Vermögen zu bewahren ist heute eine besondere Herausforderung

An einer gut strukturierten und breit gestreuten Geldanlage geht kein Weg vorbei

Vermögen zu bewahren ist heute eine besondere Herausforderung

Von Holger Mai, Vorsitzender der Geschäftsleitung Frankfurter Bankgesellschaft GruppeVermögende deutsche Kunden und Familienunternehmer setzen sich selbst oft hohe moralische Verpflichtungen, ihr über die Jahre erworbenes Vermögen wertstabil auf die nächste Generation zu übertragen. Historisch gesehen ist der deutsche Private-Banking- und Wealth-Management-Kunde in seiner Anlagestrategie vorsichtiger und risikoärmer aufgestellt als internationale Kunden. Dies liegt möglicherweise in den vergangenen hundert Jahren begründet, in denen die Familienvorfahren in zwei Währungsreformen und zwei Weltkriegen teilweise ihr gesamtes Vermögen verloren haben.In den 1980er und 1990er Jahren sowie zu Beginn des neuen Jahrtausends galt die sichere Vermögensanlage mit Hilfe von bekannten Anlagemethoden als relativ unkompliziert. Die Lieblingsanlagen der Deutschen waren das Sparbuch, das Tagesgeld, die Bankschuldverschreibung oder die deutsche Staatsanleihe. Mit Blick auf die damals seit Jahren zurückgehenden Renditen brauchte man fast zu jedem Zeitpunkt nur eines zu tun: Anleihen zu kaufen.Kundeneinlagen in Form von Tages- und Termingeldern steigen ständig und überragen mittlerweile deutlich die ebenfalls sehr hohe Staatsverschuldung Deutschlands. Deutschland ist laut den Analysen einiger Beratungsunternehmen unverändert unter den vier attraktivsten und größten Ländern mit vermögenden Kunden gelistet. Ein liquides Vermögen von mindestens 1 Mill. Euro haben in Deutschland je nach Statistik zwischen 400000 und 800000 Personen. Trotz der auf den ersten Blick gering erscheinenden Personenanzahl verfügen diese über einen Großteil des liquiden Privatvermögens in Deutschland.Vor rund sieben Jahren veränderten sich durch die weltweite Finanzkrise die Rahmenbedingungen für Private-Banking- und Wealth-Management-Kunden immens. Risiko in Verbindung mit Vermögen bewahren muss bei der Geldanlage seither anders definiert werden. Staatsanleihen sind zu Risikoanlagen geworden. Diese vermeintlich sicheren Anleihen werfen kaum noch Rendite ab, oder der Anleger muss sogar bezahlen, damit er sein Geld bei einem bonitätsmäßig guten Staat abgeben darf. Große Geschäftsbanken in Europa mussten gerettet, teilverstaatlicht, abgewickelt oder saniert werden.Das Einlagensicherungssystem der Geschäftsbanken wurde renoviert und den Risiken angepasst, um sicherzustellen, dass kein Staat jemals wieder eine Bank retten muss. Vielmehr sollen in einem “Worst-Case-Szenario” der Aktionär, der Gläubiger einer Bankanleihe und der Gläubiger einer Einlage (oberhalb eines garantierten Betrages) das Risiko mittragen. Damit fallen jedoch mit Staatsanleihen, Bankanleihen und Tagesgeld die Lieblingsanlageprodukte der deutschen Kunden weg.Zudem haben führende Wirtschaftsexperten die Themen Negativzins und Bargeldverbot in die Diskussionsarena geworfen. Wenn schon nicht eine wünschenswerte, aber nicht bestellbare Inflation die hohen Staatsverschuldungen relativiert oder eine Umverteilung der Vermögen, die aktuell politisch nicht gewünscht ist, stattfindet, kann ein Negativzins die Zinslast auf der Staatsverschuldung gering halten und möglicherweise auch Inflation begünstigen.Zuletzt haben Wissenschaftler im Euroraum Negativzinsen von bis zu 3% auf Bankguthaben prognostiziert. In der Schweiz gibt es bereits einen Minuszins von 0,75%. Der drohende Negativzins ist somit eine neue Dimension der Vermögensumverteilung und stellt vermögende Kunden vor zusätzliche Herausforderungen. Denn der risikoarm agierende vermögende Kunde legt sein Geld als Tagesgeld an, sofern der Einlagenzins mindestens auf der Höhe der Inflationsrate verweilt. Doch das ist längst vorbei. Bei einer aktuellen Inflationsrate zwischen 0,25% und 1% liegen die Verzinsungen von Tagesgeldguthaben mit zwischen 0% und 0,25% deutlich darunter. Sofern wir uns dem Szenario “Minuszins” annähern, würde sich die Abweichung noch vergrößern. In zehn Jahren wären somit kaufkraftbereinigt rund 40% des ersparten Vermögens vernichtet.Um jedoch dem Bürger die potenzielle Flucht in Bargeld und damit die Umgehung des Minuszinses zu verbauen, diskutiert Nordeuropa ganz konkret und Deutschland bisher nur selektiv die Abschaffung des Bargeldes. Bisher stemmt sich die Bundesbank mit Blick auf die Grundrechte in Deutschland diesem Ansinnen entgegen.Von den Veränderungen der Rahmenbedingungen hinsichtlich der über Jahrzehnte rentierlichen Anlagen wie Staatsanleihen, Bankanleihen und Tagesgeld sind nicht nur Private-Banking- und Wealth-Management-Kunden betroffen. Rund 90% der Bevölkerung bekommt aufgrund der regulatorisch hohen Hürden, der Anlagementalität, der geringen Ausbildung in Finanzfragen sowie der Situation bei den risikoarmen Anlagemöglichkeiten in Renten und den Versicherungslösungen in der Altersversorgung keinen entsprechenden Zins mehr. Die sozialen Ungerechtigkeiten werden damit zunehmen, die Frustration eines Großteils der Bevölkerung ebenso.Aufgrund der erläuterten Entwicklungen ist der vermögende deutsche Kunde gewissermaßen gezwungen, umzudenken und sich anderen Anlagemöglichkeiten zum Vermögenserhalt zuzuwenden. Wenn man die Entwicklung der Immobilienpreise in den Ballungsräumen in Deutschland, sei dies in Berlin, Frankfurt, München, Hamburg, Stuttgart oder Düsseldorf, sieht, wird deutlich, dass derzeit viele Menschen ihr Vermögen in Wohneigentum anlegen. Angesichts der überschaubaren Neubautätigkeit, des begrenzten Raumangebots in den Ballungsräumen und des erreichten Preisniveaus können sich nur wenige diese Investition leisten. In bevölkerungsschwachen Regionen, die auch in der mittelfristigen demografischen Entwicklung eher rückläufige Einwohnerzahlen erwarten lassen, ist eine Immobilieninvestition allerdings als langfristiger Vermögenserhalt und zur Altersvorsorge auch aus Risikogesichtspunkten nicht unbedingt zu empfehlen.Als Alternative bleibt also die Realwirtschaft. In der Tat steht die Realwirtschaft insbesondere in Deutschland, Europa und Amerika heute besser da als in vielen Dekaden zuvor. Die neue Definition von Sicherheit stützt sich auf weniger Schuldverschreibungen und Anleihen und mehr Realbeteiligungen. Auch wenn denn das nachstehende Wort in Deutschland als Hochrisikoanlage gebrandmarkt ist, so muss man dies in der aktuellen Zeit verifizieren: die Aktie.Mit der Aktie eines global aufgestellten Unternehmens investiert man automatisch in den Wachstumsregionen der Welt und verfügt über Eigentumsrechte. Wenn Nestlé als ein internationaler Nahrungsmittelkonzern seine seit über 20 Jahren stetig steigende Dividende nicht mehr zahlen könnte oder gar nicht mehr existieren würde und damit derAktionär sein Beteiligungsvermögen verlöre, dürfte auch in manchen Großstädten bereits vorher das Licht ausgegangen sein.Sicherheit neu zu definieren bedeutet demnach, das höhere Risiko einer langfristig realen Vermögensvernichtung bei einer Anlage in unrentablen festverzinslichen Anlagen zu sehen und stattdessen das Risiko von Schwankungen einzugehen, um mit einer Anlage in der Realwirtschaft langfristig vom Wirtschaftswachstum zu profitieren – sei es durch Unternehmensanleihen (Corporates) oder durch Aktien global investierter und tätiger Unternehmen.Auch hier ist jedoch das Motto “Schuster, bleib bei deinen Leisten” angebracht. Der Zins einer Unternehmensanleihe bleibt auch heute der Sensor für das Risiko. Wenn sich die Spreads zu Staatsanleihen mit identischer Laufzeit oder zu Unternehmensanleihen mit bester Bonität um mehr als 2%-Punkte unterscheiden, so müssen Kunde und Bank genau prüfen, ob das Risiko im Verhältnis zur Chance steht. Die Berater im Private Banking und Wealth Management müssen intensiv mit ihren Kunden über ihre Risikotragfähigkeit und Risikobereitschaft diskutieren. Aktien von Unternehmen der Realwirtschaft können auch schwanken, und dies muss dem Kunden bewusst sein – schließlich muss er die Schwankungen mental aushalten können.Doch wo ist der Unterschied zu den vermeintlich sicheren Immobilien? In Krisenzeiten bewertet nicht jeder Immobilieneigentümer täglich seine Immobilien neu, selbst die Werte für Immobilien in offenen Immobilienfonds werden nur einmal pro Jahr ermittelt. Bei Aktien sehen wir täglich, stündlich oder, wenn wir wollen, sogar sekündlich die Wertveränderungen. Dies simuliert dem Private-Banking- und Wealth-Management-Kunden eine deutlich höhere Volatilität, die er mit Risiko verbindet. Angesichts der zwar hohen, aber im Verhältnis zu manchen Immobilienmärkten und Staatsanleihen geringen Kurs-Gewinn-Verhältnisse von globalen Wirtschaftsunternehmen erscheint das Risiko bei einer durchschnittlichen Dividendenrendite im Dax und Euro Stoxx zwischen 2% und 3% eher vertretbar.Fazit: Die bereits alte, jahrzehntelang gültige Regel der Geldanlage in strukturierter Form, das heißt globale Investments in verschiedenen Asset-Kategorien, bleibt selbstverständlich erhalten. Ein vermeintlich risikoarmer Anleger, der bisher 100% in Tagesgeld und risikoarmen Anleihen investiert hat, dürfte in absehbarer Zeit mit Zinserträgen die Geldentwertung durch Inflation nicht mehr erreichen. Selbst für konservative und langfristig orientierte Anleger geht somit an einer gut strukturierten und breit gestreuten Geldanlage, sei es in guten Immobilien, Aktien als Anteil an der Realwirtschaft oder Unternehmensanleihen, nichts vorbei. Alles zu seiner Zeit: Die Zukunft gehört der Realwirtschaft.