch geführte Staaten wie Texas positionieren sich mit harten Maßnahmen gegen Ausschlusskriterien in der Fondsbranche. Und auch einige Assetmanager stellen nun ihre Praktiken infrage.

Von Alex Wehnert, New York

In den USA tobt ein ideologischer Streit um Nachhaltigkeit, der die Fondsbranche vor massive Herausforderungen stellt. Denn einerseits beinhaltet der im August 2022 verabschiedete Inflation Reduction Act von Präsident Joe Biden milliardenschwere Anreize für Investitionen in erneuerbare Energien. Andererseits gehen einzelne Bundesstaaten hart gegen Assetmanager vor, die sich Investitionen in die Öl-, Gas- und Bergbauindustrie verweigern.

Die Auseinandersetzung eskaliert seit August 2022 zunehmend. Damals veröffentlichte Texas eine Liste von zehn Vermögensverwaltern und nahezu 350 Fonds, die nach Angaben des dortigen Rechnungsprüfers Energieunternehmen boykottieren. Seine Behörde forderte staatliche und kommunale Pensionsfonds auf, ihre Beteiligungen an den aufgeführten Dienstleistern und Anlagevehikeln abzubauen – bereits im September 2021 schuf der Bundesstaat die gesetzliche Voraussetzung für einen solchen Schritt.

Zunehmender Druck

Unter den betroffenen Vermögensverwaltern ist mit Blackrock auch der globale Branchenführer, der sich seither mit weiterem politischen Druck auseinandersetzen muss. Mitte Dezember 2022 lud ein Ausschuss des texanischen Senats führende Manager des New Yorker Hauses sowie des Konkurrenten State Street vor, um sie zu ihren Strategien in Sachen ESG (Umwelt, soziale Verantwortung und gute Unternehmensführung) zu befragen.

Das Analysehaus S&P Global bezeichnete die Anhörung als Teil eines eng koordinierten Kampagne, an der sich mindestens 23 weitere republikanisch geführte Bundesstaaten sowie konservative Thinktanks und rechtsgerichtete Gruppen beteiligten. Auch Florida hat sich im laufenden Jahr unter dem als potenziellen Präsidentschaftskandidaten geltenden Gouverneur Ron DeSantis mit prohibitiven Regelungen gegen ESG-Investments positioniert.

Während Umweltschützer das Vorgehen massiv kritisieren und Blackrock die Maßnahmen in Texas als opportunistisch kritisierte, sind in der Branche auch andere Reaktionen zu beobachten. Firmen wie Abrdn und Invesco sollen vor Veröffentlichung der texanischen Liste erfolgreich gegen einen Bann ihrer Produkte argumentiert haben.

Vanguard auf dem Rückzug

Konkurrent Vanguard zog sich Ende des vergangenen Jahres indes aus der 2020 initiierten Net Zero Asset Managers Initiative (NZAM) zurück – angeblich, um unabhängiger handeln zu können und seine Positionen gegenüber Investoren klarer vermitteln zu können. Beobachter verweisen aber auf den hohen Druck durch republikanische Politiker.

Aus Sicht einiger Marktteilnehmer hat sich die Fondsindustrie Konflikte mit Staaten wie Texas indes selbst zuzuschreiben. „Die Entwicklung in Texas ist ein Ergebnis dessen, dass die Assetmanagement-Branche sich zu stark auf Ausschlusskriterien fokussiert hat, statt inklusiv zu agieren“, sagt Sarah Bratton Hughes, Leiterin Sustainable Investing beim Vermögensverwalter American Century. „Einerseits betonen Assetmanager wiederholt ihre Verpflichtung, eine gerechte Klima-Transition voranzutreiben – andererseits desinvestieren sie aber, statt sich über Engagement um Verbesserungen zu bemühen.“ Dies führe dazu, dass Kapitalzuflüsse für nachhaltige Projekte austrockneten – letztlich leiste die Vermögensverwaltungsbranche der Umwelt und dem Klimaschutz damit einen Bärendienst.

„Texas wehrt sich nicht als einziger Bundesstaat gegen Ausschlusskriterien – besitzt in der Argumentation aber sicher die lauteste Stimme“, betont Bratton Hughes. „Eine erfolgreiche Dekarbonisierung ist für die USA ohne Texas nicht möglich.“ Der Südstaat sei schließlich der größte Erzeuger von Windkraft innerhalb der USA und habe Kalifornien inzwischen als größten Produzenten von Solarenergie überholt. Den Bundesstaat Washington herausgerechnet, der bei Wasserkraft führend sei, würde Texas mehr als die doppelte Menge an erneuerbarer Energien erzeugen, die alle anderen Staaten lieferten.

Ölindustrie mit hohem Gewicht

Im Schlussquartal 2022 steigerte Texas sein Bruttoinlandsprodukt um 7% und war der am schnellsten wachsende US-Bundesstaat. Der Anteil, den fossile Energien und die Bergbauindustrie dazu beisteuerten, fällt viel höher aus als im landesweiten Vergleich. „Investoren müssen verstehen, dass Industrien mit hohem CO2-Ausstoß nicht einfach verschwinden werden – umso wichtiger ist es, in diesen Sektoren Verbesserungen in Bezug auf Nachhaltigkeit zu erreichen“, sagt Bratton Hughes. Global seien Branchen mit hohen CO2-Emissionen, beispielsweise der Metallbergbau, enorm wichtig für die Entwicklung nachhaltiger Technologien.

Vorläufig aber ziehen die Maßnahmen von Texas und Florida aber bedeutende finanzielle Belastungen nach sich. Denn die größten Underwriter des Landes sind aufgrund der Anti-ESG-Strategien nicht mehr in der Lage, Anleiheemissionen der Bundesstaaten sowie ihrer Gemeinden zu unterstützen. Dazu zählten zuletzt auch J.P. Morgan, Citigroup und Goldman Sachs, die gemäß Bloomberg-Daten in den vergangenen fünf Jahren für Emissionen kommunaler Bonds im Volumen von 540 Mrd. Dollar zuständig waren und damit 25% des Marktes ausmachten.

Seitdem Texas im ESG-Konflikt 2022 offensiv Stellung bezog, muss der Bundesstaat laut Bloomberg 19 Basispunkte mehr an Renditen auf reguläre Bondemissionen zahlen als Kalifornien – obwohl Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit des Weststaats niedriger einstufen. Für Florida, das bei Fitch und S&P wie Texas mit „AAA“ bewertet wird, betrug der Aufschlag zuletzt gar 43 Basispunkte. Die Entwicklung geht, wie Analysten unterstreichen, letztlich zulasten des Steuerzahlers.

American-Century-Managerin Bratton Hughes glaubt indes, dass es eine Grundlage für eine künftige Verständigung zwischen der Fondsindustrie und den vermeintlichen ESG-Gegnern gibt. Schließlich entfernten sich auch die skandinavischen Länder, die gemeinhin als Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit gälten, zunehmend von Ausschluss-basierten Strategien. Einerseits habe der Ausschlussansatz nicht zu realwirtschaftlichen Resultaten geführt. Schließlich sei bis 2022 so viel günstiges Kapital verfügbar gewesen, dass vermeintlich nicht nachhaltige Assets immer Käufer gefunden hätte. „Andererseits wiesen Best-in-Class-Strategien eine starke Neigung in Richtung Growth auf“, führt Bratton Hughes aus.

Infolge der restriktiven Geldpolitik rückten viele Unternehmen aus dem Value-Segment in den Fokus. „Gerade bei diesen Gesellschaften besteht umso mehr Potenzial, durch Proxy-Abstimmungen und ein effizientes Engagement die Nachhaltigkeit zu erhöhen“, betont Bratton Hughes. „Das heißt nicht, dass wir wie aktivistische Aktionäre agieren sollten.“

Initiativen unter der Lupe

Initiativen wie die NZAM, die mit Vanguard ein wichtiges Mitglied verloren hat, zielen darauf ab, gemeinsam mit höherem Gewicht auf Fortschritte in Sachen Nachhaltigkeit zu drängen. Nach Bratton Hughes‘ Ansicht sollten Vermögensverwalter ihre Mitgliedschaften in solchen Zusammenschlüssen genauer prüfen. Wer in zu vielen Initiativen vertreten sei, „braucht entweder ein sehr großes Team oder kann dort eben keine aktive Rolle einnehmen“, sagt die Managerin.

Vermögensverwalter, die so agierten, könnten dann im Zweifel nicht mehr beeinflussen, in welche Richtung sich die Initiative entwickle und ob diese noch zu ihrem Investmentstil sowie den Kundeninteressen passe. „Wenn wir jede Absichtserklärung gegenzeichnen würden, die ihren Weg über meinen Schreibtisch findet, dann würden wir viele einander entgegenlaufende Verpflichtungen abgeben und diese letztlich sowieso nicht einhalten können“, sagt Bratton Hughes. In der Branche ist dies keineswegs Einheitshaltung. Der durchschnittliche Assetmanager hat laut American Century 26 Initiativen unterzeichnet. Laut Analysten ist zu befürchten, dass sich der Konflikt zwischen den Zusammenschlüssen aus der Fondsbranche und republikanischen Bundesstaaten vorläufig noch verschärft.

xaw New York