Bankenaufsicht

Wie der Stresstest der EBA erwachsen wurde

Nach zehn Jahren europäischer Bankenstresstests lässt sich feststellen: Die Aufregung über die Belastungsprobe hat sich gelegt – auch, weil keine Bank mehr durchfallen und damit Spekulationen über ihre Rekapitalisierungsfähigkeit auslösen kann. Die Debatte über ihr Design aber geht weiter.

Wie der Stresstest der EBA erwachsen wurde

Von Bernd Neubacher, Frankfurt

Vom alles überstrahlenden Ereignis zum Non-Event? Nicht ganz. Nach zehn Jahren europäischer Stresstests im Bankensektor lässt sich jedoch mit Fug und Recht feststellen: Die Aufregung über die Belastungsprobe hat sich sukzessive gelegt. Der Stresstest ist erwachsen geworden. Der EU-Bankenbehörde kann diese nur recht sein. Schließlich war es vor allem auf hausgemachte Unzulänglichkeiten sowie Schwächen im Untersuchungsdesign zurückzuführen, dass die zweijährlich veranstalteten Tests in den ersten Jahren als eine Aneinanderreihung von Pleiten, Pech und Pannen daherkamen waren und der Finanzpresse jeweils über Wochen ihre Schlagzeilen lieferten. Seither hat sich vieles zum Besseren verändert.

Während der ersten Übung 2010, die noch unter Ägide des Europäischen Ausschusses der Bankenaufsichtsbehörden (CEBS) lief, wurde mitten im Verlauf entschieden, die Resultate entgegen ursprünglicher Planung doch zu publizieren, um auf diese Weise mitten in der Finanzkrise Vertrauen im Markt zu erzeugen. Dies sollte indes weder mit Blick auf die Banken noch auf den Stresstest gelingen. Die beiden irischen Institute Allied Irish Banks und Bank of Ireland mussten wenige Wochen nach Veröffentlichung der Resultate erneut mit staatlichen Milliardenhilfen gerettet werden. Im Jahr darauf sorgte die European Banking Authority (EBA), die fortan die Analyse verantwortete, mit einem Stresstest-Szenario für Verwunderung, das mitten in der Staatsschuldenkrise eine Staatspleite ausblendete. Zudem kam es zwischen EBA und Helaba zum Eklat: Die Frankfurter Landesbank verweigerte der EBA die Erlaubnis, andere als die von der Landesbank ausgefüllten Formblätter zu veröffentlichen, nachdem deutlich geworden war, dass die Behörde stille Einlagen der hessischen und thüringischen Sparkassen sowie der Länder Hessen und Thüringen entgegen früheren Zusagen nicht als hartes Kernkapital anerkennen wollte. „Stresstests sind auf den Weg gebracht worden, um Vertrauen herzustellen. Dieses Ziel wurde nicht erreicht“, klagte WGZ-Bank-Chef Werner Böhnke damals im Interview der Börsen-Zeitung. „Im Gegenteil: Wir beobachten bei den Akteuren eine zunehmende Verunsicherung durch die permanenten und nicht immer nachvollziehbaren Veränderungen der Parameter.“ Auch durch immer neue Zeitpläne entstehe der Eindruck von Willkür der EBA.

Stresstest für die Glaubwürdigkeit

Der Glaube an die Aussagekraft der europaweiten Stresstests wurde ein weiteres Mal einem Stresstest unterzogen, als die Europäische Union im Jahr darauf eine 100 Mrd. Euro schwere Kreditlinie zur Rettung spanischer Banken zur Verfügung stellte, deren Vertretern die EBA im Sommer zuvor eine Kapitallücke von insgesamt lediglich 1,6 Mrd. Euro attestiert hatte. Auch in den folgenden Jahren sollte die Kritik an den Szenarien nicht abreißen. So zeigte sich die Nord/LB im Stresstest 2016 zunächst auch unter extremen Stressbedingungen stabil, nur um drei Jahre später mit 3,6 Mrd. Euro rekapitalisiert werden zu müssen. Mal sah die EBA davon ab, Banken die Folgen eines harten Brexits durchspielen zulassen. Dann wieder fehlten Negativzinsen in den Grundlagen für die Berechnung der Belastungen. 2019 durften sich die Bankenstresstester zudem vom Europäischen Rechnungshof anhören, sie hätten 2018 „die Messlatte höher legen sollen“. Die simulierten Schocks seien milder gewesen als die Realität der Finanzkrise von 2008, und nicht alle relevanten Systemrisiken für den EU-Finanzmarkt seien angemessen berücksichtigt worden, wurde bemängelt. Immerhin aber hatte die EBA mit den Folgen des Bilanzstandards IFRS9 in ihrem Design neue Vorgaben für die internationale Rechnungslegung berücksichtigt, deren Tragweite die Bankenaufseher in der Pandemie drei Jahre später dazu bewegen sollten, diese Normen einstweilen deutlich zu flexibilisieren und abzuschwächen, sprich: praktisch auszusetzen. Zudem hat sich ausgezahlt, dass die EBA mittlerweile auf die Vorgabe einer Mindestkapitalquote verzichtet, die Banken auch im extremen Stress-Szenario halten müssen, und Banken, die diese reißen, zu einer Rekapitalisierung verpflichtet. Damit hat sie sich in die Einsicht gefügt, dass es keinen schlechteren Zeitpunkt für eine Bank gibt, um bei Aktionären Eigenkapital einzuwerben, als jenen, nachdem die europäische Bankenbehörde ihr soeben bescheinigt hat, unter Wasser zu stehen. Die Resultate fließen nur mehr in die aufsichtliche Vorgabe zur individuellen Mindestkapitalquote einer Bank ein.

Forderung nach Verschiebung

Im Interview der Börsen-Zeitung fällt es EBA-Chef José Manuel Campa denn auch leicht, die Frage, ob sich die EBA im Laufe der Jahre bei Konzeption ihrer Stresstests verbessert habe, zu bejahen: „Am Anfang ging es vor allem darum festzustellen, wo Kapitallücken seien, und es gab eine Menge Debatten darüber, ob es Rekapitalisierungsbedarf gebe und ob diese Rekapitalisierungen garantiert würden“, sagt er: „Im Laufe der Jahre hat sich der Schwerpunkt darauf verlagert sicherzustellen, dass das Kapital in einer Bank ausreicht, um Widerstandsfähigkeit zu bieten.“

Beliebt ist der Stresstest bei Banken deshalb noch lange nicht. Nachdem die EBA im vergangenen Jahr auf die Übung verzichtet hatte in der Gewissheit, dass eine Pandemie Stresstest genug sei, sollten sich schon gegen Jahresende Forderungen regen, vor diesem Hintergrund die Übung im laufenden Jahr nochmals zu verschieben, etwa beim Bundesverband deutscher Banken (BdB): „So ein Stresstest bindet umfangreiche Kapazitäten bei den Banken, von denen wir meinen, die müssten an anderer Stelle eingesetzt werden“, sagte Hauptgeschäftsführer Christian Ossig, wenige Wochen nachdem die EBA eine Methodik vorgelegt hatte, die corona-bedingte Moratorien sowie öffentliche Garantien berücksichtigt. Wie die europäische Bankenaufsicht hält die EBA die in der Pandemie bislang gebildeten Rückstellungen für Verluste im Kreditgeschäft für zu niedrig, gemessen an dem, was die Historie, der Vergleich mit anderen Regionen und die Modelle nahelegen.

„Absurdes Missverhältnis“

Selbst wenn die EBA inzwischen bessere Fragen stellt und in der Steuerung der Übung dazu gelernt hat, bleibt eine Frage: Lohnt sich die Übung noch, wenn die EBA überdies alljährlich im Dezember im Zuge ihrer Transparenzübung Haufen individueller Daten zu den einzelnen Banken in Europa offenlegt und die Europäische Zentralbank (EZB) ohnehin alljährlich ihren eigenen Stresstest veranstaltet, dessen Ergebnisse in die individuelle Mindestkapitalquote der von ihr direkt beaufsichtigten Banken einfließt? „Aufwand und Ertrag dieser Bankenstresstests stehen in einem absurden Missverhältnis“, wurde Ende 2018 in der Börsen-Zeitung kommentiert. Fest steht: Deutlich weniger Aufwand würde der Stresstest nach sich ziehen, wäre das Meldewesen und der Apparat der EBA soweit wie in den USA. Dort kann die Notenbank auf die von ihr benötigten Daten der Banken so zugreifen, dass sie den Stresstest selbst rechnet, anstatt diese Übung wie die EBA in diesem Jahr mit vier verschiedenen Abgabeterminen für die Banken von Ende Januar bis Ende Juli ausdehnen zu müssen.

Aufsichtlich stellt sich zudem die Frage, ob die EBA die Resultate publizieren sollte. „Ich bin von einer Veröffentlichung außerhalb von Krisenzeiten nicht überzeugt“, sagte schon 2011 Sabine Lautenschläger, die damalige Bundesbank-Vizepräsidentin und später Vize-Chefin der europäischen Bankenaufsicht. In jedem Fall schränkt ein coram publico veranstalteter Test die Aufseher ein. Denn er nimmt ihnen die Möglichkeit, rein aus Interesse auch einmal extravagante oder wahrhaft extreme Szenarien rechnen zu lassen. Denn sobald ein entsprechendes Design öffentlich würde, hätten sie Mühe, dem Eindruck entgegen zu wirken, sie wüssten etwas, was der Markt nicht wüsste. In diesem Fall würde die Belastungsprobe Verunsicherung nicht beseitigen, sondern verstärken. EBA-Chef Campa hält dagegen: „Ich denke, die vergangenen zehn Jahre haben gezeigt, dass öffentliche Stresstests von großem Nutzen sind“, sagt er: „Sie setzen der Plausibilität der Annahmen gewisse Grenzen, bieten ein gewisses Maß an Transparenz, nützliche Informationen und ein gewisses Maß an Vertrauen für die breitere Öffentlichkeit, was die Lage der gestressten Banken angeht.“

Angesichts der Erderwärmung steht die EBA als zunächst erst einmal vor der Aufgabe, Risiken in ihre Übung zu integrieren, deren Horizont bei weitem über die auf drei Jahre angelegten Szenarien ihres Stresstests hinausreicht. Im Januar vergangenen Jahres hat die EBA zudem ein Diskussionspapier zur Einführung von Risiken der Erderwärmung zur Konsultation gestellt. Einen Bericht über die Resultate einer Pilotübung mit freiwillig teilnehmenden Banken will sie bald veröffentlichen.

Der Bankenstresstest ist erwachsen geworden. Stoff für Debatten, auch wenn deren Intensität nachgelassen hat, bietet er weiterhin zu Genüge.

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