Versöhnerin von Kirche und Finanzmarkt
Von Antje Kullrich, DüsseldorfKirche und Finanzen – das war jahrzehntelang ein Spannungsverhältnis. Die einen mauerten, was das Zeug hielt, die anderen verteufelten den Kapitalismus und damit auch jedes Unternehmertun. Marlehn Thieme ist eine, die sich aufgemacht hat, dieses Verhältnis zu entspannen. Seit Februar dieses Jahres führt die ehemalige Deutsche-Bank-Managerin den Aufsichtsrat der Bank für Kirche und Diakonie – KD-Bank, der zweitgrößten evangelischen Kirchenbank in Deutschland. Das Institut ist nicht nur Finanzierer vieler sozialer und kirchlicher Einrichtungen, sondern auch Vermögensverwalter zahlreicher Gemeinden und Landeskirchen. Kennen tut es jedoch kaum jemand. Eher zurückhaltendKein Wunder, denn auch die Hauptkunden der Bank haben sich bisher in Finanzfragen eher in Zurückhaltung geübt. Die Höhe des Vermögens der evangelischen Kirche mit ihren 22 Landeskirchen und 16 000 Kirchengemeinden ist nicht bekannt. Die Öffnung der Haushaltbücher ist unterschiedlich weit fortgeschritten. “Wir sind kein Top-down-Unternehmen als Kirche, sondern wir sind eine Bottom-up-Veranstaltung. Daher muss das jede kirchliche Gliederung für sich adaptieren und entscheiden, inwieweit sie Transparenz für sich herstellen will”, sagt Thieme. Eigentlich, so sagt sie, habe die evangelische Kirche jedoch nichts zu verbergen. Sie habe keine Reichtümer.Zudem waren die kirchlichen Investoren jahrzehntelang Anhänger äußerst konservativer Anlageklassen. Von Aktien ließ man die Finger. Das hat sich im Niedrigzinsumfeld geändert, da zum Beispiel die Stiftungen im evangelischen Umfeld die nötigen Erträge für ihre karitativen Aufgaben nicht mehr mit Festgeldkonten erzielen können. Aus der Not wollen Protestanten und KD-Bank jetzt eine Tugend machen: Das Institut koordiniert eine Initiative, in der sich evangelische Institutionen als aktive Aktionäre gegen Kinderarbeit oder für existenzsichernde Löhne und Umweltschutz engagieren.”Wir müssen mehr dafür tun, dass die Menschen verstehen, in welcher Form wir Investitionen tätigen und Geld anlegen”, sagt Thieme. Der erste Schritt war ein Leitfaden 2011 für ethisch nachhaltige Geldanlagen in der evangelischen Kirche als Anleitung für die, die Finanzverantwortung haben. Auch KD-Bank-Vorstandschef Ekkehard Thiesler gehörte zu den Autoren. Ex-DeutschbankerinAls ethisch-ökologischer Marktteilnehmer wollen KD-Bank und evangelische Kirche am Finanzmarkt wahrgenommen werden. “Kirche muss zeigen, dass es machbar ist”, erläutert Thieme. “Wir müssen zeigen, dass man auch seinen Glauben in der Welt leben kann. Wir haben kein Religionsbild, das nur aus Gebet und Kontemplation besteht.”Mit ihrem Hintergrund ist die 58-jährige Thieme so etwas wie eine Idealbesetzung für das Kontrollgremium des kirchlichen Instituts. Bei der Deutschen Bank hat die Juristin 27 Jahre lang gearbeitet, sie hat sich vor ihrem Ausscheiden im Jahr 2013 als Direktorin viele Jahre um die gesellschaftspolitische Verantwortung – neudeutsch Corporate Social Responsibility und Corporate Citizenship – gekümmert. Als Arbeitnehmervertreterin gehörte sie fünf Jahre dem Aufsichtsrat des größten deutschen Geldhauses an.In der evangelischen Kirche ist sie schon lange fest verwurzelt. Seit 2003 ist sie Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, und sie gehört zum Vorstand des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer. In ethisch-ökologischen Fragen berät sie auch die Bundesregierung. Seit dreieinhalb Jahren führt Thieme als Vorsitzende den Rat für Nachhaltige Entwicklung. So kam es, dass sie nach ihrem Ausscheiden bei der Deutschen Bank ihr Interesse an einer Aufsichtsratstätigkeit in der Bankenbranche in kirchlichen Kreisen gar nicht weit streuen musste.Die KD-Bank mit Hauptsitz in Dortmund zählt mit einer Bilanzsumme von 4,8 Mrd. Euro durchaus zu den größeren im zersplitterten genossenschaftlichen Sektor, hält sich aber in Sachen Marketing sehr zurück. Anders als andere ethisch-ökologisch orientierte Banken wie zum Beispiel die GLS Bank aus Bochum, die im Nachgang der Finanzkrise kräftig die Werbetrommel rührten und starkes Wachstum verzeichneten, wirkt die KD-Bank mit ihrem institutionellem Geschäft eher im Hintergrund und hat kaum Privatkunden.In ihrer neuen Rolle bei der KD-Bank, in der sie ihr Fachwissen in Sachen Banking und Nachhaltigkeit verbinden kann, fühlt sich Thieme sichtlich wohl. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, dass die Skandaldichte bei ihrem früheren Arbeitgeber für Enttäuschung gesorgt hat. Thieme hält sich dazu bedeckt. Doch dass die zurückhaltend auftretende Bankerin, die ihre Sätze sorgfältig abwägt und plakative Aussagen möglichst vermeidet, Welten vom Selbstverständnis der teilweise enthemmten Investmentbanker angelsächsischer Prägung trennen, ist offensichtlich. Männlich geprägte StrukturSie sorgt aber auch an einem weiteren Punkt für den Aufbruch verkrusteter Strukturen. Kirchenbanken kommen aus einer sehr männlich geprägten Organisation. Die ersten Pfarrerinnen waren auch in der evangelischen Kirche erst Ende der 60er Jahre ordiniert worden. Eine Frau an der Aufsichtsratsspitze einer Kirchenbank hat es denn auch – wenig verwunderlich – zuvor noch nicht gegeben.